Bewertung
Woody Allen

Vicky Cristina Barcelona

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Inhalt

Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johansson) sind auf Sommerurlaub in Barcelona. Obwohl beste Freundinnen, sind sie in ihrer Einstellung zum Leben und zur Liebe grundverschieden. Cristina weiß nur, was sie nicht will. Lieben und sich aufs Spiel setzen ist für sie ein- und dasselbe. Die nüchterne und pragmatische Vicky hat ihr (Liebes-)Leben hingegen schon bis auf die dritte Stelle hinterm Komma ausgerechnet. Die Heirat mit dem ehrgeizigen Doug (Chris Messina) ist beschlossene Sache. Auch die Suche nach einem gemeinsamen Domizil - natürlich nur in bester Lage - ist auf gutem Weg.

Gemeinsam tauchen sie ein ins Leben der katalanischen Metropole. Bei einer Vernissage treffen sie auf den Maler Juan Antonio (Javier Bardem). Er lädt sie ein zu einem Kurzausflug nach Orvieto zu Wein, Musik und gemeinsamen Liebesnächten. Vicky kanzelt sein unmoralisches Angebot ab, als billige Anmache des Klischeespaniers auf Touristinnenjagd. Cristina aber ist von seiner direkten Art und sinnlichen Ausstrahlung sofort fasziniert und überredet ihre Freundin, die Einladung anzunehmen. Vicky bleibt Juan Antonio gegenüber zunächst extrem reserviert. Aber mehr und mehr beginnt sie den Maler mit neuen Augen zu sehen. Seine schwermütige Vitalität schlägt eine Seite in ihr an, die in ihrem aufgeräumten Leben bisher kaum zu hören war. Aus einem gemeinsamen Abend, wird eine gemeinsame Nacht.

Scheinbar bleibt diese ohne Folgen. Juan Antonio trifft sich wieder mit Cristina und kurz darauf zieht sie zu ihm. Als dann noch Juan Antonios feurige Ex-Frau (Penélope Cruz) auf die Bildfläche stürmt, nimmt das Beziehungskarussell zunehmend Fahrt auf. Vicky aber kann ihr Abenteuer nicht vergessen. Dass ihr Verlobter mit vorgezogenen Heiratsplänen in Barcelona eintrifft, macht ihre Situation auch nicht einfacher...

Kritik

Stadtführungen sind eine zweischneidige Geschichte. Sie bieten eine Menge Sehenswürdigkeiten in kürzester Zeit und eine konzentrierte Dosis Daten und Fakten zu den örtlichen Kulturschätzen. Will man aber einfach nur mal schauen, was es denn da zu sehen gibt, muss man angestrengt die konstant durchlaufende Erklärungstonspur überhören. Hat man sich gerade mit einer Örtlichkeit angefreundet, wird man schon wieder zur nächsten Pflichtstation weitergezerrt

So und ähnlich mag es dem Zuschauer mit Woody Allens neuem Film "Vicky Christina Barcelona" gehen. Malerische Schauplätze unter der Sonne Spaniens und gut aufgelegte Schauspieler der oberen Qualiätsklasse: Allens erster Ausflug in die katalanische Metropole scheint alle nötigen Zutaten einer flockigen romantischen Komödie zu enthalten. Aber wer das Werk des notorischen Skeptikers kennt, weiß auch, dass romantische Liebe kaum problemlos zu haben ist.

"Nur unerfüllte Liebe kann romantisch sein." Dieser Glaubenssatz der so neurotischen wie leidenschaftlichen Malerin Maria Elena steht als Leitfrage über "Vicky Cristina Barcelona". Aber Woody Allen will nicht nur den Verschlingungen des Liebeslebens nachgehen. Wie schon der Titel ankündigt versteht sich sein 40. Film auch als Liebeserklärung an Barcelona. "Als ich das Drehbuch zu schreiben begann, wollte ich einzig und allein eine Geschichte entwickeln, in der Barcelona als eigenständige Figur fungiert," so Allen. "Ich wollte dieser Stadt Reverenz erweisen, denn ich liebe sie sehr." Allens Kameramann Javier Aguirresarobe taucht die Streifzüge durch die Hauptstadt Katalaniens in sonnengesättigte Bilder von der lebhaften Farbe spanischen Sandsteins: Rot und Gold und Ocker. Aber wie Juan Antonio für die gegensätzlichen Freundinnen den Reiseführer gibt, durch Kunst, Kultur und Lokalkolorit, wechselnd zwischen touristischen Pflichtstationen und Geheimtipps des Ortskundigen, verseichtet der Film manchmal zum Best-of Barcelona für Kulturtouristen. Allens Liebeserklärung an Barcelona und spanische Lebensart erschöpft sich in flüchtiger Schwärmerei. Sein Blick bleibt meistens außen vor.

Als Audioguide durch den chaotischen Gefühlshaushalt seiner Figuren hat Allen einen allwissenden Erzähler eingesetzt, um, wie er sagt, auf "langweilige erläuternde Szenen" verzichten und das Tempo der Geschichte besser steuern zu können. Geschmeidig verbindet der Erzähler Zeitsprünge und Ortswechsel – auch wenn ein Innehalten gerade angebrachter schiene. Launig schwingt er durch die Handlung – und degradiert die Szenen manchmal zu Illustrationen seiner Einsichten. Der Erzähler nimmt den Zuschauer an die Hand – und ihm damit immer wieder auch die Möglichkeit, sich selbst einen Weg durch das Gefühlsgestrüpp seiner Helden zu suchen.

Nun ist es natürlich immer ein Vergnügen Javier Bardem, Penélope Cruz und Scarlett Johansson bei der Arbeit zuzusehen. Wie erwartet füllen die drei Großschauspieler ihre Rollen mit der gewohnten Souveränität. Bardem gibt den Lebemann mit milder Melancholie. Johansson, sexy wie immer, lässt sich orientierungslos und neugierig von ihm mitreißen. Wenn dann noch Penélope Cruz durchs Bild flackert, verbrennend und ansteckend zugleich, ist eine temporäre Ménage à trois komplett. Das ist ausreichend sexy und farbig und es mag sicher Cineasten geben, die allein für einen Kuss zwischen Scarlett Johansson und Penélope Cruz eine Kinokarte kaufen.

Aber leider bietet Allens Drehbuch keinem der drei die Möglichkeit, seine mimischen Möglichkeiten wirklich auszuspielen. Angeregt durch Maria Elena darf Christina ihr kreatives Potential entdecken. Maria Elena findet in ihr das Missing-Link, durch das ihre Beziehung zu Juan harmonisch werden kann. Aus der verstörten Furie wird die kraftvolle Künstlerin und leidenschaftlich werden Liebende wiedergeboren. All das vollzieht sich weitestgehend reibungslos und überraschungsfrei.

Ausgerechnet Vicky, die anfänglich neben der sinnlichen Präsenz Cristinas ein wenig verblasste, entwickelt sich im Verlauf der Geschichte zum interessantesten und berührendsten Charakter. Denn in ihrer Zerissenheit zwischen der Aussicht auf den sicheren Hafen der Ehe und der abenteuerlichen Angezogenheit zu dem sinnlichen Maler ist sie die einzige Figur, die Allen einen wirklichen Konflikt austragen lässt. Rebecca Hall, die große Entdeckung dieses Films, spielt das Brüchigwerden Vickys mit enormem Feingefühl. Schon in ihrer verstohlenen Liebe zu spanischem Flamenco wird eine Intensität und Sehnsucht sichtbar, die sie unter ihrem gut sitzenden Kostüm der Alltagstauglichkeit sonst fest versiegelt hält und die in der Begegnung mit Juan Antonio dann endgültig aufbricht. Schließlich muss sie eine Entscheidung treffen.

Wie kaum anders zu erwarten, gelingt dem Stadtneurotiker die Problemschilderung eindringlich und präzise. Aber sein Liebäugeln mit spanischer Heißblütigkeit und freier Liebe bleibt ein Urlaub vom Ich ohne Konsequenzen.

Fazit

Als Liebeskomödie, die leichthändig Liebes- und Lebensmöglichkeiten durchspielt, ist Allens Film zu ernst und seine Fragen zu lebenswichtig. Als ernstgemeinter Versuch über die Liebe bleibt er zu sehr an der Oberfläche und irritierend unverbindlich. Woody Allens Auslandsexkursion in Sachen Liebe lässt nicht nur seine beiden Heldinnen mit gemischten Gefühlen zurück.

Tobias Lenartz - myFanbase
03.12.2008

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