Bewertung

Review: #3.12 Halbe Sachen

Die Macher von "Breaking Bad" hatten schon immer ein Händchen für ausgefallene und höchst amüsante Anfangssequenzen. Sei es nun die Heisenberg-Ballade aus #2.07 Negro Y Azul oder Walters Begegnung mit einem Streifenpolizisten in #3.02 Caballo Sin Nombre, manchmal kann man sich bei dieser Serie trotz der düsteren Handlung einfach nicht das Grinsen verkneifen. Und so wartet auch das Halbfinale der dritten Staffel mit einer derart famosen Einstiegsszene auf, dass man sich kaum vorstellen kann, dass ihre Protagonistin, die Prostituierte und Drogenabhängige, die Jesse in #2.03 Gedächtnisschwund noch ein Alibi verschaffte, nur rein zufällig Wendy heißt. Zu sehr passt der 60s-Song "Windy" von The Association einfach zu Wendys Figur, zu sehr die Zeile "Who's bending down to give me a rainbow" zu ihrem (Blow-)Job. Der musikalisch schlichtweg genial unterlegte Auftritt von Jesses Drogenfreundin dient aber natürlich keinesfalls bloß zur Erheiterung der Zuschauer, sondern ist – wie schon bald ersichtlich wird – auch storytechnisch von höchster Relevanz. Denn Wendy ist das nötige Bindeglied zum Feind und somit der Schlüssel zum Erfolg von Jesses Rachefeldzug gegen die Mörder seines Freundes Combo.

"You are not a murderer. I'm not, and you're not. It's as simple as that."

Letztlich ist es aber nicht Wendy, sondern Walter, der Jesse einen Strich durch die Rechnung macht. Denn der zeigt sich zwar durchaus schockiert von den Neuigkeiten, die er von Jesse erfährt, weigert sich jedoch vehement, ihn in seinem Vorhaben zu unterstützen, die beiden Drogendealer, die ein elfjähriges Kind dazu angestiftet haben, Combo zu ermorden, durch Rizin zu vergiften. In einer unheimlich intensiven und spannungsgeladenen Szene, in der Aaron Paul einmal mehr deutlich macht, dass seine schauspielerische Leistung genauso Emmy-würdig ist wie die seines Kollegen Bryan Cranston, appelliert Walter an Jesses moralische Vernunft und versucht ihn in guter alter Lehrer-Schüler-Manier von seinen (für seine Verhältnisse ungewöhnlich ausgeklügelten) Plänen abzuhalten. Doch in Jesses Augen ist die Situation offenbar nicht so einfach, wie Walter sie darstellt. Denn auch ohne Walters Hilfe will er seine Mordgelüste in die Tat umsetzen und wirkt dabei so wild entschlossen wie noch nie. Und so sieht sich Walt wieder einmal vor einem potentiell desaströsen Problem stehen, das diesmal offenbar nicht einmal Saul lösen kann. Dabei lief doch letztens noch alles so gut für Walter...

"And that is how we'll sell your little fiction."

Nicht, dass es Walter freuen würde, dass Skyler mehr und mehr in seine kriminellen Machenschaften hineingezogen wird. Im Gegenteil, hätte er es am liebsten, wenn sie einfach bloß sein illegal verdientes Geld annehmen würde ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen, damit sie im Fall der Fälle jegliche Komplizenschaft glaubwürdig abstreiten kann. Doch Skyler will – ironischerweise wie Walt – mit allen Mitteln ihre Familie schützen und nimmt daher auch bereitwillig eine gewisse Mitschuld auf sich, wenn dadurch sicher(er) gestellt werden kann, dass Walt nicht auffliegt. Walter hingegen hält Skylers Version der Geldwäsche-Geschichte lediglich dann für wirklich glaubwürdig, wenn er aktiv am Familienleben teilnimmt. Und so weicht seine Hartnäckigkeit in Bezug auf Skylers Involviertheit in seine Meth-Geschäfte plötzlich ganz schnell einer gewissen Kompromissbereitschaft, als er die Chance wittert, wieder mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen und offenbar gar Hoffnungen auf eine etwaige Versöhnung mit seiner Frau hegt. Letztere lässt Skyler zwar sogleich wieder auf ihre herrlich bissige Art zerplatzen, Walts begierigem Verlangen danach, sich mehr um seine Kinder zu kümmern, muss sie aber schließlich nachgeben. Dieser kleine Verhandlungserfolg bildet in dieser folgenschweren Episode aber auch den einzigen Silberstreif an Walters Horizont...

"No more half measures, Walter."

Denn Jesses unerschütterlicher Beschluss führt zu einer furiosen Kettenreaktion, die die Situation nicht nur deutlich verschärft, sondern völlig eskalieren lässt. Dabei stattet Mike Walter sogar noch einen unerwarteten Besuch ab, um ihn davor zu warnen, halbe Maßnahmen zu ergreifen, die letztlich nur noch alles schlimmer machen. In einem ergreifenden Monolog erzählt er Walt, wie er noch während seiner Karriere bei der Polizei einen Mann, der seine Ehefrau stetig misshandelte und immer wieder damit davonkam, einmal in die Wüste verschleppte und dort zu erschießen drohte. Wie Walt hängt man als Zuschauer dabei gebannt an den Lippen des famosen Jonathan Banks, ahnt Schlimmes und wagt erst dann wieder zu atmen, als man schließlich erfährt, dass Mike ihn doch hat leben lassen. Als man jedoch wenig später mit anhören muss, wie Letzterer seine Frau nur wenig später tötete, schnürt es einem regelrecht die Kehle zu, so bitter wirkt Mike in seinem Nachsatz "of course", so unangenehm bildhaft ist seine Schilderung des Tatorts. Doch obwohl diese Gänsehaut erregende Ansprache auch Walter sichtlich erschüttert hinterlässt, ignoriert er Mikes implizit angedeutete Message, dass er Jesse ein für allemal loswerden muss, zunächst und greift stattdessen zu einer weiteren "halben Maßnahme", die zwar schärfer ist, als Jesse wie ursprünglich geplant wegen einer Lappalie verhaften zu lassen, letztlich jedoch eben aufgrund ihrer Halbheit – wie von Mike vorhergesehen – verheerende Konsequenzen nach sich zieht.

"You don't look at him, you look at me!"

Es ist schon bemerkenswert, dass der umsichtige und sich stets bedeckt haltende Geschäftsmann Gus, der für gewöhnlich jegliche potentielle Risiken aus dem Weg räumen lässt und keine halben Sachen macht, sich auf eben jene "halbe Maßnahme" – eine erzwungene Friedenschließlung zwischen Jesse und den beiden Dealern, die Combo auf dem Gewissen haben – überhaupt erst einlässt. Noch bemerkenswerter ist jedoch wie Jesse in dieser hochexplosiven Situation, in der Gus zum allerersten Mal kurzzeitig seine kühle und extrem respekteinflößende Beherrschung verliert und dadurch einen sogar noch bedrohlicheren Eindruck erweckt als sonst, furchtlos für seine Ideale einsteht und dem perplexen Gus derart resolut widerspricht, dass selbst Mike sich von seinem (Wage-)Mut beeindruckt zeigt.

"The point is: You're not completely hopeless."

Seinen Mann steht aber auch Hank, obgleich eher unfreiwillig und in einer wesentlich amüsanteren Szene. Denn Marie kann nicht mit ansehen, wie ihr Mann sich – sei es nun aus Stolz oder aus Schamgefühl – einfach nicht entlassen lassen will und lieber noch so lange im Krankenhaus bleibt, bis er wieder laufen kann. So unterbreitet sie ihm den absolut herrlichen und für ihren Charakter so bezeichnenden Vorschlag, mit ihm darum zu wetten, dass sie sein liebstes Stück wieder zum "Leben" erwecken kann, wenn er sich im Gegenzug dazu bereit erklärt, sie nach Hause zu begleiten, falls sie es tatsächlich schaffen sollte. Man könnte meinen, Hank hätte in einer solchen Win-Win-Situation nichts zu verlieren, schließlich darf er bei Wettgewinn seinen Willen durchsetzen und bei einer Niederlage zumindest die Unerschütterlichkeit seiner Männlichkeit unter Beweis stellen sowie Hoffnung auf eine vollständige Genesung schöpfen. Doch interessanterweise scheint er sich über die Standfestigkeit von Hank Jr. so rein gar nicht zu freuen, wie sein herrlich grimmiger Blick auf dem Nachhauseweg bezeugt. Dagegen strahlt Maries unbezahlbares Lächeln auf den Lippen natürlich wahre Wonne aus. Ein kleiner, aber köstlicher Moment, der für etwas Auflockerung in einer höchst brisanten, mitreißenden Episode sorgt.

"Run."

Die Brisanz erreicht ihren absoluten Höhepunkt, als Jesse herausfindet, dass Andreas Bruder trotz der Friedensvereinbarung ermordet wurde und sich daraufhin heldenmütig aufmacht, seinen ursprünglichen Plan umzusetzen. Die nötige Wut im Bauch ist da, den nötigen Mut schnupft er sich an. Ohne Meth im Blut scheint er sich der vor ihm liegenden Aufgabe wohl nicht gewachsen zu fühlen. Und so läuft er, bereits leicht betäubt, mit gezückter Waffe unerschrocken auf seine beiden ebenfalls bewaffneten Zielobjekte zu, während dem Zuschauer fast das Herz stehen bleibt, weil der Verlust eines lieb gewonnenen Charakters droht. Doch Jesse entrinnt dem Tod, da urplötzlich Walters Wagen aus dem Nichts erscheint und die beiden Widersacher über den Haufen fährt. Und als wäre das noch nicht Schock genug, steigt Walt daraufhin aus, greift unwahrscheinlich geistesgegenwärtig nach der am Boden liegenden Waffe, bevor es der verletzte Dealer tun kann, und schießt diesem schließlich kaltblütig in den Kopf. Und sofort spürt man instinktiv: Heisenberg ist zurück. Denn das ist nicht nur Walter White, der da seinen ehemaligen Schüler vor dem sicheren Tod bewahrt, das ist auch die blutige Rache eines wütenden Drogenbarons. Und der macht nunmal keine halben Sachen.

Fazit

Stillsitzen? Unmöglich. Durchschnaufen? Fehlanzeige. Mit einer Intensität, die Ihresgleichen sucht, übertreffen sich die Macher von "Breaking Bad" mit dieser Folge wieder einmal selbst und bieten ihrer treuen Anhängerschaft all das, wonach sie lechzt: rabenschwarzen Humor, fesselndes Drama und nervenzerreißende Spannung, die einen vor lauter Aufregung an den Nägeln kauen lässt. Es deutet also alles auf ein furioses Finale hin. Und wenn das auch noch gelaufen ist, brauchen wir nach dieser Staffel alle erstmal eine anständige Maniküre.

Paulina Banaszek - myFanbase

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