Utopia - Review Staffel 1

Foto:
Foto: Fiona O'Shaughnessy, Utopia - Copyright: polyband
Fiona O'Shaughnessy, Utopia
© polyband

Der Begriff Utopia stammt aus dem Altgriechischen und heißt eigentlich "der Nicht-Ort". Eine Utopie ist, gemäß der Definition von Thomas Morus, der den Begriff im 16. Jahrhundert geläufig machte, eine ideale Gesellschaft, die meist irgendwo in der fernen Zukunft verortet wird und der man zwar entgegenstrebt, die eigentlich aber unerreichbar ist. Eine Utopie, das ist das Versprechen einer besseren Zukunft, ein Ideal, eine Traumvorstellung. Dass Dennis Kelly sein düsteres Serienprojekt nun ausgerechnet "Utopia" genannt hat, könnte man angesichts der gezeigten Gewalt und der völlig dystopischen, geradezu Orwell'schen und erschreckend realen Gesellschaftsordnung einerseits als Ironie auslegen – andererseits deutet die Serie damit gleichzeitig an, dass der Begriff der Utopie nicht zwangsläufig für jeden dasselbe ist.

Foto: Adeel Akhtar, Utopia - Copyright: polyband
Adeel Akhtar, Utopia
© polyband

Es ist beeindruckend, wie Kelly es gelingt, eine auf den ersten Blick völlig absurde Verbindung zwischen einer Graphic Novel, vier liebenswerten Comicnerds, dem britischen Gesundheitsministerium und einer Geheimorganisation herzustellen und gleichzeitig eine sowohl komplexe als auch nicht gänzlich abwegige Verschwörungsgeschichte zu erzählen. "Utopia" fesselt durch seine komplizierte wie faszinierende Story, die sehr geschickt mit der Informationsvergabe arbeitet und dem Zuschauer stets so viel verrät, dass seine Neugier erstmal befriedigt ist, gleichzeitig aber wieder viele neue Fragen aufwirft, die einen die nächste Folge mit Spannung erwarten lassen. Wie "Utopia" dabei den schmalen Grat zwischen Fiktion und Realitätsrelevanz wandert, ist absolut hervorragend. Immer wieder kommen einem der bereits erwähnte George Orwell und sein Meisterwerk "1984" in den Sinn, wenn die Protagonisten sich vor den CCTV-Kameras zu verstecken versuchen, wenn die Macht der Medien und die Macht der Datenbanken das Leben der Figuren zur Hölle machen, wenn nur ein Anruf den Standort aufgeben und damit den Tod bedeuten könnte.

Gleichzeitig wird einem bewusst, wie viel Macht ja dann eigentlich diejenigen haben, die die Medien und Datenbanken in den Händen halten. In "Utopia" steht als hydraartiges Monster die mysteriöse Organisation The Network im Hintergrund, die ganz klassisch in dunklen Hinterzimmern berät und potentielle Störenfriede entweder durch pure Gewalt oder fiese Medienskandale aus dem Weg räumt. Die Macht der Medien, die Macht der elektronischen Daten, die Macht der globalen Firmen und angesichts dessen die Ohnmacht des Individuums, all das sind Themen, die in "Utopia" auf interessante Weise zum Tragen kommen, der Geschichte einen unerwartet gesellschaftsrelevanten Unterton verleihen und den Zuschauer über die Verschwörungstheorien hinaus zum Nachdenken anregen.

Foto: Paul Higgins, Utopia - Copyright: polyband
Paul Higgins, Utopia
© polyband

Die Charaktere sind der Geschichte dabei merkbar untergeordnet, doch gelingt es Kelly und seinem Autorenteam, eine Handvoll sympathischer, vielschichtiger und mit der Zeit durchaus komplexer werdender Protagonisten zu präsentieren, mit denen das Publikum genauso mitfiebert wie bei der Auflösung um das Mysterium des Utopia Experiments. Hinter jeder Figur verbergen sich dunkle Seiten, Geheimnisse und Schwachstellen, und jeder der Charaktere erhält seine Gelegenheit, um über sich hinauszuwachsen, seien es Becky, Ian, Wilson, der kleine Grant oder Dugdale. Selbst der als Antagonist ausgelegte Arby erhält ein tieferes Profil, das ihn zu mehr werden lässt als nur einer Marionette des Networks. Einzig Jessica Hyde verhaftet etwas in ihrem stereotypen Schema der gefühllosen Lara-Croft-Killermaschine, die natürlich durch eine schreckliche Kindheit geprägt wurde. Doch insgesamt ist die Riege an Charakteren interessant und vielseitig und so angelegt, dass sich zahlreiche schöne Charaktermomente ergeben.

Was "Utopia" letztlich jedoch von anderen Genrevertretern abhebt, ist die überragende Inszenierung. Visuell ist die Serie eine absolute Wucht, sie spielt mit langen Weitwinkelaufnahmen und extrem saturierten Farben und imponiert mit phänomenalen Bildern – alles untermalt mit dem verzerrt-mysteriösen, gänsehautverursachenden Soundtrack von Cristobal Tapia de Veer. Da springt ein Mann im Hasenkostüm vor einem Comicladen umher, Weizenfelder werden zu unendlichen Ebenen aus Gold, die Eingangshalle eines Megaunternehmens gleicht einem griechischen Tempel, in Zeitlupe fällt ein Körper vor dem Hintergrund eines Hochhauskomplexes in die Tiefe. Die Groteske des Drehbuchs wird durch die bizarren wie gewaltigen Bilder wunderbar komplementiert.

Foto: Fiona O'Shaughnessy & Nathan Stewart-Jarrett, Utopia - Copyright: polyband
Fiona O'Shaughnessy & Nathan Stewart-Jarrett, Utopia
© polyband

Was "Utopia" uns letztlich präsentiert, ist eine real gewordene Dystopie, verpackt in eine komplexe wie packende Story und mitreißenden Bildern. Dennis Kelly reizt die Möglichkeiten des fiktionalen Erzählens innerhalb eines realen Setting so weit aus, dass man Fiktion und Realität fast nicht mehr unterscheiden kann und sich zu fragen beginnt, wo denn das eine anfängt und das andere aufhört – und ob Verschwörungstheoretiker nicht oft zu Unrecht als solche abgestempelt werden. Die Serie ist unterhaltsam und spannend, von der erzählerischen Komplexität durchaus vergleichbar mit Formaten wie "Lost" (wobei weitaus schneller in der Informationsvergabe und damit schneller zufriedenstellend), von der visuellen Brillanz erinnert es an "Hannibal". Dennoch ist die Serie in ihrer Art und Weise eigenständig und einzigartig, ein richtiger Geheimtipp des neueren britischen Fernsehens.

Maria Gruber - myFanbase

Zurück zur "Utopia"-Übersicht

Kommentare