Bewertung
Michael Mann

Collateral

USA 2004, 120 Minuten

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© Paramount Pictures

Michael Mann gehört nicht zu den Regisseuren, die jedes Jahr etwas Neues auf den Markt werfen. Für mich gehören die meisten seiner Filme zu den Glanzstücken der Kinogeschichte, so etwa „Manhunter” (1986), eine vor „Das Schweigen der Lämmer” inszenierte Version der Psychopathen-Geschichte um Hannibal the Cannibal, „Heat” (1995), der die Jagd zweier Männer schildert, die sich in ihren Methoden kaum unterscheiden, nur dass der eine legal, der andere illegal handelt, "The Insider" (1999) und zuletzt "Ali" (2001), eine eigenwillige Interpretation der Geschichte des Boxers Muhammad Ali, von vielen gescholten, von mir geliebt.

In seinem jüngsten Film erzählt Mann die Geschichte zweier äußerst unterschiedlicher Männer: des Auftragskillers Vincent (Tom Cruise) und des L.A.-Taxifahrers Max (Jamie Foxx). Auffallend dabei ist zunächst, dass beide Hauptdarsteller gegen den Strich eingesetzt werden: Cruise, ansonsten Held, sympathischer Typ oder bewunderter Liebhaber, und Foxx, bisher bekannt als TV-Komödiant, etwa in seiner eigenen Fernsehshow. Dieses Experiment ist auf jeden Fall gelungen. Cruise wie Foxx spielen ihre Rollen nicht nur überzeugend; auch die Chemie zwischen beiden stimmt.

Foxx spielt den Taxifahrer Max, der seit zwölf Jahren diesen Job erledigt, jedoch davon träumt sich irgendwann einmal eine Limousine anzuschaffen, um Prominente durch L.A. zu kutschieren. Sein Taxi gehört zu den saubersten des Fuhrparks. Max ist freundlich, sympathisch, ein netter Kumpel von nebenan. Cruise spielt einen smarten Typen mit graumeliertem Haar, der seit etlichen Jahren als Auftragskiller erfolgreich arbeitet, sprich: nie erwischt worden ist und seinen Job "stets zur vollsten Zufriedenheit" – wie in seinem Arbeitszeugnis stehen könnte – seiner Auftraggeber erledigt hat.

Jada Pinkett Smith als Staatsanwältin Annie ist die Dritte im Bunde. Max soll sie nach Hause fahren und beide streiten sich über den schnellsten Weg. Kein richtiger Streit. Max fährt seine Strecke und wettet um den Fahrpreis, dass dieser Weg Annie am schnellsten nach Hause führt. Beide sind sich sympathisch und Annie gibt Max ihre Visitenkarte.

Noch in Gedanken an die bezaubernde Annie steigt Vincent in Max Taxi und erklärt ihm er müsse zu fünf verschiedenen Kunden. Vincent bietet Max 600 Dollar, wenn er auf ihn wartet. Max erklärt, es sei für Taxifahrer verboten, sich von einem Fahrgast mieten zu lassen. Doch das Geld kann er gut gebrauchen und er stimmt zu. Schon der erste Besuch endet mit einer Überraschung. Ein Mann stürzt aus dem Fenster und fällt direkt auf Max Taxi. Als kurz darauf Vincent zurückkehrt, ist klar, wen er da fährt: einen Killer. "Sie haben ihn aus dem Fenster geworfen und getötet". "Nein," antwortet Vincent, "die Kugeln haben ihn getötet und dann ist er aus dem Fenster gefallen." Vincent zwingt Max ihn auch weiterhin zu seinen Opfern zu kutschieren. Die Leiche wird im Kofferraum verstaut. Max sieht keine Möglichkeit, dem eiskalten Killer zu entkommen, der sich vordergründig als ruhig, überlegt und äußerst freundlich erweist.

Inzwischen sind L.A.P.D. und FBI auf der Fährte von Vincent, ohne zunächst zu wissen, um was es geht.

Michael Mann "hüllt" die Geschichte, die sich nun um die beiden Männer spinnt, in einen durchaus spannenden und mit einigen Überraschungen gespickten Thriller. Hauptinhalt des Films ist jedoch der fast zweistündige Disput zwischen Max und Vincent, der beide fast zu Freunden werden lässt, aber eben nur fast. Es ist erstaunlich, wie viel Mann in dieser Hinsicht aus den beiden Schauspielern herausholt. Vincent ist letztlich ein arroganter Egozentriker, dem Menschenleben nichts bedeuten. Er erzählt Max über seine Jugend und Max glaubt, was Vincent ihm erzählt. Doch Vincent ist ein Mensch, der – je nach Lust und Laune, je nach den Umständen – um sich herum eine Geschichte aufbaut und eine Aura erzeugt, wie er sie gerade braucht, um ans Ziel zu kommen. Vincent hat diejenigen, die von ihm gerade abhängig sind, im Griff. Er wirft Max vor, dessen Traum von einem Limousinen-Unternehmen für Prominente könne ja wohl kaum ernst genommen werden, wenn er schon zwölf Jahre Taxi fahre, um sich das Geld dafür zu beschaffen. Und Max sei feige, weil er Annie nicht längst angerufen habe; er, Vincent, hätte dies schon längst getan. So eine Chance ließe er sich nicht entgehen.

Max und Vincent kommen sich sehr nahe; aber diese Nähe erzeugt keine Freundschaft. Sie steht für den ungleichen Kampf zweier Lebensprinzipien, zwischen denen es letztlich keine Kompromisse geben kann.

Mann taucht den Film in bunte, teilweise grelle, teils knallige Farben der Großstadt. Der Film spielt ausschließlich in einer Nacht. Das Klaustrophobische der Situation für Max rührt weniger aus seiner Gefangenschaft im Taxi. Mann zeigt eine Großstadt in einer völlig anderen Weise als gewohnt. Man erlebt sozusagen Los Angeles ganz neu u.a. auch durch Luftaufnahmen, die die Stadt frontal von oben zeigen. L.A. wird eingegrenzt, abgesteckt, neu "erfunden" durch die Handlung, die von Vincent bestimmt wird, dann allerdings zunehmend von Max, der sich ab einem bestimmten Punkt zu wehren beginnt. Dieser Kampf zwischen beiden produziert die Räume, die die Großstadt definieren.

Man könnte auch sagen: In Max und Vincent spiegelt sich insgesamt die Großstadt, die Millionenstadt wider. In „Heat” zeigte Mann den Cop als Spiegelbild des Verbrechers und die Jagd als Abgesang auf den Glauben an eine Legalität, die mit den gleichen Mitteln operiert wie die Illegalität. In "Collateral" zeigt Mann, dass in der Stadt noch anderes wirkt. Max ist einer jener Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn er bezüglich seines Traumes und bezüglich Annie nicht den nötigen Mut aufbringt, der ihn weiterbringen könnte. Vincent ist für ihn der – unerwünschte und riskante – Katalysator, um seinen Wünschen näher zu kommen. Man mag den Showdown für konventionell in Bezug auf das Genre halten. Doch gleichzeitig liegt er durchaus in der Logik einer Geschichte, in der zwei Lebensprinzipien miteinander streiten.

"Collateral" ist sicherlich nicht Manns bester Film. Aber er gehört zu den besseren Filmen aus dem Hause Hollywood.

Ulrich Behrens - myFanbase
18.04.2005

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