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Review: #1.03 ...und der Sack ist im Fluss

Foto: Bryan Cranston, Breaking Bad - Copyright: 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Bryan Cranston, Breaking Bad
© 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Eines kann man nach bereits drei Episoden "Breaking Bad" attestieren: Jede einzelne Szene hat ihre Bedeutung. Das Auffüllen von Episoden, um die magische Grenze von mindestens 45 Minuten Nettolaufzeit zu erreichen, entspricht im Gegensatz zu zahlreichen anderen Serien nicht dem Vorgehen von Gilligan und dessen Team. Und so haben schließlich auch die Szenen eines sichtlich jüngeren Walters zusammen mit seiner Laborpartnerin und wie diese versuchen, alle chemischen Komponenten des menschlichen Körpers zusammenzutragen, ihre Daseinsberechtigung. Mehr noch, sie fungieren in Verknüpfung mit den Momenten von #1.03 ...und der Sack ist im Fluss, die ihr vorangehen oder folgen als wichtige mögliche Stütze für den Zuschauer, um einen Einblick in Walters Gedankengänge zu erhalten.

"There's gotta be more to a human being than just that."

Zum ersten Mal sieht man Walter mit der Frau im Labor unmittelbar nach der Eröffnungsszene, in der Walter und Jesse die durch letzteren verursachte Sauerei wegwischen müssen. Dass es überhaupt physisch möglich ist, die Innereien eines Menschen wegzuwischen ohne sich unentwegt übergeben zu müssen, hängt im Fall von Walter wohl auch damit zusammen, dass er sich daran zurückerinnert, wie er damals mit der Frau den menschlichen Körper analysiert hat. Wenn man sich immer wieder vor Augen führt, dass auch ein Mensch nur eine Zusammenstellung aus diversen chemischen Komponenten ist, geht es wohl auch wirklich einfacher, teilweise zersetzte Körperteile aufzuwischen. Dem Zuschauer wird in Form eines Flashbacks ein Einblick in diesen Moment gewährt – ganz ohne Bevormundung, indem ihm nur allzu augenscheinlich suggeriert wird, weswegen er eigentlich gerade mit dieser Szene konfrontiert wird. Es reicht eben doch aus, ein mündiges Publikum vorauszusetzen und dieses zu unterhalten, ohne Zeit mit großen Erklärungen zu verschwenden. In Zeiten des inflationären Gebrauchs von Voice-over in TV-Serien, die zu 98% nur "stating the obvious" betreiben, oder auch minutenlangen "Previously on..."-Einleitungen, die im Grunde nur ein für alle Mal beweisen, dass sie ihre Fans für ausgesprochen dumm halten, ist dies eine regelrecht wohltuende Ausnahme.

"So, what do you think?" - "Cool."

Aber nicht nur hier hat Walter mit den Auswirkungen der bisherigen Geschehnisse zu kämpfen, auch im Hinblick auf sein vermeintliches Geständnis gegenüber Skyler, mit Jesse nur deshalb in Kontakt zu stehen, weil dieser ihn mit Marihuana versorge, wird ihm vor Augen geführt, dass jede Ungereimtheit ihn später zur Strecke bringen kann. Dass Walter gar nicht mehr im Autowaschsalon von Bogdan arbeitet, hat sie bereits in Erfahrung bringen können, und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie ganz andere Dinge ans Tageslicht zu zerren vermag. Unter Walters Lüge zu leiden hat im ersten Schritt jedoch erst einmal nicht er selbst, sondern seine Frau, die händeringend um Hilfe sucht, um die Distanz zu ihrem augenscheinlich kiffenden Ehemann nicht noch weiter zu erhöhen. Und, als sie sich eher schlecht als recht ihrer Schwester Marie offenbart, die die Situation falsch einschätzt, ist schließlich auch Walter, Jr. betroffen, der von ihr zum eigentlichen Pothead auserkoren wird. In einer Mischung aus Sorge, Alltagslangeweile und -frust (der dazu führt, dass sie ein Paar Schuhe im Schuhladen mitgehen lässt) und Sensationsgier, sucht Marie wiederum ihren Mann Hank, immerhin DEA-Agent, auf, damit dieser Walter, Jr. auf seine unnachahmliche Art ins Gewissen redet. "Unnachahmlich" im Sinne von "ich zeige Walter, Jr. ein heruntergekommenes und für seine umher lungernden Drogenabhängige berüchtigtes Motel, und lasse ihn mit einer Junkie-Prostituierten als abschreckendes Beispiel sprechen". Man könnte das auch "hoffnungslos übertrieben" nennen, aber Hank ohne derartige Aktionen, die eher verstören als aufklären und des Öfteren unfreiwillig komisch wirken, wäre eben einfach nicht Hank.

Interessant in dem Zusammenhang ist, dass eben jene Prostituierte kurze Zeit nach ihrer Darbietung als personifizierte, Ekel erregende Warnung in ihr Motelzimmer zurückkehrt – direkt zu Jesse, der Sekunden später reine Triebbefriedigung mit ihr betreibt. Allein der Umstand, dass sich Jesse in diesem Milieu, trotz Walters mahnender Worte, immer noch bewegt, wäre bereits pikant genug. Im Zusammenspiel mit der Szene, die sich kurz zuvor abgespielt hat – Jesse raucht auf der Toilette seines Hauses Meth und wird von Walter dabei erwischt – wird so jedoch ein Bild der charakterlichen Fragilität Jesses gezeichnet, das unheimlich viel Potential für den weiteren Verlauf der Serie bietet.

"We flipped a coin, you and me! Coin flip is sacred! Your job is waiting for you in the basement."

Mindestens genauso vielversprechend ist die Entwicklung von Walter, der in dieser Episode nun auf Basis des Münzwurfs aus #1.02 Die Katze ist im Sack... derjenige ist, der Krazy 8 zur Strecke bringen muss. Denn Walter ist auf der einen Seite definitiv nicht jemand, dem man die Rolle des Mörders zutrauen würde, auf der anderen Seite scheint es jedoch keine andere Möglichkeit zu geben. Die trügerische Sicherheit, die er versucht, durch eine selbst erstellte "Pro und Contra"-Liste zu erreichen, ist schon allein deshalb schnell verschwunden, weil der Punkt, der für das Töten von Krazy 8 spricht, ein sehr gewichtiger ist. Wie sich nämlich herausstellt, weiß Krazy 8 sehr viel mehr über Walter als diesem lieb ist, nachdem Jesse ein Plappermaul ist, der mit Informationen wie Walters Beruf und seiner Familie nur so um sich warf. Was genau soll Krazy 8 also davon abhalten, Walters Familie und ihn selbst zu töten, sobald Walter ihn aus seinem provisorischen Gefängnis im Keller Jesses befreit? Wenn selbst dem Gefangenen klar ist, dass es keine Möglichkeit gibt, Walter zweifelsfrei von den eigenen guten Absichten überzeugen zu können, und er dies auch noch offen kommuniziert, sollten alle Alarmglocken schrillen.

"Sell me."

Walter jedoch ist sich der äußerst schwierigen Situation zwar bewusst, jedoch aus Angst vor dem nächsten Schritt nicht in der Lage, rational zu denken. Wer will es ihm verübeln? Nicht jeder ist ein kaltblütiger Killer. Da redet man sich lieber selbst ein, dass das Gegenüber schon nichts tun wird, und unterdrückt jeden aufkommenden Zweifel. So kommt es auch, dass Walter den Fehler begeht und sich mit Krazy 8 länger unterhält, bis die beiden nahezu gelöst über die Banalitäten des Alltags reden, und in Walter die Erkenntnis reift, dass er Krazy 8 frei lassen muss. In einer der vielleicht wichtigsten Szenen der gesamten Serie hat Walter bereits den Schlüssel für das Fahrradschloss, das Krazy 8s Hals fest in Beschlag hat, in der Hand, untersucht dann aber nochmals die Scherben des kurze Zeit vorher zerbrochenen Tellers. Jenen Teller zerbrach Walter direkt vor Krazy 8, als er die Treppen in den Keller mit einem Sandwich herunter stieg und nach einem durch seine Krebserkrankung bedingten Hustenanfall, der in seiner Heftigkeit jedem vor dem Fernseher die eigene Kehle zuschnürte, bewusstlos wurde und stürzte. Walter muss feststellen, dass bei dem Teller eine spitze Scherbe von nicht unerheblicher Größe fehlt, was nur bedeuten kann, dass sich Krazy 8 diese angeeignet hat und lediglich auf den richtigen Moment wartet, sie gegenüber Walter einzusetzen.

"Why are you doing this?"

Spätestens jetzt ist Walter klar, dass er Krazy 8 töten muss. Definitiv. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Walter selbst hätte jede Entschuldigung, es nicht tun zu müssen, mit offenen Armen empfangen, aber nun hat sich Krazy 8 durch sein Verhalten sein eigenes Grab geschaufelt. Walter, emotional derart überwältigt von der neuen Entwicklung, dass er sein Zittern und seine Tränen zurückhalten muss (einmal wieder großartig gespielt von Bryan Cranston), tötet Krazy 8 also, indem er ihn mit dem Fahrradschloss um dessen Hals erdrosselt. Walter hat damit innerhalb kürzester Zeit den Tod von zwei Menschen auf dem Gewissen. Dennoch gelingt es "Breaking Bad", das moralische Dilemma, in dem sich Walter in der jeweiligen Situation befand, derart lebhaft auf den Zuschauer zu übertragen, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass es für Walter, nachdem in ihm die Absicht, Meth zu kochen, gereift ist, keine andere Möglichkeit gab, sein eigenes Leben zu sichern als so zu agieren, wie er es letztendlich tat. Dadurch wird gewährleistet, dass Walter weiterhin Sympathien um sich scharen kann, obwohl er nun mittlerweile den zweiten Menschen getötet hat und, wie sich kurze Zeit später herausstellt, dabei sogar einen Informanten des DEA auf dem Gewissen hat.

"What about the soul?" - "There's nothing but chemistry here."

Ähnlich wie zu Beginn der Episode versucht Walter durch die Erinnerung an die Szene mit seiner damaligen Laborpartnerin und wie sie die Zusammensetzung des menschlichen Körpers auflisteten, sich zu vergegenwärtigen, dass es etwas derartiges wie eine Seele in der Chemie nicht gibt und nur die chemischen Komponenten, die in einem gewissen Prozentsatz einen Menschen ausmachen und die man in Größe, Form und Gewicht beziffern kann, zählen. Walter hat natürlich damit zu kämpfen, dass er gerade jemanden ermordet hat, und so versucht er sich einzureden, dass Krazy 8 lediglich eine Ansammlung unterschiedlichster Elemente aus dem Periodensystem war und nicht ein menschliches Wesen mit Gefühlen und Wünschen, dem er das Leben genommen hat. Allein die Tatsache, dass Walter bewusst versucht, seine Tat in gewisser Form zu relativieren, zeigt jedoch, dass er immense Probleme damit hat, seinen eigenen Gedankengängen, die natürlich allesamt jemanden auch Jahre später noch wach halten und in den Wahnsinn treiben können, Einhalt zu gebieten. Der endgültige Beweis dafür ist, dass Walter kurze Zeit später Skyler kontaktiert, um ihr etwas zu sagen. Dass er ihr tatsächlich den Mord gesteht, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwar ausgeschlossen werden, aber wer weiß? Was könnte er ihr sonst mitteilen, um sein Gewissen erleichtern zu können und was bedeutet das für sein Umfeld?

Fazit

Mit einer unglaublich intensiven Episode macht "Breaking Bad" konsequent genau dort weiter, wo es aufgehört hat – bei der Auslotung der moralischen Ambivalenz seiner Hauptcharaktere. Indem man den Fokus in #1.03 ...und der Sack ist im Fluss insbesondere auf das Dilemma legt, in dem sich Walter befindet, wird die sich in ihm breit machende Ohnmacht offenbart und durch seine Erinnerungsfetzen, die dieses Bild stimmig ergänzen, noch stärker herauskristallisiert. Falls es jemals vorher Stimmen gab, die sich nicht vorstellen konnten, mit einem Meth-Koch mitfiebern zu können, wenn dieser das Leben anderer Menschen auf dem Gewissen hat, ist nun eines Besseren belehrt worden. Diese Episode, erst die dritte der Serie, zeigt eindrucksvoll, dass "Breaking Bad" sich dem diffizilen Unterfangen der glaubwürdigen Zeichnung eines derart vielschichtigen Charakters bewusst ist und es aktuell keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass ihr dies in Zukunft nicht mehr gelingen könnte. Bravo.

Andreas K. - myFanbase

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