Review: #1.05 Grauzonen
Vielleicht ist das die Episode. Vielleicht ist #1.05 Grauzonen die Episode, die die Serienfigur Walter White, dessen Motivation und all die Gedanken und Ängste, die ihn plagen, zum allerersten Male in derart umfangreichem Maße thematisiert und damit essentiell für die Entwicklung unseres Protagonisten und vor allem für "Breaking Bad" selbst ist. Auf der einen Seite nutzt Walter endlich die Möglichkeit, sich zu artikulieren und seinem Umfeld verstehen zu geben, was in seinem Kopf vorgeht, auf der anderen Seite kann er eben doch nicht gänzlich aus seiner Haut und gibt seinen äußeren Widerstand auf. Doch der innere Widerstand bleibt, und damit auch die Aussicht auf gleichermaßen interessante wie spannende künftige Episoden.
"It's just basic chemistry, yo."
Nachdem für Jesse die Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit mit Walter in immer weitere Ferne rückt, sieht er sich nach anderen Jobs um. Also bewirbt er sich als Verkäufer bei einer Immobilienfirma - zumindest denkt er das. Denn Jesse muss schnell erfahren, dass er trotz seiner Verkaufserfahrung, auf die er nochmals ausdrücklich hinweist (gut, dass er wenigstens nicht sagte, was er so besonders gut verkaufen kann), für die Position des Verkäufers überhaupt nicht in Frage kommt, sondern vielmehr Werbung für das Unternehmen in einem mehr als peinlichen Kostüm machen soll. Damit sind Jesses Hoffnungen, beim ersten Versuch einen legalen und gutbezahlten Arbeitsplatz zu ergattern, erst einmal zerstört. Da trifft es sich gut, dass er auf seinen alten Kumpel Badger trifft und schnell das Lieblingsgesprächsthema der beiden aufgegriffen wird: Drogen bzw. konkret Crystal Meth. Jesse eröffnet Badger, dass er aus dem Drogenbusiness aussteigen möchte, was diesen dazu veranlasst, Jesses Crystal Meth über den grünen Klee zu loben und ihm seine Hilfe anzubieten, wenn er es sich doch anders überlegen sollte. Diese Alternative ist für Jesse nach seinem mehr als ernüchternden Bewerbungsgespräch natürlich verlockend, auch wenn er es noch nicht zugeben möchte. Tja, wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann mach Crystal Meth daraus. Oder so.
Gesagt, getan. Und so finden sich Jesse und Badger schnell im Wohnmobil (mit "Lüftungslöchern!") wieder, wo letzterer die Professionalität des Equipments und Jesses neu erworbenes Wissen bestaunt. Das hält Badger jedoch nicht davon ab, eben jene neue Professionalität konsequent zu boykottieren und die gemeinsame Tätigkeit des Kochens nur bedingt ernstzunehmen. Das Ergebnis kann man sich denken - minderwertiges Crystal. Wobei "minderwertig" natürlich relativ ist. Badger würde auch dieses liebend gern an den Mann bringen und fände sicherlich genug Abnehmer. Aber Jesse weiß durch seine Zusammenarbeit mit Walter eben mittlerweile, was es bedeutet, ein qualitativ hochwertiges Produkt herzustellen und möchte sich nicht mit weniger zufrieden geben. Das führt zum unvermeidlichen handfesten Streit zwischen Jesse und Badger und beim Zuschauer zur interessanten Erkenntnis, dass Jesse Walter in so manchen Punkten ähnlicher ist, als es ihm vielleicht lieb wäre. Während die gemeinsamen Szenen Jesses mit Badger für den einen oder anderen Schmunzler sorgen (Armbrust, anyone?), sind sie doch vor allem dazu da, um aufzuzeigen, dass sich Jesse von seinem Ich, das es noch wenige Tage und Wochen zuvor gab, zusehends entfernt. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit einer künftigen Wiederaufnahme der Kooperation mit Walter. Bevor dies jedoch geschehen kann, muss Walter eine wichtige Entwicklung in dieser Episode durchmachen.
"The invitation said no gifts!"
Zunächst wird Walter mit seiner eigenen Vergangenheit und einem möglichen Gegenwartsszenario konfrontiert, als er die Geburtstagsfeier seines ehemaligen Geschäftspartners Elliott Black besucht, jenem Elliott, der auf der Grundlage der gemeinsamen Errungenschaften mit Walter sein überaus erfolgreiches Technologieunternehmen "Gray Matter Technologies" gründete und dafür nun ein augenscheinlich perfektes Leben führt: mit Gretchen eine Ehefrau, die, wie man später erfährt, mehr als nur die Laborpartnerin Walters war, ein atemberaubendes Heim und vielzählige wie großzügige Freunde. Unweigerlich wird sich Walter versucht haben, in Elliotts Leben hineinzuversetzen, denn schließlich hätte das, was ihm da dargeboten wird, auch sein Leben sein können. Stattdessen ist er ein gnadenlos überqualifizierter und unzureichend gewürdigter Chemielehrer mit Krebs. In Momenten wie diesen ist es bewundernswert, wie augenscheinlich gelassen Walter hier reagiert. Man hat fast das Gefühl, als habe sich Walter mit seinem Leben arrangiert. Aber eben nur fast. Denn was Walter bei all den Rückschlägen, die er immer wieder zu erleiden hat, vor allem missmutig stimmt ist, wenn andere für ihn bestimmen, was der nächste sinnvolle Schritt in der Walterschen Lebensplanung ist.
Dabei beginnt Walters Gespräch mit Elliott eher harmlos und beinhaltet die gute alte Zeit und damit verbundene Erinnerungen. Als Elliott Walter schließlich einen Job bei "Gray Matter Technologies" anbietet und dieser die Offerte mit dem Verweis auf "persönliche Probleme" ablehnt, reagiert Elliott jedoch allzu verdächtig und verweist auf die ausgezeichnete Krankenversicherung, die Walter genießen könnte, wenn er Teil des Teams wäre. Die logische Schlussfolgerung kann also nur sein, dass Skyler Elliott von Walters Gesundheitszustand erzählt hat. Während Skyler also das einzig Vernünftige tut und Walters offensichtlich steinreichen ehemaligen Geschäftspartner indirekt um Geld bittet, indem dieser für die Behandlungskosten aufkommt, ist Walter für seine Verhältnisse geradezu außer sich, lehnt Elliotts großzügiges Angebot ab und ist alles andere als gut auf Skyler zu sprechen. Während man sich als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt trotz der bisherigen Erfahrungen mit Walter unweigerlich fragen muss, was zur Hölle in Walter gefahren ist, offenbart die folgende, durch Skyler initiierte Intervention, Walters Gedankengänge.
"Guess you won the jackpot."
Ach ja, zuvor möchte Walter, Jr. einen Polizisten in Zivil dazu bringen, ihm und seinen zwei Kumpels Bier zu kaufen. Natürlich weiß er nicht, dass er es mit einem Polizisten zu tun hat und natürlich wird er erwischt. Viel verwunderlicher ist da, dass Walter, Jr. sich zu einem derartigen Unsinn hinreißen lässt. Die gesundheitlichen Probleme seines Vaters hin oder her, so wirklich verständlich wurde einem das nicht gemacht, wieso der Sohnemann das tut, was er tut. Nachdem aber auch hier unweigerlich bei Skyler, Marie und Co. der Gedanke aufkommt, dass dies eine Reaktion auf Walts Diagnose sein muss, hat der kleine Ausflug von Walter, Jr. in den jugendlichen Leichtsinn wenigstens zusammen mit Walters unverständlicher Reaktion auf Skylers Initiative und dem darauf folgenden Angebot Elliotts den Sinn, die Notwendigkeit einer Intervention hervorzuheben. Zudem erfährt Skyler von Hank, dass eigentlich Walter, Jr. derjenige mit dem Marihuanaproblem sei, was sie nur noch misstrauischer gegenüber Walters Kontakt zu Jesse macht. Ansonsten ist dieses kleine Intermezzo jedoch eher unpassend.
"What I want, what I need, is a choice."
Und so versammeln sich Skyler, Marie, Hank und Walter, Jr. im Wohnzimmer der Whites, um Walter gemeinsam davon zu überzeugen, Elliotts Angebot anzunehmen. Dabei offenbart Skyler einmal wieder ihr pedantisches Wesen, als sie darauf beharrt, dass nur derjenige sprechen dürfe, der ein Kissen in der Hand hält, das einen zu eben jenem berechtigt. Geschickt wird so zum einen für etwas comic relief gesorgt, zum anderen führt Skylers ungeschicktes (aber im Wesen voll und ganz richtiges) Verhalten dazu, dass sich die Sympathie des Zuschauers zwangsläufig Walter zuwendet. Selbst Marie und Hank sind irgendwann der Meinung, dass Walter das tun solle, was er für richtig hält, was insbesondere Skyler sichtbar verärgert. Als dies zum Anlass für ein lautstarkes Streitgespräch wird, folgt Walters Monolog, der in der Wortwahl, in seiner Mimik und vor allem in dessen Konsequenz schlichtweg beeindruckt und gleichzeitig berührt.
Jahrelang hat Walter sich von anderen vorschreiben lassen, was er tun soll. Jahrelang hat er alles getan, um seinem Umfeld so wenig Ärger wie möglich zu verursachen, selbst wenn das bedeutete, sich und seine eigenen Wünsche bis zu einem gewissen Punkt komplett zu verleugnen. Und nicht erst seit der direkten Konfrontation seines aktuellen, alles andere als zufriedenstellenden Lebens mit dem vermeintlich perfekten von Elliott, reift in Walter zusehends die Erkenntnis, dass er auch mal an sich selbst denken und egoistisch sein muss, um aus diesem Teufelskreis zu kommen. Sicherlich ist Walters Wunsch, die Krebsbehandlung nicht in Anspruch zu nehmen, auch in Anbetracht der Verantwortung, der er sich dadurch entzieht, nur bedingt vernünftig. Sein Wunsch nach Selbstbestimmung ist es jedoch.
"Wanna cook?"
Als Walter daher kurze Zeit später Skyler eröffnet, dass er sich nun doch behandeln lässt, mutet das auf den ersten Blick inkonsequent an, wenn man den Verlauf des vorangegangenen Abends rekapituliert. Dabei zeigt Walter doch nur, dass er um die schwerwiegenden Probleme weiß, wenn er Skylers großem Wunsch nicht folgt. Man mag es als Wunsch, seiner Frau und seiner restlichen Familie nicht noch mehr zumuten zu wollen, als dies ohnehin bereits der Fall ist, interpretieren. Vielleicht ist es auch zu einem gewissen Maße schlichtweg Feigheit, sich gegenüber Skyler durchzusetzen und die Angst davor, entgegen seines bisherigen Instinkts zu handeln. Wohl eine Mischung aus allem. In jedem Fall aber ist der äußere Widerstand gefallen. Was bleibt, ist der innere Widerstand; und diesen möchte Walter aufrechterhalten. Also erzählt er Skyler, wie Elliott und Gretchen für die nun fälligen Behandlungskosten aufkommen, um im gleichen Atemzug die Hilfe der beiden ihnen gegenüber durch eine Lüge auszuschlagen. Damit hat er sich selbst letzten Endes bewusst in eine Ecke manövriert, die auf den ersten Blick nur einen Ausweg übrig lässt: Walter und Jesse kochen wieder gemeinsam Crystal Meth.
Fazit
Nach #1.05 Grauzonen versteht man Walters Verhalten und seine Gründe hierfür deutlich besser, als dies vorher der Fall war. Auffällig ist, dass er seine Gedankengänge zum ersten Mal zumindest teilweise auch extern kommuniziert. Vor allem jedoch beweist Walters Handeln, wie komplex das ist, was im Hintergrund geschieht und dass alles, was er tut, das Resultat einer aus seiner Sicht sorgfältigen Abwägung aller Argumente und Einflüsse ist und es längst kein Schwarz oder Weiß mehr gibt. Während man ihn bisher vor allem anhand seiner Taten beurteilte, kann man nun eher nachvollziehen, warum er so agiert, wie er es tut. In diesem Kontext ist die vorliegende Episode daher immens wichtig für das Verständnis des Zuschauers und für dessen Sympathien für Walter und sorgt gleichzeitig dafür, dass unausweichlich weiter auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit Walters mit Jesse hingearbeitet wird, was sicherlich zu allerlei Spannung führen wird.
Andreas K. - myFanbase
Die Serie "Breaking Bad" ansehen:
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Gray MatterErstausstrahlung (US): 24.02.2008
Erstausstrahlung (DE): 23.10.2010
Regie: Tricia Brock
Drehbuch: Patty Lin
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