Bewertung
Martin Scorsese

Aviator

"He owns Pan-Am. He owns
Commerce. But he does not own the sky."
(Hughes über Pan-Am-Chef Trippe)

Foto: Copyright: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
© Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

Als Howard Hughes 1976 – ausgerechnet – in einem Flugzeug an Nierenversagen starb, war er bereits eine amerikanische Legende. Der 1905 in Houston geborene Hughes erbte von seinem Vater, der ein Monopol auf Erdöl-Bohrköpfe hatte, ein Vermögen, das er Zeit seines Lebens immer wieder in waghalsige Projekte steckte. Hughes war wohl das, was man einen rastlosen Menschen nennen könnte – jedenfalls bis Mitte der 50er Jahre, als er sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückzog und ein einsames Dasein bis zum seinem Tod fristete.

Wenn sich ein Regisseur wie Martin Scorsese einer solchen Person annimmt, kann man darauf schwören, dass er wieder einmal amerikanische Geschichte schreibt – gegen den Trend der Zeit und gegen die historischen und aktuellen Mythen, die in Amerika weit verbreitet sind und werden. Nicht zum ersten Mal nimmt sich Scorsese einer Person an, die man in gewissem Sinn als Außenseiter bezeichnen könnte. In "Taxi Driver" war es der Ex-Vietnam-Soldat Travis Bickle, in "Raging Bull" der Boxer Jake La Motta, in "Die letzte Versuchung Christi" eine Jesus-Darstellung, in der er die Zerrissenheit der Figur zwischen Gottes Sohn und Mensch zum durchgängigen Thema des Films machte. In "Goodfellas" desavouierte Scorsese den Ehrenkodex der Mafia als elementaren Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft. Und in "Gangs of New York" entzauberte der (für mich schon seit einigen Jahren beste) Regisseur aus den USA den Gründungsmythos der Vereinigten Staaten.

"The Aviator", der Flieger, kann dabei durchaus doppeldeutig verstanden werden. Hughes war das, was man getrost als ein sich selbst überzeichnendes Sinnbild für den viel beschworenen amerikanischen Individualismus nennen kann, ohne dass dies Hughes selbst bewusst gewesen sein mag. Hughes ging – gegen jeglichen Widerstand – imposant, manchmal erschreckend, zumeist jedoch nur Staunen hervorrufend seinen ganz persönlichen Weg durch ein Stück amerikanischer Geschichte, das er selbst und das ihn selbst prägte. Hughes war Flieger und im übertragenen Sinn: ein "Überflieger".

Inhalt

Der Film umspannt die Zeit zwischen den Drehaufnahmen zu Hughes Film "Hell’s Angels" (1930) bis zu seinem legendären Flug mit der "Spruce Goose", einer 8-Propeller-Maschine, mit der er immerhin zwei Kilometer in Long Beach in der Luft blieb.

Als Erbe eines Millionenvermögens will Hughes hoch hinaus. Flugzeuge und (Selbst-)Fliegen sind von Anfang an sein Traum und sein Schicksal. Für ein bis dahin in der amerikanischen Filmgeschichte einmaliges Projekt – ein Kriegsfilm, in dem Kampfflugzeuge die Hauptrolle spielen – benötigt Hughes 26 Kameras und drei Jahre, um den Film, der zunächst noch als Stummfilm geplant war, dann als Tonfilm herauszubringen. Später folgen Filme wie "Scarface" (1932) und "The Outlaw" (1940), die ihm Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde der amerikanischen Filmindustrie einbringen, u.a. weil er nach Meinung der Zensoren Jane Russells Oberweite allzu deutlich in das Zentrum des Geschehens rückt.

Doch Hughes will mehr. In Burbank bei Los Angeles entwickelt er seine eigenen Flugzeuge, mit denen er – immer wieder durch Misserfolge unterbrochen – Geschwindigkeitsrekorde aufstellt, etwa 1935, als er einen Rekord von 567 km/h erreicht, oder 1938, als er die Welt in einer nie vorher erreichten Zeit umrundet. 1939 übernimmt Hughes die Fluglinie der "Transcontinental and Western Airlines" (TWA) und konkurriert die nächsten Jahre mit der allmächtig scheinenden Pan-Am und ihrem Chef Juan Trippe (im Film Alec Baldwin) und dem von ihm abhängigen Senator Brewster (Alan Alda), der Trippe durch ein Gesetz das Monopol auf Flüge zwischen Amerika und Europa verschafft. Pan-Am wie TWA haben die ersten Flugzeuge entwickelt, die solche Interkontinentalflüge möglich machen.

Kriegsaufträge, für die Hughes Steuergelder erhielt, konnte der Magnat bis Ende des Krieges nicht fertigstellen. Unter anderem dies war für Brewster und Trippe Anlass, eine Senatsanhörung nach dem zweiten Weltkrieg gegen Hughes zu inszenieren, in der dem exzentrischen Hughes der Garaus gemacht werden sollte. Doch Hughes weiß sich zu wehren ...

Kritik

Scorsese zeichnet – in visuell und technisch überragender Weise – (wie schon in "Gangs of New York" für ein Stück amerikanischer Geschichte des 19. Jahrhunderts) ein exzellentes Bild der Zeit Amerikas in den 30er und 40er Jahren. In erstaunlich wirkungsvollen v.a. Braun- und Türkistönen bewegt sich "Aviator" kontinuierlich zwischen Realität, Show, Glamour, Aufstieg und Fall eines Mannes, der zu den außergewöhnlichsten Gestalten dieser Jahre zählt. Fliegen und Flugzeuge sind für Hughes, der in überzeugender Weise von einem in jeder Hinsicht begabten und die Rolle füllenden Leonardo di Caprio verkörpert wird, Traum, Wirklichkeit, Besessenheit und Fetisch zugleich. Fliegen heißt für ihn Grenzen überschreiten, ist Befriedigung und Lebenszweck zugleich. Di Caprios Hughes will alle Grenzen überschreiten. In einem langsam, aber kontinuierlich zur Weltmacht aufsteigenden Amerika, das endlich die Chance sieht, nach der Weltwirtschaftskrise den Traum vom weltumspannenden US-Kapitalismus Wirklichkeit werden zu lassen, ist Hughes selbst zweierlei: Kind dieses Traums wie Außenseiter, "Täter" wie "Opfer".

Sein Vermögen allein ermöglicht Hughes, überhaupt an die Realisierung seiner Träume auch nur zu denken, die als überbordende Ergebnisse des American way of life doch zugleich wie eine ernst zu nehmende Karikatur wirken. Hughes ist Einzelgänger, aber er kann es nur sein vor dem Background dieses Amerika. Die Show – vor allem repräsentiert durch das Hollywood des Tonfilms – verbindet sich bei Hughes, der öffentlichem Rummel eher abgeneigt ist, mit seinen Projekten zu einem merkwürdigen Amalgam im öffentlichen Raum, den er zeitweise völlig zu beherrschen scheint. Geld interessiert ihn nur als Mittel zum Zweck, hat nie Selbstzweck. Auf eine überzeugende Art vermittelt Scorsese, wie ein Mann, der inmitten dieses aufstrebenden Amerika Größe erreicht, doch zugleich – unbewusst – an den Tragflächen dieses Jumbo Amerika nagt – indem er sich so verhält, wie es die Ideologie "vorschreibt". Nicht das Geld heckende Geld, der Gewinn, steht für Hughes im Zentrum seines maßlosen und scheinbar nicht zu bändigenden Strebens, sondern das „Etwas-Außergewöhnliches-Schaffen” treibt ihn von Film zu Film, von Flugzeug zu Flugzeug.

Scorsese und sein Drehbuchautor John Logan haben mit "Aviator" nicht irgendeinen "Erfinder"-Film produziert. Im Zentrum von "Aviator" steht Hughes bis zur Selbstzerfleischung betriebener Individualismus und (!) das Auf und Ab von Aufstieg und Fall dieses Mannes – bis hin zu seiner Selbstzerstörung, die zum guten Teil Zerstörung auch durch andere war. Scorsese begreift diesen Dualismus von Aufstieg und Fall, von Erfolg und Misserfolg, von (finanziellem) Reichtum und (menschlicher) Armut – wenn man genau hin schaut und seine anderen Filme kennt – als Strukturmerkmal eines skrupellosen Organisationsprinzips von Gesellschaft. Es gelingt ihm jedoch – auch wegen des am Stoff "fanatisch" interessierten Hauptdarstellers, der neben Michael Mann und anderen selbst zu den Produzenten gehört – dieses Lebensprinzip einer Gesellschaft an einem Mann zu demonstrieren, der letztlich immer wieder gegen es angeht, weil er sein Streben für ein ausschließlich individuelles hält und andere davon begeistern kann, was er tut. Das gesellschaftlich Vermittelte seines Handelns kommt Hughes nie zu Bewusstsein.

Di Caprios Hughes ist dabei durchaus auch ein Stück Biografie von di Caprio und Scorsese selbst. Während di Caprio – jetzt allerdings seit einiger Zeit erfolgreich – gegen das Titanic-Image anzukämpfen weiß (und dass hatte er in Spielbergs "Catch Me If You Can" bereits bewiesen), musste Scorsese fast bei jedem seiner Filme um Publikumsgunst und Anerkennung kämpfen. "Gangs of New York" blieb der verdiente Erfolg in den USA versagt.

Ein Film über Hughes wäre unvollständig, bruchstückhaft, wenn da nicht zwei weitere wesentliche Momente seines Lebens visualisiert würden: sein Verhältnis zu Frauen und seine Krankheiten. Hughes zählte Berühmtheiten wie Bette Davis, Katherine Hepburn, Lana Turner, Ava Gardner, Faith Domergue, Jean Harlow und Jane Russell nicht nur zu seinen Bekannten. Im Film greift Scorsese vor allem die Beziehungen zu Hepburn (Cate Blanchett) und Ava Gardner (Kate Beckinsale) heraus. Dabei versucht Cate Blanchett erst gar nicht, eine 1:1-Abbildung der Hepburn zu spielen. Ihre Darstellung der Hepburn setzt eigene Maßstäbe. Alles andere wäre auch kläglich zum Scheitern verurteilt gewesen. Manch einer wird diese Darstellung überhaupt nicht mögen. Denn die Blanchett kreiert eine „neue” Figur, eine Frau, deren Eigenständigkeit, deren Humor, aber auch Sarkasmus bis hin zum Zynismus, deren Verständnis für Hughes und deren Gründe für die Trennung von ihm einen homogenen, voll "ausgebildeten" Charakter im Film schafft – für mich eine blendende Darstellung. Nicht ganz daran heran kommt Kate Beckinsale, was aber auch daran liegen mag, dass ihre Auftritte im Film als Ava Gardner rarer gesät sind.

Hughes Krankheiten: Sie beginnen mit der "Warnung" seiner Mutter in frühester Kindheit, sich von Mikroben fernzuhalten. Folge ist so etwas wie ein Wasch- und Sauberkeitszwang. Hinzu kommt eine panische Angst vor Krankheit, ausgelöst zusätzlich durch eine Lähmung im Alter von 13 Jahren. Später, in seinen letzten Lebensjahren nach seinem Rückzug in ein Hotel, in dem nur ein paar Mormonen Kontakt zu ihm haben durften, kamen Medikamentenabhängigkeit, Psychose, tertiäre Syphilis und schließlich körperliche und seelische Verwahrlosung hinzu.

Scorsese gelingt – obwohl er das Ende von Hughes, die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens ausspart – also etwas Doppeltes: Er zeigt die Biografie eines Mannes, den viele exzentrisch nennen würden, in Parallelität einer Gesellschaft, die niemand exzentrisch nennen würde. Indem er dies tut, enthüllt er die Strukturmerkmale einer Gesellschaft, die den krank machen muss, der ihre Ideologie ernst, für bare Münze nimmt, nicht weil er sich dessen bewusst ist, sondern weil er einem Trieb folgt, dessen Ursache er selber nicht kennt. Auch Hughes Verhältnis zu Frauen mag man als flüchtig, objektbestimmt, ausnutzend betrachten. Aber welchen Frauentypus suchte Hughes?

Fliegen war für Hughes die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, das er erreichbar machen wollte (er ahnte nicht, wie später vieles von dem gelingen sollte, was er anstrebte), das Flugzeug (technischer) Inbegriff all dessen, was erreicht werden konnte. In den "starken" Frauen Hepburn und Gardner (der er nichts schenken, die er "nur" zum Essen einladen durfte, die seine Heiratsabsichten rundweg zurückwies) suchte Hughes Ebenbürtigkeit als solches. Er scheiterte.

Es ist diese technizistische und objektbestimmte Vermittlung der geheimsten Sehnsüchte (was "Liebe" wie "Erfolg" angeht), die Scorsese und Logan Knall auf Fall, ganz direkt zum roten Faden des Films gemacht haben: die Frage nach der Möglichkeit von Beziehung und deren Vermittlung in jeder Hinsicht. Die Herausbildung des Mythos Amerika, die Fassade nicht nur Hollywoods, sondern einer ganzen Gesellschaft und parallel dazu einer Konstitution von Gesellschaft, in der paradoxerweise gerade das viel beschworene Individuelle hinter ihren Fetischen und mythischen Teilstücken verloren gegangen ist, ist Thema dieser "Geschichtsstunde", die jedoch nicht als Lehrstück, sondern als prall gefüllte Biografie daherkommt.

Zu den Höhepunkten des Films zählen für mich der mit enormen Aufwand gedrehte Absturz Hughes mit einem seiner Flugzeuge, die ebenso beeindruckende Szenerie, in dem Hughes einen Geschwindigkeitsrekord bricht, eine Waschzwangszene in einem WC-Raum, Hughes gelungener Versuch mit der "Spruce Goose", sein Aufenthalt in der Familie der Hepburn, seine Verteidigung vor dem Senatsausschuss – und vieles mehr, was hier nicht alles Erwähnung finden kann. Mit Robert Richardson ("Kill Bill" I und II; "Bringing Out The Dead") hinter der Kamera und Dante Ferretti ("Cold Mountain", "Gangs of New York"), der für das Produktionsdesign verantwortlich zeichnet, griff Scorsese nicht nur auf bewährte Leute zurück. Beide zauberten Bilder, die mir unvergesslich bleiben dürften.

Auch die Nebenrollen des Films sind gut besetzt. Alec Baldwin als eiskalter Pan-Am-Chef, Alan Alda als intriganter und zynischer Senator, John C. Reilly als Hughes immer besorgter Finanzberater und Ian Holm als von Hughes angeheuerter, ängstlicher Meteorologe runden ein „Sittengemälde” ab, das zu den besten zählt, die Scorsese je gefilmt hat.

Es bleibt dabei: Martin Scorsese setzt seine ureigene Geschichtsschreibung Amerikas fort – und er steht dabei momentan jedenfalls relativ allein auf weiter Flur. Umso wichtiger ist dieser Film in einer Zeit, in der ein tief gespaltenes Amerika weitere vier Jahre von einem Präsidenten geführt wird, der eine diametral entgegengesetzte Geschichtsauffassung vertritt.

Fazit

Prädikat: Besonders wertvoll.

Ulrich Behrens - myFanbase
18.03.2005

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