Bewertung

Review: #4.13 Von Angesicht zu Angesicht

Als am 9. Oktober 2011 in den USA die vierte Staffel von "Breaking Bad" zu Ende ging, verabschiedete sie sich im wahrsten Sinne des Wortes mit einem großen Knall. Wenn bei anderen Serien einer der Hauptcharaktere auf spektakuläre Art und Weise getötet wird und man seinen letzten Sekunden beiwohnen kann, wird das im überwiegenden Großteil der Fälle für kaum enden wollende Begeisterung sorgen. Aber wenn in "Breaking Bad" gezeigt wird, wie Gus nach der Explosion aus dem Zimmer tritt, sich die Krawatte richtet und das Publikum feststellt, dass ihm die Hälfte seines Gesichts fehlt, ist das für die subtile und intelligente Unterhaltung, die Gilligan und Co. bisher boten, schlichtweg effekthaschend und unnötig. Dass genau diese Szene vom Großteil des Publikums als überwiegend negativ angesehen wurde, sagt viel über die Serie und den Anspruch aus, den diese in mittlerweile 46 herausragenden Episoden ihren Zuschauern vermittelt hat. Damit ist #4.13 Face Off mit dem herrlich zweideutigen Titel aber immer noch großartige Unterhaltung und vor allem der endgültige Beweis dafür, wie sehr der Anspruch an eine Serie steigen kann, wenn diese Woche für Woche die Messlatte immer höher legt.

"What did you say to Gus? 'Cause he's on to us."

Weil die Macher von "Breaking Bad" perfekt verstehen, die Daumenschrauben anzuziehen und dadurch Spannung zu erzeugen, beginnt "Face Off" nur wenige Minuten nach #4.12 End Times und zeigt, wie Walter die Bombe, die unter Gus' Wagen vergeblich auf die Detonation wartete, entfernt, in eine Windeltasche (!) packt und damit ins Krankenhaus spaziert, wo ein sichtlich mitgenommener Jesse immer noch sehnsüchtig auf gute Nachrichten über Brocks Gesundheit wartet. Neben der Angst um Brocks Leben hat Jesse nun aber ein weiteres, viel größeres Problem durch den misslungen Anschlag auf das Leben von Gus. Denn wenn ihm nicht einfällt, wo Walter noch eine Möglichkeit erhält, Gus zu töten, sind sie beide dem Untergang geweiht, nachdem Gus sich natürlich durchaus bewusst ist, wer ihm da nach seinem Leben trachtet und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten will und wird. Alles läuft auf den großen Showdown heraus, den sich wohl jeder herbeigesehnt hat.

Bevor es dazu kommen kann, muss Jesse jedoch den nächsten Nackenschlag hinnehmen, als er von der Polizei mit zum Verhör gebracht wird. Natürlich war es reichlich naiv von Jesse, im Krankenhaus erst zu erklären, dass Brock vergiftet wurde und anschließend auch noch Rizin als durchaus mögliches Gift zu nennen. Rizin ist nun einmal viel zu selten in diesen Fällen, als dass sich Jesse durch sein Verhalten nicht selbst verdächtig machen würde. In einer Serie, in der der Großteil der Charaktere dazu neigt, eiskalt kalkulierend zu agieren, ist die Art von Jesse, insbesondere, wenn er einem kleinen Jungen das Leben retten möchte und dabei komplett vergisst, dass er sich dadurch selbst ins Fadenkreuz manövriert, aber ein wichtiger Kontrast. Quasi nebenbei schießt Jesse auf der Sympathieskala auch immer weiter nach oben.

"Christ, you two. All I can say is if I ever get anal polyps, I know what to name them."

Walter kann unterdessen mittlerweile getrost als eines der Schlusslichter dieser internen Rangliste der Charaktere aus "Breaking Bad" bezeichnet werden. Als er daher Saul nicht telefonisch erreichen kann und ihn auch in der Kanzlei nicht antrifft, wirft er kurzerhand die Scheibe der Tür ein und spaziert hinein, als ob es das selbstverständlichste der Welt ist. Sauls Sekretärin Francesca, die eifrig damit beschäftigt ist, allerlei Akten zu vernichten, wird durch den Krach natürlich auf Walter aufmerksam. Was folgt, ist eine ganz wunderbare Unterhaltung zwischen ihr und Walter, die damit beginnt, dass sie ihm und Jesse Vorhaltungen macht, dass sie immer in Schwierigkeiten gerieten und andere – unter anderem Saul und sie – mit in den Schlamassel zögen. Man kommt nicht umhin, bei allem, das Francesca von sich gibt, mit dem Kopf zu nicken und nach jedem Satz ein leises "Amen" vor sich hinzumurmeln. Jesse und Walter leben nun einmal in keinem Vakuum, in dem nur sie allein die Folgen ihrer Taten ausbaden müssen. Schön, dass Francesca kurzerhand zur Stimme all der Zuschauer wird, die die Selbstverständlichkeit, mit der die zwei alles und jeden in den Abgrund reißen, hinterfragt. Noch schöner (da höllisch witzig) ist nur noch, wie sie sich wohl so einiges bei Saul abgeschaut hat und Walter erpresst, nachdem dieser wissen möchte, wo Saul sich aufhält.

Um die Schuld in Höhe von 25.000 $, die Walter für diese Information berappen muss, auch tatsächlich begleichen zu können, muss dieser nach Hause und dort das Geld aus dem Zwischenboden holen. In weiser Voraussicht, dass sein Heim in Anbetracht der Geschehnisse der letzten Stunden und Tage sicherlich beobachtet wird, schickt er seine Nachbarin (die interessanterweise von Vince Gilligans Mutter dargestellt wird) unter einem Vorwand vor und beobachtet in sicherer Entfernung durch ein Fernglas, ob sich bei ihm daheim etwas tut. Die Spannung, die hier erzeugt wird, sodass man genauso wie Walter jede verdächtige Bewegung eines Vorhangs genau in Augenschein nimmt, wird dadurch verstärkt, dass auch der Zuschauer nur das zu sehen bekommt, was Walter durch das Fernglas wahrnimmt. Durch die bewusste Beschränkung der Perspektive nimmt man dem Zuschauer gekonnt wortwörtlich den Weitblick und das damit verbundene Sicherheitsgefühl, letzten Endes eben doch immer mehr zu sehen als derjenige, der gerade in Gefahr ist, sodass der Puls ganz automatisch in die Höhe schnellt. Schließlich gelingt es Walter, das Geld zu holen, sodass er sich kurze Zeit später mit Saul treffen kann. Was er dabei erfährt ist, dass Hector Salamanca und Gus allem Anschein nach verbitterte Erzfeinde sind.

"Well, at least he didn't shit himself. I guess that's progress."

Walt sieht seine Möglichkeit, Gus zu töten, gekommen: Hector soll Gus erst in das Altenheim, in dem er residiert, dem "Casa Tranquila", locken, und dient anschließend als Träger einer von Walter angefertigten Bombe. In den Plan eingeweiht wird man natürlich nicht, dann wäre ja die ganze Spannung weg. Und so erscheint es anfangs auch etwas seltsam, dass Hector erst alles daran setzt, dass Hank mit ihm redet, um ihn dann lediglich zu beschimpfen. Aber natürlich weiß Walter, dass Hector von Gus' Leuten im Auge behalten wird. Tyrus tut Walter dann auch den Gefallen, Gus unverzüglich darüber zu informieren, dass Hector gerade mehrere Stunden beim DEA verbrachte, woraufhin dieser seinem alten Widersacher einen Besuch abstatten möchte. Tyrus untersucht also Hectors Zimmer im Altenheim, denn so einfach macht es Gus Walter natürlich nicht.

Das hatte Walter aber auch gar nicht erwartet, und so versteckt er sich draußen, wo er mehrmals von einer alten Dame aus dem Nachbarzimmer auf gleichermaßen süße und witzige Art und Weise angesprochen wird. Nachdem Tyrus auch den Rollstuhl Hectors untersucht (zwar nicht auf Sprengstoff, aufgefallen wäre er aber im Normalfall trotzdem), ist davon auszugehen, dass Walter schlau genug war, den Sprengstoff dort auch tatsächlich erst anzubringen, als Tyrus den Raum verlassen hat, um Gus zu erzählen, dass keinerlei Wanzen oder ähnliches gefunden wurden. Tyrus bietet Gus zwar an, sich selbst um Hector zu kümmern, das lässt der Stolz von Gus aber nicht zu. Er möchte es selbst tun.

"A crippled little rata. What a reputation to leave behind."

Dass Gus viel Wert auf Stolz und Ansehen legt, ist spätestens seit seiner Ansprache an Walter in #3.05 Mas evident, als er ihm erzählte, wie sich ein Ehrenmann zu verhalten habe. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Gus Hector selbst annehmen möchte und, als er sich schließlich in dessen Zimmer im Altenheim einfindet, auch zunächst versucht, mit einem Appell an dessen fehlende Ehre zu provozieren. Dass Hector ungewöhnlich ruhig ist, merkt Gus viel zu spät, nämlich erst in dem Augenblick, in dem er, bereits mit einer diabolischen Fratze ausgestattet, wiederholt seine Klingel betätigt, um Walters Bombe auszulösen.

Es kommt, wie es kommen muss – Hector, Tyrus und Gus sterben. Wieso konnte man es dabei aber nicht belassen? Wieso musste man Gus erst noch seelenruhig aus dem Zimmer treten und allen Ernstes seine Krawatte richten sehen, wo das doch alles andere als realistisch ist und durch die Holzhammerinszenierung auch schlichtweg völlig deplatziert wirkt? Ja, Szenen, in denen nur noch halbe Gesichter zu sehen sind und das den Betroffenen gar nicht zu stören scheint, bleiben natürlich in Erinnerung. Halloween-Masken mit Gus' Gesichtszügen waren danach auch der absolute Renner. Diese Form von Unterhaltung hat "Breaking Bad" aber absolut nicht nötig, sodass es einem zwangsläufig sauer aufstoßen muss, wenn die Serie ihren bis dahin konsequenten Pfad – wenn auch nur für wenige Sekunden – verlässt.

"It's over. We're safe." - "Was this you? What happened?" - "I won."

Walter hat also nun das Leben von drei weiteren Menschen auf dem Gewissen, und es werden noch zwei weitere hinzukommen, wie sich bald herausstellen soll. Denn Gus' Männer haben vor dessen Tod Jesse entführt, just als dieser, nachdem sich herausstellt, dass Brock nicht durch Rizin vergiftet wurde, das Polizeirevier verlassen durfte. Jesse wird unter strenger Aufsicht dazu gedrängt, im Drogenlabor weiter Meth zu kochen. Walter tötet erst denjenigen, der den Zugang zum Labor kontrollierte, um anschließend mit dem Aufzug nach unten zu fahren und dort kaltblütig auch Jesses Aufpasser zu erschießen. Walter teilt Jesse mit, dass Gus tot sei, und so machen sich beide daran, im Labor die einzelnen Chemikalien zur Herstellung von Meth freizusetzen und es anschließend in die Luft zu sprengen, um alle Beweise zu zerstören.

In dem Moment, in dem ein sichtlich bewegter Jesse Walter erzählt, dass Brock die Vergiftung überleben wird, hätte man einen Schlussstrich unter die Staffel ziehen können. Gus ist tot, Jesse und Walter haben das Labor zerstört und, darauf deutet der ungewöhnlich förmliche Handschlag zwischen den beiden hin, hängen ihre Drogenkarriere an den Nagel und gehen fortan wohl auch getrennte Wege. Stattdessen sorgt "Breaking Bad" mit dem finalen Twist – der Tatsache, dass Walter mit einer Pflanze aus seinem eigenen Garten Brock vergiftet hat, um Jesse gegen Gus aufzuhetzen – für einen wahren Paukenschlag, der für viele überraschend kam. Walter macht mittlerweile also nicht einmal mehr vor kleinen Kindern Halt und ist damit wahrlich nicht mehr weit von jemandem wie Gus entfernt, der dies in der dritten Staffel bereits bewies. Man könnte fast sagen, das dies ein neuer Tiefpunkt für Walter ist, der ihn als Schlusslicht der internen Sympathieskala der Serie fest etabliert. Ein etwaiger Befreiungsschlag hätte ihm gelingen können, wenn er eine empathische Gefühlsregung bei Skylers Anruf zum Schluss gezeigt hätte. Stattdessen redet er davon, dass er "gewonnen" hätte (als ob es ihm vorher je darum gegangen wäre) und ignoriert völlig, mit welchen Mitteln er sich den vermeintlichen Sieg erkauft hat.

Fazit

Damit ist wahrlich genug Konfliktpotential für eine fünfte und finale Staffel vorhanden, in der es nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte, bis Jesse und Walter eine ähnliche Beziehung pflegen wie Hector und Gus. Was bei anderen Serien auch gut als Serienfinale hätte fungieren können, wird bei "Breaking Bad" gnadenlos weiter gesponnen bis zum – höchstwahrscheinlich bitteren – Ende. Man darf gespannt sein, wie es Gilligan und sein Team anstellen werden, jede noch so hohe Erwartung zu übertreffen. Denn wenn es eine Serie gibt, der es mittlerweile gelingt, einen geradezu unerreichbaren Anspruch mit einer Treffsicherheit, die ihresgleichen sucht, immer wieder zu erreichen, dann ist es "Breaking Bad".

Andreas K. - myFanbase

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