Review: #3.18 Dicke Luft
Ein Kuss ist in Dawson's Creek nicht einfach ein Kuss. Und genauso wie bereits der Übergang von der ersten in die zweite Staffel fließend war, so ist auch der Übergang von der letzten Episode zu dieser Episode, Neverland, fließend. Es geht, wie zu erwarten, um das Danach. Steine wurden ins Rollen gebracht und doch stehen die Charaktere noch zwischen den Stühlen.
Dawson ist dabei der naive Teil der Episode. Er weiß nicht um die inneren und äußeren Konflikte, denen die anderen Charakteren zur Zeit ausgesetzt sind. Das macht ihn in dieser Episode natürlich zu einer sehr interessanten Figur, weil sein Denken unbelastet ist. Während er sich um die Vergangenheit, seine Kindheitserinnerungen, sorgt, beschäftigen sich Pacey und Joey derweil mit der Zukunft. Es ist bittere Ironie, als Dawson sich bei den beiden dafür bedankt, dass sie ihm immer zur Seite gestanden haben. Indem man die Kinder auftreten lässt, vermeidet man die direkte Aussprache und ermöglicht gleichzeitig, dass Dawson weiterhin recht unbefangen die Kindheitserinnerungen von seiner Freundschaft zu Pacey und der Schönheit von Joey aufleben lässt. Am Ende ist man als Zuschauer gemischter Gefühle. Einerseits hätte Pacey Dawson aufklären müssen, andererseits war es auch nicht der angemessene Zeitpunkt, wo Dawson gerade wieder den Rückbezug zur Gegenwart zu finden sucht, nachdem er ja jüngst eine Phase der Orientierungslosigkeit hinter sich gebracht hat.
Für Joey stellt sich die Frage im Gegensatz zu Dawson ganz anders: Sie fällt jetzt in eine Orientierungslosigkeit, nachdem Pacey die Tür geöffnet hat. Dass Joey sich nicht so über die Sache aufregen würde, wenn sie selber nicht auch Pacey mögen würde, braucht man nicht hereininterpretieren, da es bereits mehrfach gesagt und auch von Joey indirekt bestätigt wird: Sie stösst Pacey erst nach dem Kuss weg und in der Szene im Laden versucht sie auch nur das eigene Gewissen zu beruhigen. Der Blick, als Pacey außer Sichtweite ist, verrät mehr. Man kann also bedenkenlos sagen, dass Joey für Pacey Gefühle hat. Offenkundig wurde das auch durch ihren Versprecher in "Crime and Punishment".
Die Problematik, die sich für sie stellt, ist in erster Linie, dass sie wohl nicht damit gerechnet hätte, dass Pacey seinerseits den ersten Schritt macht - ja, dass er überhaupt genauso empfindet. Durch das Aufliegen des Pakts mit Dawson in "Crime and Punishment" schien sie sich sicher zu sein, dass Pacey wohl inzwischen von sich aus freundschaftlich mit ihr verkehrt - mehr aber auch nicht.
Der Grund, warum sie sich nicht so recht über Paceys Vorgehen freuen kann, wird bereits gleich im Teaser genannt: Dawson. Die Freundschaft und die Liebe zu Dawson ist trotz aufgebauter Distanz nach wie vor gegeben (Stichwort: Soulmates - Seelenverwandte). Das Zwischenspiel mit AJ wirkte dem zwar entgegen, doch war die Beziehung zu AJ zu keinem Zeitpunkt wirklich ernsthaft, da sie nur über die Distanz funktionierte. Obwohl man dieser Beziehung nicht jegliche Gefühlshingabe verleugnen sollte, war es sowohl für AJ mit seiner Jugendfreundin als auch Joey mit Dawson die Möglichkeit, einerseits eine Beziehung zu führen, um dem anderen die Eigenständigkeit zu zeigen, ohne aber zu verfänglich zu werden. Dass das zumindestens bei AJ eine große Rolle gespielt hat, sah man ja in der letzten Episode, "Cinderella Story", wo er sein Gedicht seiner Jugendfreundin, nicht aber Joey widmete.
Joey muß sich also jetzt entscheiden: Wählt sie die Hintertür, die sie sich stets offengehalten hat, also den gerade aus seiner Versenkung wieder auftauchen Dawson? Oder wählt sie stattdessen Pacey, dem gegenüber sie auch Gefühle hat, die sie aber bislang wohl problemlos für sich behalten konnte, weil sie diesen Gefühlen keine Möglichkeiten der Realisierung zuschrieb? Am Ende der Episode weist sie Pacey zurück - scheinbar entgültig und andererseits doch erstmal nur scheinbar, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen und ohne den nächsten Schritt gehen zu müssen.
Für Pacey gestaltet sich alles recht negativ. All die Überwindung, die ihn der Schritt, Joey zu küssen, gekostet hat, führt in die Ungewißheit und letztendlich in eine Absage. Dawson gegenüber hat er ein schlechtes Gewissen, weil es sich abzeichnet, dass Dawson wohl wieder aufnehmen will, was er lange Zeit liegengelassen hat und weil er ihm gegenüber am Anfang der Staffel ein Versprechen gegeben hat, sich um Joey FÜR Dawson zu kümmern.
Die Frage ist in der Tat - auch für den Zuschauer -, ob sein Vorgehen legitim ist. Auf der einen Seite besteht zwischen Dawson und Joey nichts, außer einer Freundschaft, die mal mehr war. Auf der anderen Seite weiß er um der Gefühle beider, die letztlich irgendwann doch wieder zueinander finden werden.
Bezogen auf die Freundschaft von Dawson und Pacey, muss diese wohl neudefiniert werden. Auch und gerade durch die dargestellten Kindheitserinnerungen wird deutlich, dass Joey stets ein Thema war, was in erster Linie Dawson zugeschrieben wurde, während Pacey sich nicht so sehr dafür interessierte. Nun steht Joey - wenn auch nicht absichtlich - zwischen den beiden. Für Dawson könnte es sehr verletzend sein - würde er doch die Freundschaft zu seinen zwei besten Freunden verlieren oder zumindestens nur beschädigt vorfinden. Für Pacey ist es allerdings genauso - ein Happy-End zwischen Dawson und Joey wäre für ihn verherrend. Somit ist die Situation am Ende doch irgendwie vorgezeichnet.
Die Autoren bedienen sich des klassischen Dreieckskonflikts und doch ist es Neuland, weil in Dawson's Creek diese potentielle Verflechtung bislang heiliger Boden war, den man, wann immer auch nur möglich, umging. Der Grund dafür ist schlichtweg, dass die Serie dadurch in eine gänzlich neue Richtung geleitet wird. Gab es bislang zwischen den Hauptcharakteren immer zeitlich getrennte Bindungen, wie Dawson und Jen in ersten Staffel, bevor Joey kam, so weitet man die zwischenmenschlichen Beziehungen jetzt auf mehr Ebenen aus. Es geht jetzt nicht mehr nur um zwei Charaktere, die mit sich selber und miteinander auseinanderkommen müssen, sondern es ist stets eine dritte Person im Bunde. Sowohl Dawson als auch Pacey sind durch ihre engen freundschaftlichen Bindungen im Kreise der Hauptcharaktere nicht wegzudenken und werden in beiden nun denkbaren Ausgangssituationen stets die dritte Person darstellen. "Neverland" gibt uns einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird, doch es wird klar, dass es kompliziert, im Grunde unlösbar und spannend wird.
Doch wir sollten auch nicht die beiden anderen Charaktere vergessen, die in dieser Episode eine Rolle spielen. Für Jen und Jack kann man gemeinschaftlich sagen, dass sie es sind, die als letzte ihre neuen Bekanntschaften aus der dritten Staffel behalten haben. Während sowohl Nikki als auch AJ wieder gehen mussten, bleiben uns Henry und Ethan erhalten.
In Sachen Jack bringt man wieder das Thema auf den Tisch, dass zuletzt unter selbigen gefallen war. Ethan nimmt dabei überraschend eine recht kleine Rolle ein, während das Verhältnis zu seinem Vater gründlich beleuchtet wird. Am Ende findet man eine Lösung, ein Näherkommen, aber es wirkt doch ziemlich prompt. Die Einsicht des Vaters ist zwar plausibel und nachvollziehbar, doch gleichzeitig auch etwas unspektakulär, wenn man den langen Konflikt bedenkt. Offenbar hatte man sich wohl so sehr in die einzelnen Fronten verstrickt, dass eine Fortführung nicht mehr möglich war, ohne den Konflikt unbehebbar zu machen.
Wenig spektakulär auch der Handlungsstrang rund um Jen. Henry als unschuldig wirkend zu bezeichnen, ist etwas sehr abwegig. Wer mit diesem Schlafzimmerblick und dieser Art herumläuft, wirkt nicht wirklich unschuldig. Auch der vermeintliche Kindergeburtstag wirkt im Prinzip wie eine typisch amerikanische Party. Das Happy-End enttäuscht ein wenig, denn im Moment wirkt diese Beziehung einfach noch zu konturlos.
Alles in allem ist "Neverland" eine sehr gute Episode. Sie zeigt solide Charakterhandlungen und teilweise spannende, mitreißende Momente. Eine Besonderheit dieser Episode ist es, dass sie sich einem erst als Gesamtkomposition wirklich erschließt. Das Beziehungsgeflecht, die vermeintlichen Konsequenzen und die Tragik des Geschehens offenbaren sich erst in der Nachbetrachtung und weniger während der (ersten) Betrachtung. "Neverland" ist der Einstieg zu einem neuen Abschnitt der Serie und ähnlich wie "The Kiss" am Anfang der zweiten Staffel ein lang erwarteter Wendepunkt.
Malte Kirchner
Die Serie "Dawson's Creek" ansehen:
Vorherige Review: #3.17 Traum und Wirklichkeit | Alle Reviews | Nächste Review: #3.19 Gestohlene Küsse |
Diskussion zu dieser Episode
Du kannst hier oder in unserem Forum mit anderen Fans von "Dawson's Creek" über die Folge #3.18 Dicke Luft diskutieren.
Informationen zur Episode
Englischer Titel: NeverlandErstausstrahlung (US): 05.04.2000
Erstausstrahlung (DE): 18.02.2001
Regie: Patrick Norris
Drehbuch: Maggie Friedman
Links
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare
23.11.2024 12:44 von Lena
Cruel Intentions: Cruel Intentions
Ich habe es mir für kommende Woche vorgenommen. War von... mehr
20.11.2024 15:18 von Catherine
Liebeskolumnen: Rory & Dean, Teil 3
Ich glaube, es wurde während des "Gilmore... mehr