"The Confessions of Dorian Gray"-Interview mit Schöpfer Scott Handcock

Scott Handcock über seine Audioserie "The Confessions of Dorian Gray", eine kreative Vision, die Entscheidung zu einem intimen Ende anstatt eines großen, epischen Finales und die Herausforderung eines neuen Projektes


Foto: Scott Handcock
Scott Handcock

November 2016 von Nicole Oebel @philomina_

Hier könnt ihr das Originalinterview nachlesen. | Read the original interview in English.

"The Confessions of Dorian Gray" ist dein erstes Projekt als Schöpfer und Showrunner, richtig? Dabei lernt man sicher so manches, an was davon wirst du dich immer erinnern?

Ja, "Confessions" war mein Baby und das erste Mal, dass mir Produktion und Regie solo anvertraut wurde. Vorher hatte ich entweder koproduziert oder für andere Leute Regie geführt, aber dieses Projekt gehörte wirklich mir. Zu Beginn war das gleichermaßen spannend und unglaublich beängstigend. Und es war in vielerlei Hinsicht ein harter Prozess. Da es eine neue Serie war ohne bereits vorhandene Zuhörerschaft, wurde alles genau geprüft. Ich musste viele der kreativen Entscheidungen verteidigen - wie zum Beispiel die halbstündigen Episoden, die wöchentliche Veröffentlichung als Download, die Grundstimmung der Serie und das Zielpublikum, das wir im Auge hatten - sogar das Casting von Alex (Alexander Vlahos), der damals gerade erst anfing, dank "Merlin" etwas bekannter zu werden. Ich hatte großes Glück, dass Big Finish sich darauf eingelassen hat. Sie wollten gerne mal etwas anderes machen und haben darauf vertraut, dass ich nichts ohne guten Grund vorschlagen würde. Und Junge, du musst die Bälle gut in der Luft halten können! Wenn ich vorher schon dachte, ich sei gut organisiert, dann hat alles rund um Dorian mein Zeitmanagement nochmal ordentlich verfeinert!

Jedes Jahr hielt "Confessions" etwas Überraschendes, Neues bereit. So wie sich Geschichten, Performances und Produktion weiterentwickelt haben, was hat dich am meisten überrascht?

Das ist eine interessante Frage. Hinsichtlich der Produktion gab es die größte Veränderung zwischen Staffel 1 und 2, wo wir von einer eher provisorischen Studiofläche in Cardiff in unser übliches Aufnahmestudio in London umgezogen sind - die Möglichkeiten, was wir in technischer Hinsicht erreichen konnten, sind förmlich explodiert. Wir hatten so viel mehr Kontrolle und dadurch wurde der gesamte Prozess ein wenig glatter, d.h. wie konnten einige Szenarios angehen, die technisch viel schwieriger umzusetzen sind.

Im Hinblick auf die Geschichten... wenn ich ehrlich bin, waren die ersten drei Jahre alle etwas überraschend. Wir dachten, wie bekommen überhaupt nur eine Staffel, daher war Staffel 1 im Grunde in sich geschlossen. Als wir eine zweite Staffel bekamen, glaubte ich nicht, dass es noch eine dritte geben könnte, also haben wir uns bemüht, der Serie ein abschließendes Ende zu geben, nur für alle Fälle. Als wir grünes Licht für Staffel 3 bekamen, wusste ich mehr oder weniger, dass wir einen guten Ausgangspunkt haben, und so konnten wir etwas mehr mit dem Format experimentieren. Wir hatten die Freiheit und die Möglichkeiten, uns etwas von der Erzählweise zu lösen und ein eher traditionelles Drama mit voller Besetzung anzugehen und alles aus der Unmittelbarkeit rauszuholen, indem wir alles in der Gegenwart angesiedelt haben. Ich denke, das hat mich wahrscheinlich am meisten überrascht - wie sehr sich diese Herangehensweise an Ort und Zeit auf das gesamte Gefühl der Serie ausgewirkt hat.

Es fühlt sich so an, als hätten wir mit Dorian die Welt bereist, wenn du aber tatsächlich müsstest, welche der Geschichten würdest du selbst erleben wollen und welche wäre der größte Horror für dich?

Ich bin ein Kind der 80er, und es war das allererste Skript, das geschrieben wurde, daher habe natürlich eine Schwäche für "The Heart That Lives Alone". Interessanterweise war die Dynamic darin sogar halbwegs autobiographisch und stützte sich auf eine zum Scheitern verurteilte On-Off-Non-Beziehung, die ich zu der Zeit hatte, insofern habe ich diese Geschichte schon erlerbt! Allerdings ohne die vampirischen Zwischentöne...

Schnell wie der Wind kann ich dir sagen, dass "Angel of War" für mich der größte Horror wäre. Der Erste Weltkrieg ist in so vielerlei Hinsicht vollkommen entsetzlich. Es ist eine Periode in der Geschichte, die mir Angst macht, und ich finde es sehr schwer, mich in die Vorstellung von Krieg hineinzuversetzen. Das ist der Grund, weshalb ich sehr genau festgelegt habe, dass es in den Geschichten oder Sequenzen, die wir dort angesiedelt haben, nichts übernatürliches stattfindet. Das ist nichts, woraus man auf diese Weise eine Sensation machen kann. Wenn du den Krieg einbindest, musst du die Sache ernst nehmen. Man kann Humor und Kameradschaft haben, aber man darf den Horror des Krieges nicht außer Acht lassen. Es ist eine schwierige, beschämende Phase in der menschlichen Geschichte, und ich denke, niemand würde das wiederholen wollen...

Die nächste Frage beinhaltet Spoiler zu Staffel 5.

Foto: Alexander Vlahos, The Confessions of Dorian Gray - Copyright: Stuart Manning
Alexander Vlahos, The Confessions of Dorian Gray
© Stuart Manning

[SPOILER] In der letzten Staffel haben wir drei Geschichten von Leuten, die Dorians Existenz bestäigen, bevor wir uns damit abfinden müssen, an einem so qualvollen Punkt aus seinem Leben herausgeschubst zu werden, wie seine anderen Bekanntschaften zuvor auch, da wir in der Gegenwart angelangt sind. Das ist meine Interpretation, aber es gibt viele andere. War es dein Ziel, das Finale ambivalent zu gestalten? Es muss doch Momente der Schwäche gegeben haben, in denen du Dorian ein wenig Frieden geben wolltest ?

Ganz ehrlich? Das Ende zu schreiben war hart. Natürlich wollte ich einen richtigen Schlussstrich unter alles setzen, Dorian diesen Moment des Triumphes geben und andeuten, wo sein Leben hinführen wird. Ich hatte sogar ein Skript geschrieben - ein komplettes Skript in voller Länge, das am Ende von "The Spirits of Christmas" ansetzt und zeigt, wie Dorian die Welt bereist, um sein Portrait aufzuspüren und ein paar Dinge zu klären, gipfelnd in einer Auseinandersetzung mit Luzifer...

Aber ich habe mich umentschieden und von vorne begonnen. Für mich fühlte es sich vorhersehbar an. Es war genau das, was die Leute von uns erwartet haben, und das ist das Letzte, was ich wollte. Ich sah sogar, dass ein paar Leute online sagten, sie glauben, dass es auf den Klippen von Whitby enden wird - und das ist genau das, was ich geschrieben hatte! So vorhersehbar war das ursprügnliche Ende! Und das war dann eine sehr schwere Entscheidung, die ich treffen musste: zum Teil weil ich den Entwurf schon geschrieben hatte und Dorian als Helden sehen wollte, aber auch weil ich diesen großen Plan seit Staffel 3 im Hinterkopf hatte und ihn nun aus dem Fenster warf!

Am Ende habe ich festgestellt, was mich störte. Das ursprüngliche Skript behandelte Dorian zu sehr als Helden und folgte dieser Sitte großer, epischer Finale, an die wir alle gewöhnt sind. Dorian gegen Lucifer! Ihr kannst euch vorstellen, es hätte das ganze etwas überreizt. Es fühlte sich weder für den Charakter noch für die Serie richtig an, und so entschied ich mich, dass wir etwas machen, das mehr in sich geschlossen ist, nichts außer Acht lässt, was vorher war, und so wurde aus der letzten Episode etwas sehr viel Intimeres.

Im Hinblick auf die Ambivalenz, ja, das war absolut mein Ziel. Bei Horror geht es für mich vor allem um Ambivalenz. Der Nervenkitzel von Geistergeschichten ist, dass niemand - keine einzige Person - kategorisch beweisen kann, ob sie existieren oder nicht. Selbst die rationalsten Leute spüren einen gewissen Schrecken, wenn sie in einem gruseligen Raum allein gelassen werden. Keine klaren Antworten zu haben, ist beängstigend, weil es bewirkt, dass wir alles hinterfragen, was wir zu wissen glaubten, und Zweifel kann uns von Natur aus nur verunsichern. Für mich war es wichtiger, dass der Zuhörer am Ende etwas empfindet, als das alles mit einem sauberen Schleifchen beendet wird und Dorian seines Weges geht.

Ihr wisst ja auch, Abschiede im Leben sind niemals einfach. Meistens kommen sie unerwartet und unvorbereitet. Sehr selten weiß man vorher, wenn jemand dein Leben verlässt und ihr euch nie wiederseht, und diese Unsicherheit über Dorians Schicksal spiegelt das hier wieder. Ich meine, ich kann euch jetzt sagen, wir werden nicht nochmal bei ihm vorbeischauen - es würde das Ende kaputtmachen, wenn wir das täten, aber jeder Zuhörer wird sich seine eigene Meinung darüber bilden, was das bedeutet. Und das finde ich toll. Ich erinnere mich, dass mir mal von einem Fan Gedanken zu Tobys und Dorians Beziehung geschickt wurde, als "The Heart That Lives Alone" rauskam, und das war nichts, was ich je geplant hatte. Aber wenn die Leute glauben möchten, dass etwas einen bestimmten Weg nimmt, und die Lage flexibel genug für diese Interpretation ist, was sollte dann dagegen einzuwenden sein? Ich persönlich mag zum Beispiel die Idee nicht, dass der Dorian, der in "Bernice Summerfield" auftaucht, der "Confessions"-Dorian ist, aber ich weiß, viele Leute sehen das so. Am Ende des Tages kann ich nur stolz darauf sein, wenn die Leute so stark empfinden. Alles ist möglich, und das Ende zelebriert dies hoffentlich...

Du hast ein neues Big-Finish-Project mit Alexander Vlahos in Arbeit, von dem Alex gesagt hat, es seine Herausforderung. Kannst du sagen, inwiefern?

Ich kann im Moment nicht wirklich viel darüber sagen, obwohl wir sehr bald damit ins Studio gehen. Es ist eine Herausforderung, nehme ich an, hinsichtlich der Größenordnung. Es ist die längste Einzelproduktion, die wir bisher zusammen gemcht haben - darauf bezogen, dass es nur ein einziges Skript ist. Es ist ein klassischer Text, insofern kommt die Herausforderung dadurch zustande, dass wir dagegen angehen, was die Leute schon kennen, und einen Weg finden müssen, dem Ganzen eine eigene Note zu geben und gleichzeitig das Originalmaterial in Ehren zu halten. Wir haben jedoch eine brillante Besetzung zusammengestellt - viele, die schon mit Alex und mir an "Confessions" gearbeitet haben - insofern sollte es für alle Beteiligten etwas Besonderes sein!

myFanbase ist ein Onlinemagazin, dass sich hauptsächlich mit TV-Serien beschäftigt, daher würden wir gerne wissen, was deine Lieblingsserien sind?

Ich liebe "American Horror Story" total! Ich bin bei Staffel 6 noch nicht auf dem neuesten Stand, da ich nur dabei bin herumzuflitzen, aber es ist alles bereit und wartet darauf, dass ich Zeit für einen Bingewatch finde. Ich liebe einfach diese Größe - nicht nur hinsichtlich der Produktionswerte, sondern auf der Ideen und Charaktere. Alles ist überlebensgroß, aber es ist absolut brillant und faszinierend. Und für mich persönlich (wurde ja kontrovers diskutiert) ist "Freakshow" meine Lieblingsstaffel.

Ich verehre auch "Hannibal". Es ist einfach unglaublich, überragend in jeglicher Hinsicht. Die Drehbücher, das Visuelle, die Leistung der Darsteller, die Produktion: jedes einzelne Element ist erstklassig und spektakulär gekonnt. Es ist eine Serie, die ich wertschätze und nicht weglegen kann, und ich hoffe jeder Hoffnungslosigkeit zum Trotz, dass sie irgendwann doch nochmal zurückkommt!

Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast, Scott, das sind wirklich tolle Einblicke!

Danke dir für deine ausgezeichneten Fragen und für diese Möglichkeit zum Gespräch.

"The Confessions of Dorian Gray" kann man bei Big Finish bestellen oder dort in Gratis-Episoden reinhören.


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