Review: #1.06 In der Höhle des Löwen
Break Bad (v.) 1. to challenge convention 2. to defy authority 3. to raise hell
Spätestens mit dieser Episode hat "Breaking Bad" seine Namensgebung nun aber wirklich verdient. Das waren die bisher intensivsten und aufregendsten 48 Minuten seit Start der Serie. Nicht nur, dass Walter nun zu Heisenberg geworden ist, seinem Alter Ego auf der Straße, Hank ist ihm darüber hinaus immer dichter auf den Fersen, Jesse zeigt einmal wieder, dass er durchaus mehr ist als der Taugenichts und Drogendealer/-konsument und die ersten spürbaren Nebenwirkungen der Chemotherapie treten auf und verleiten Walter dazu, sich von seinem Job freistellen zu lassen und eine Glatze zu rasieren. Dazu bekommt man zusehends Einblick darin, wie Walters Handeln Auswirkungen auf sein Umfeld hat und bekommt darüber hinaus wieder einmal einen Bryan Cranston serviert, der schauspielert wie von einer anderen Welt. Mehr geht nicht.
"This, the chemistry, is my realm. I am in charge of the cooking."
Wie unter anderem bereits beim Piloten bedient sich "Breaking Bad" auch diesmal wieder dem Stilmittel des Flashforwards, des Blicks in die Zukunft. In diesem Fall wird ganz zu Beginn der Episode durch kleine Einspieler gezeigt, wie sie zu Ende gehen wird. Die Idee, #1.06 In der Höhle des Löwen so beginnen zu lassen, ist nun zwar wahrlich keine Erfindung von Vince Gilligan und Co., aber derart sinnvoll und überzeugend wurde sie bisher auch bei anderen Serien höchst selten umgesetzt, wenn überhaupt. Das liegt vor allem an dem Kontrast, der geschaffen wird. Auf der einen Seite Walter zu Beginn der Episode, wie er Jesse deutlich zu machen versucht, dass er ausschließlich dafür verantwortlich ist, das Meth zu kochen, während Jesse die Distribution übernimmt. Auf der anderen Seite Walter am Ende der Episode, wo er sich genau dort befindet, wo er nie sein wollte: auf der Straße, im unmittelbaren Kontakt mit einem Milieu, dem er sich nicht zugehörig fühlt und das auch eigentlich nie möchte. Diese Rollenteilung ist Walter mehr als wichtig, wenn er sich schon wieder darauf einlässt, Meth zu kochen - ein Entschluss, den er erst kurz zuvor getroffen hat. Das alles wohlgemerkt, bevor überhaupt das Opening Theme erscheint.
"The faster they undergo change, the more violent the explosion."
Walter, der sich mittlerweile vor allem auf Drängen seiner Familie nun doch einer Chemotherapie unterzieht, lügt nicht nur seine Frau Skyler an, als er ihr erzählt, dass er bereits Geld von Gretchen erhalten habe, sondern beginnt auch, die Nebenwirkungen der Therapie deutlich zu spüren, als er Chemie unterrichtet. Auch hier wird zudem wieder äußerst intelligent angedeutet, was erst später zu sehen sein wird. Denn nicht nur doziert Walter während der Unterrichtsstunde darüber, dass schnelle chemische Reaktionen die meiste Energie freisetzen und im Fall von Explosionen diese umso heftiger sind, je rascher sie Veränderungen unterworfen sind, Walter hat auf die Tafel sogar sowohl den Namen als auch die chemische Formel für Knallquecksilber geschrieben, was im späteren Verlauf noch zu einem integralen Bestandteil werden wird. Darüber hinaus kann man das, wovon Walter erzählt, auch durchaus auf ihn selbst übertragen, denn niemand hätte gedacht, dass aus dem Walter im Klassenzimmer nur kurze Zeit später der Walter wird, der sich "Heisenberg" nennt. Walters Wandlung ging derart schnell vonstatten, Walters Reaktion bei Tuco war dermaßen unvorhersehbar und für Walters Verhältnisse so ungewohnt hart, dass Walters Ausführungen über Explosionen durchaus auch auf ihn selbst zutreffen könnten.
"I get it now. That's why you're doing all this. You wanna make some cash for your people before you check out."
Eine schöne Kontrastwirkung entwickelt die gemeinsame Szene von Walter, Walter, Jr. und Skyler bei einer Art Gruppentherapie. Skyler und ihr Sohn wundern sich zunehmend darüber, dass Walter oft erst sehr spät nach Hause kommt. Walters Antwort darauf? Er ist eben gern allein, geht dann gern spazieren und genießt die Natur, die Kakteen. Und genau in diesem Moment wird der Wohnwagen eingeblendet, in dem Walter Meth kocht, inmitten einer weitläufigen Wüste – mit Kakteen. Genialer kann man überhaupt nicht von einem Szenario zum nächsten schwenken. In der folgenden Szene erfährt Jesse nun endlich, dass Walter Krebs hat, allerdings nicht, weil Walter es ihm erzählen würde, sondern weil Jesse aufgrund des Krebsleidens seiner Tante, dem sie sieben Monate später erlag, eins und eins zusammenzählen kann. Auch hier geht die Serie nicht den einfachen Weg und stellt Jesse als Drogendealer dar, der sowieso nicht mehr mitbekommt, was in seinem Umfeld geschieht, sondern als jemanden, der umsichtig und richtiggehend fürsorglich ist. Jesse weiß damit gleichzeitig nun endlich, weswegen Walter das alles tut und weswegen es ihm nicht genug ist, dass Jesse immer nur sehr geringe Mengen an Meth an den Mann bringt, insbesondere nachdem Walter seine Tätigkeit als Lehrer fürs Erste aufgrund seiner Krankheit bzw. den Nebenwirkungen der Chemotherapie nicht mehr ausüben kann. Die beiden brauchen jemanden, dem sie das Meth verkaufen und der es dann im großen Stil verteilt, denn das Risiko, das vor allem Walter auf sich nimmt, ist zu groß für den geringen Rückfluss an Geld, den die beiden momentan erhalten. Dafür bietet sich Tuco an, der den Platz des verstorbenen Krazy 8 eingenommen hat.
"Do you recognize that?"
Unterdessen weiß Hank mittlerweile, woher die Gasmaske stammt, die sie in der Wüste gefunden haben, ist dort doch vermerkt worden, dass sie Eigentum der Schule ist, an der Walter unterrichtet. Hank konfrontiert daraufhin Walter damit, ohne jedoch wirklich Verdacht zu schöpfen, dass dieser etwas damit zu tun haben könnte. Hank findet heraus, dass nicht nur eine weitere Gasmaske, sondern auch zahlreiche andere Utensilien aus dem Inventar des Chemielabors fehlen. Ebenso erfährt Walter durch eine beiläufige Bemerkung Hanks, dass Krazy 8 ein Informant der Polizei war. Für den Diebstahl scheint Hank schnell einen Schuldigen gefunden zu haben, in diesem Fall den Hausmeister der Schule, Hugo, der bereits öfter wegen des Besitzes von Drogen aufgefallen ist, selbstverständlich einen Schlüssel zum Chemielabor hat und zudem regelmäßig Marihuana konsumiert. Hier erfährt Walter zum ersten Mal, dass sein Handeln sich durchaus negativ auf andere auswirken kann, denn Hugo ist unschuldig, gibt aber offensichtlich einen guten Sündenbock ab.
"Nobody moves crystal in the South Valley but me, bitch!"
Während Walter also fürs Erste den Kopf aus der Schlinge gezogen hat, hat Jesse neue Probleme. Denn obwohl sein Kumpel Skinny Pete es geschafft hat, ihm eine Audienz bei Tuco zu verschaffen, verläuft das Treffen nicht wie geplant. Tuco, der seit einem Jahr aus dem Gefängnis raus ist und dort mit Skinny Pete saß, ist nicht nur undurchschaubar, sondern auch schlichtweg das, was man gemeinhin als Psychopathen bezeichnen würde. Er nutzt daher Jesses Unerfahrenheit in Bezug auf große Deals knallhart aus und behält nicht nur das kristallklare Meth im Wert von 35.000 $, sondern verprügelt ihn auch aufs Übelste, nachdem er ihm kurz zuvor in Aussicht gestellt hat, dass er bezahlen würde. Sicherlich hat sich Jesse ein wenig aus dem Fenster gelehnt, als er verlangt hat, das Geld bereits im Vorfeld zu erhalten, und ganz allgemein etwas unbeholfen agiert, aber jemanden wie Tuco, der durch und durch einen wahnsinnigen Eindruck erweckt, konnte selbst er nicht erwarten.
"Nothing personal, Walt, but you wouldn't know a criminal if he was close enough to check you for a hernia."
Eine interessante Signifikanz besaß das Pokerspiel von Walter, Hank, Marie, Skyler und Walter, Jr., vor allem in Bezug auf die Beziehung zwischen Hank und Walter. Hank denkt von Walter – bis vor kurzem nicht gerade unbegründet -, dass dieser völlig jungfräulich ist, wenn es darum geht, Kriminelle zu kennen, geschweige denn einer zu sein. Insbesondere deswegen hat Walters Pokerface, das ihm dann schließlich den Jackpot einbrachte, nicht nur Hank mehr als überrascht bzw. kurzfristig sogar regelrecht geschockt. Walter hat sich deutlich weiterentwickelt in den vergangenen Episoden, und es fällt ihm zunehmend leichter, zu bluffen/lügen ohne dabei mit der Wimper zu zucken. War Walter bisher mit Sicherheit ein gefundenes Fressen bei jedem gemeinsamen Pokerspiel mit Hank, hat er es mittlerweile vor allem durch die Erfahrungen, die er die vergangenen Wochen gemacht hat, geradezu perfektioniert, Geheimnisse zu verbergen, was umso erstaunlicher ist, als dass er erst kurz zuvor durch die Blume erfahren hat, was mit ihm geschehen wäre, wenn man ihn erwischt hätte. Die zahlreichen Doppeldeutigkeiten zwischen Hank und Walter haben so aus einem Pokerspiel so viel mehr gemacht als das.
"Let me get this straight. I steal your dope. I beat the piss out of your mule boy. And then you walk in here and bring me more meth?"
- "You got one part of that wrong. This is not meth."
Die Szene, die die vorliegende Episode jedoch vollends großartig macht, ist die Schlussszene. Zuvor erfährt Walter nicht nur, was Tuco mit Jesse angestellt hat, sondern erscheint zudem – zum Schock seiner Frau und zum Gefallen seines Sohns - mit frisch rasierter Glatze am Frühstückstisch, nachdem er büschelweise Haare nach der morgendlichen Dusche in der Hand hatte. Walter möchte also Tuco konfrontieren und legt sich nicht nur mit dessen Türsteher an, sondern verlangt zudem 50.000 $ von ihm – 35.000 $ für das von ihm gestohlene Meth und 15.000 $ als Schmerzensgeld für Jesse. Als Zuschauer ist man spätestens dann aufgestanden und starrt mit offenem Mund auf das Geschehen. Woher nimmt Walter den Mut, von jemandem, der seinen Partner derart verprügelt hat und sich gerade die Zigarette auf der eigenen Zunge ausgedrückt hat, ohne Gegenleistung 50.000 $ zu verlangen? Das kann nur Dummheit und mangelnde Erfahrung sein. Aber nein, das Meth, was Walter Tuco gebracht hat, ist eben gerade keines, sondern Knallquecksilber, also genau das, was Walter einige Minuten zuvor im Chemieunterricht erwähnte. Nach der ersten deftigen Explosion durch einen kleinen Kristall ist Tuco derart eingeschüchtert, dass er Walter das geforderte Geld gemeinsam mit dem Versprechen gibt, von nun an wöchentlich zwei Pfund Meth abzunehmen und unter die Leute zu bringen. Sichtlich gezeichnet und dennoch mit einem wild entschlossenen Blick verlässt Walter das Geschehen und setzt sich in sein Auto, lässt dort all das sich angestaute Adrenalin in einem Wutausbruch raus und ist danach sichtlich zufrieden.
Fazit
Diese Episode hat alles, was man sich nur wünschen kann, denn auch inszenatorisch (die Montage mit dem dealenden Jesse, die Einstellung mit den Einschusslöchern und dem Staub im Wohnwagen und vieles mehr) und musikalisch gibt sich "Breaking Bad" keinerlei Blöße. Und neben einem der großartigsten Momente des Fernsehens der letzten Jahre hat man quasi nebenher gemeinsam mit Walter die Gewissheit erhalten, dass dessen Handeln durchaus Konsequenzen für die hat, die sich in seinem Wirkungskreis bewegen. Denn auch wenn Walters Kampf mit dem Krebs eine höchst private Angelegenheit ist, beeinflusst er doch so viel mehr als nur sich selbst. Walters Reaktion auf sein bestimmendes Auftreten bei Tuco hat ihm ein Gefühl gegeben, das er in den letzten Jahren mit Sicherheit nicht gefühlt hat, und stellt damit die Grundlage für den gesamten Handlungsverlauf der Serie dar. Wie sehr wird Walter zu Heisenberg, welche Auswirkungen hat das auf seine Familie, wie lange kann eine geschäftliche Beziehung mit jemandem wie Tuco überhaupt funktionieren, wie lange lässt Walter die unerwünschte Chemotherapie mit all ihren heftigen Nebenwirkungen über sich ergehen? Man darf gespannt sein, insbesondere nachdem die Messlatte hiermit so dermaßen hoch gelegt wurde.
Andreas K. - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Crazy Handful of Nothin'Erstausstrahlung (US): 02.03.2008
Erstausstrahlung (DE): 23.10.2010
Regie: Bronwen Hughes
Drehbuch: George Mastras
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