Review: #3.10 Die Fliege
Eine Episode als Kammerspiel zu inszenieren ist keine Erfindung von "Breaking Bad". Oft wird dieses Stilmittel aus einem recht simplen Grund benutzt: um Geld für Schauspieler, Kulisse, Requisiten und ähnliches zu sparen. Dennoch sind oft genau diese Episoden mit die interessantesten einer Serie, da sie sich auf den Kern fokussieren können, das Gefühlsleben und die Interaktionen zwischen zumeist lediglich zwei Menschen. Dazu kommt, dass "Breaking Bad" nicht "Breaking Bad" wäre, wenn es neben diesen Aspekten nicht noch so viel mehr bieten würde.
"There's been a contamination."
Dass Walter und Jesse eine gesamte Episode lang eine Fliege jagen, ist daher auch wirklich nur eine sehr oberflächliche Beschreibung des Geschehens. #3.10 Fly beginnt mit der wachsenden Unzufriedenheit Jesses darüber, gemeinsam mit Walter für die Sauberkeit innerhalb des Labors zu sorgen, obwohl ihre Arbeitszeit (verständlicherweise) deutlich besser aufgehoben wäre bei der eigentlichen Herstellung von Meth. Walter lässt Jesse wie immer drauf losreden (und in dem Fall ein sehr plastisches Beispiel von Unterwürfigkeit bei Hyänen vortragen), reagiert sonst aber eher unbeteiligt.
Walters Gemütszustand ändert sich jedoch deutlich, als er nachrechnet, dass der Ertrag von Meth durchgehend zu wenig ist, wenn auch nur geringfügig. Auch wenn Jesse, der bekanntlich dafür verantwortlich ist, dass weniger Meth ankommt als gekocht wurde, versucht, Walter davon zu überzeugen, dass dies durch Verschüttung, Verdampfung und Kondensation geschehen sei, ist dies selbstverständlich unmöglich bei jemandem mit Walters Wissen im Bereich der Chemie. Hier ist sie wieder, eine dieser schönen Lehrer-Schüler-Szenen, bei denen Walter, manchmal mit Geduld, manchmal kurz angebunden, Jesse etwas beizubringen versucht. Nachdem Jesse das Labor verlässt, beginnt der eigentliche Plot der Episode, wenn man diesen so nennen mag. Auftritt Fliege.
Als Walter eine Fliege im Labor entdeckt und versucht, sie auf jede mögliche Art und Weise zu erwischen und dabei sogar von der Brüstung stürzt, wird eines offensichtlich: Selbst Walters Besessenheit für Chemie kann sein Verhalten nicht mehr zur Gänze erklären. Die Zwangsneurose, die Walter entwickelt, macht deutlich, dass er, um es einmal sehr simplifiziert auszudrücken, dabei ist, den Verstand zu verlieren.
"There is no more room for error. Not with these people."
Anders lässt sich zumindest kaum noch erklären, wie Walter im Labor übernachtet und auch im weiteren Zeitverlauf einen zunehmend besorgniserregenden Eindruck macht. Selbst Jesse, der kurz vor Dienstantritt unfreiwillig an Jane erinnert wird, macht einen sortierteren Eindruck als Walter. Als Walter dann auch noch Jesse befiehlt, nicht mit dem Kochen zu beginnen, bis die "Kontamination" beseitigt ist und ihn sogar noch mit einer behelfsweise zusammengebastelten Fliegenklatsche schlägt, als dieser seinen Rat missachtet, muss man sich wirklich fragen, was mit Walter los ist. Denn - und damit hat Jesse nicht nur Recht, sondern versucht auch, die bitter nötige Portion an Realitätssinn bei der Drogenherstellung in die Unterhaltung mit einzubringen - Walter und Jesse stellen nun mal eine tödliche Droge für ein Klientel her, das so anspruchslos bei der Auswahl ihres Konsumgutes ist wie wohl kaum ein anderes.
Walter schließt letzten Endes Jesse sogar aus dem Labor aus, da Jesse dessen Handeln in Frage stellt. Jesse rächt sich auf seine ganz eigene Art und Weise und kappt die Stromversorgung zum Labor. Man kann nur froh sein, dass Jesse auf seiner Suche nach einer großen Axt noch von dieser Möglichkeit, es Walter heimzuzahlen, abgelenkt wurde. Denn Jesse mit einem Gegenstand wie einer Axt hätte für alle Beteiligten gefährlich werden können, wenn Jesse mit der Handhabung ähnliche Probleme gehabt hätte wie mit der Bewältigung der spanischen Sprache.
"There must exist certain words in a certain specific order that would explain all of this. But with her I just... I just can't ever seem to find them."
Jesse, wieder mit Zutritt zum Labor, kommt auf eine Idee, die Walter offensichtlich noch gar nicht eingefallen ist, nämlich den Einkauf diverser Mittel und Wege zum Loswerden der Fliege. Dass dabei auch einige unwirksame und teilweise für den Kochvorgang richtiggehend schädliche Mittel dabei sind, war genauso klar wie Walters Fähigkeit, Jesse eben dies unter die Nase zu reiben. Zumindest die Klebestreifen scheinen jedoch eine gute Anschaffung zu sein und finden zu Dutzenden Einzug unter dem Labordach. Nachdem nun jemand anders die Jagd nach der Fliege unternimmt, können sich Jesse und Walter zurücklehnen und sich unterhalten (bzw. dem anderen Schlaftabletten in den Kaffee schmuggeln), womit der fabelhafte Part der Episode beginnt.
Langsam aber sicher wird nämlich klar, warum sich Walter so seltsam verhält. Da wäre zunächst die Angst vor Gus und dessen Entourage, nachdem er erfahren hat, zu welchen Mitteln Gus bereit ist, um seine Ziele zu erreichen. Dazu kommt, dass Walter kaum noch in der Lage ist, all seine Lügen, die er sich in den letzten Monaten zurecht gelegt hat, noch in Einklang miteinander zu bringen. Eine gewisse Todessehnsucht kann er ebenso nicht verbergen, als er anmerkt, dass er den perfekten Moment, um seinem Leben ein Ende zu setzen, verpasst habe. Über Umwege kommen sie so unter anderem auch auf Janes Tod zu sprechen und auf den Zufall, dass Walter in derselben Nacht auf ihren Vater Donald trifft und mit ihm über Familie spricht.
Das Setting und Walters Angeschlagenheit waren im Grunde prädestiniert für eine Beichte, dass er ihr nicht half, als sie an ihrem eigenen Erbrochenen starb, und sorgten damit auch für eine gehörige Spannung. Wie sich am Ende herausstellt, kam die Beichte jedoch nicht – noch nicht. Wenn Jesse wüsste, dass Walter untätig dabei zusah, wie Jane starb, dann hätte er sicherlich die Aussage, dass niemand an ihrem Tod schuld sei, zurück genommen. Ob Jesse je erfährt, was in der Nacht wirklich geschah? Nicht minder interessant ist zudem die in Walter wachsende Frustration darüber, dass Skyler Walters Beweggründe, Meth zu kochen, nicht nachvollziehen kann. All die unterschiedlichen Eindrücke und damit verbundenen Enttäuschungen haben ganz offensichtlich einen tiefen Eindruck bei Walter hinterlassen, den nun auch sein Umfeld und der Zuschauer offen zu Gesicht bekommt.
"I won't be able to protect you."
Neben dem Einblick in das Seelenleben Walters treibt diese Episode aber auch eine ganz wichtige Entwicklung voran, die Freundschaft zwischen ihm und Jesse. Sah es in der zweiten Staffel noch nach dem ultimativen Bruch zwischen den beiden aus, sind es Erfahrungen wie die im Labor, die für eine weitere Annäherung sorgen. Walters Beziehung zu Jesse ist wieder deutlich respektvoller, wie die Szene am Ende, als die Fliege geschnappt ist und Walter Jesse den Hinweis gibt, dass er ihn nicht beschützen könne, wenn Jesse Meth mitgehen lässt und Gus dies rausfindet, eindrucksvoll zeigt.
Fazit
Hat uns diese Episode handlungstechnisch erwähnenswert nach vorne gebracht? Nein. Ist das bei einer Serie wie "Breaking Bad", die so unendlich viel mehr ausmacht als nur der offensichtliche Handlungsstrang, wirklich ein Kritikpunkt? Nein, auch das nicht. #3.10 Fly ist ein Kammerspiel, das eine ganz ungewöhnliche Faszination durch die Fokussierung auf die zwei Hauptdarsteller und einen Blick in ihre schwerste Stunden ausstrahlt, der man sich nicht entziehen kann.
Andreas K. - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: FlyErstausstrahlung (US): 23.05.2010
Erstausstrahlung (DE): 08.11.2011
Regie: Rian Johnson
Drehbuch: Sam Catlin & Moira Walley-Beckett
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