Bewertung
Kai Wessel

Hilde

"Von nun an ging's bergab..."

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Inhalt

"Hilde" erzählt das wechselvolle Leben Hildegard Knefs zwischen Triumph und Karriereknick, Krise und Glück. Regisseur Kai Wessel spannt den Zeitbogen von den Anfängen als Schauspielerin in den letzten Kriegsjahren bis hin zur ihrer Neuerfindung als Sängerin Anfang der 60er Jahre. Im Krieg Geliebte eines Nazifunktionärs erregt sie nach Kriegsende internationale Aufmerksamkeit, die ihr den Weg nach Hollywood ebnet. Doch statt dem endgültigen Durchbruch hat ihr die Traumfabrik nur gutbezahlte Untätigkeit zu bieten. Hilde kehrt nach Deutschland zurück – und löst mit einer kurzen Nacktszene in der "Sünderin" einen Skandal aus. Sie wird als Broadwaystar gefeiert und als Ehebrecherin verdammt – und findet in ihren Liedern zu einer eigenen Stimme.

Kritik

Biopics sind bekanntermaßen Schauspielerfilme, Filme in denen Schauspieler sich als Mimen beweisen dürfen. Besonders bei den Academy Awards erfreuen sie sich in jüngerer Zeit größter Beliebtheit. Ob Marion Cotillard als Edith Piaf, Reese Witherspoon als June Carter, Jamie Foxx als Ray Charles... kaum ein Jahr, in dem der Oscar für die beste Hauptrolle nicht an den Darsteller eines Biopics vergeben wurde. Was in Hollywood als Meisterprüfung großer Schauspielkunst gilt, ist immer auch eine zweischneidige Angelegenheit. Je medial erschlossener eine Persönlichkeit ist, desto mehr droht sich der Schauspieler vom Charakterdarsteller zum Imitationskünstler zu vereinseitigen. Todd Haynes warf daher in "I'm not there" die Genrekonventionen über Bord. In seinem grandiosen Metabiopic ließ er die multiplen Persönlichkeiten Bob Dylans von sechs Schauspielern erkunden.

Mittlerweile entdeckt auch der deutsche Film seine Diven. Romy Schneider widmen sich gleich zwei Filmprojekte, die in diesem Jahr erscheinen sollen. In quasi chronologischer Konsequenz kommt aber mit "Hilde" zunächst ein Biopic zur 13 Jahre älteren Hildegard Knef in die Kinos. Wo etwa "I'm not there" sich vor allem ans Arthouse-Publikum und Bob Dylan-Fans wendet, zielt "Hilde" auf Breitenwirkung. Wie der Johnny Cash-Film "Walk the Line" wählt er eine konventionelle Erzählweise, um das Leben und Schaffen eines Künstlers einem großen Publikum nahezubringen.

Heike Makatsch spielt Hildegard Knef. Das ist hier leider wörtlich zu nehmen. Eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit ist dem ehemaligen Girlie der Nation mit der großen Diva ja nicht abzusprechen. Dank der gekonnten Maske kommt sie der späten Knef manchmal erstaunlich nahe. Makatsch hat sich sichtbar intensiv auf ihre Rolle vorbereitet. Aber so sehr sie sich auch bemüht, Gestik und Mimik Hildegard Knefs nachzustellen - die Anstrengung bleibt leider immer sichtbar. Kaum überraschend ist dabei die Stimme das größte Problem. So sehr Makatsch auch versucht, dem rauchigen Timbre der Knef nahe zu kommen, es will ihr einfach nicht gelingen. Die trocken lässigen Bonmots der Diva klingen aus ihrem Mund, wie das was sie sind: erlernte Zeilen einer anderen.

Das Skript der Drehbuchautorin Maria von Heland liest sich dabei über weite Strecken wie ein Best-of-Best der Sinnsprüche Knefs. In allen Lebenslagen, stehend, sitzend, liegend darf Makatsch/Knef bittersüße Lebensweisheiten zum Besten geben. Wirklich fatal aber wird es, wenn von Heland ihre eigene Hilde erfindet. In übereifriger Political Correctness soll die Knef zur personifizierten Vergangenheitsbewältigung aufgeplustert werden. Eben noch Geliebte des Nazigroßfunktionärs, für den sie den Soldatinnentod zu sterben bereit war, bekennt sie sich im übernächsten Moment zur deutschen Kollektivschuld (im Alter von 20 Jahren!). Dieser Tiefpunkt markiert zugleich den Anspruch seiner Macher. Der Film will nicht nur Porträt der Frau und Künstlerin Hildegard Knef sein, sondern zugleich auch Porträt der (deutschen) Kriegs- und Nachkriegszeit. Das wechselvolle Leben der Knef bietet dafür ja auch Anlass genug.

Wie bei der 13 Jahre jüngeren Romy Schneider war Hildegard Knefs Verhältnis zu ihrem Geburtsland alles andere als unkompliziert. Tiefe Verbundenheit verkantete sich mit einem ebenso tiefen Widerwillen gegen die Enge Nachkriegsdeutschlands. Wo Harald Juhnke wenig später als Provinz-Sinatra der (Klein-)Bürgerlichkeit Westberlins den Bauch pinselte, warf Hildegard Knef aus dem Abstand der Ausgewanderten einen so unsentimentalen wie liebevoll genauen Blick auf ihre Herkunftsstadt.

Dieses gespaltene Verhältnis beruhte auf Gegenseitigkeit. Eben noch als "Unsere Frau in Hollywood" verehrt, wurde sie im nächsten Moment als "Sünderin" verdammt. Und wie bei der desertierten Sissi Romy Schneider kondensiert sich in der Haltung der westdeutschen Öffentlichkeit zu Hildegard Knef der ganze Muff der Wirtschaftswunderwelt. Die Freizügigkeit der Knef provozierte die bigotte Anständigkeit ihrer Zeit. Zugleich wurde ihr internationaler Erfolg gerne als Bestätigung des "Wir sind wieder wer"-Gefühls vereinnahmt. Nichtsdestotrotz hangelt sich "Hilde" führungslos von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt. Ebenso wird die deutsche Vergangenheit, Krieg, Holocaust und Mauerbau, pflichtschuldig abgeklappert – und bleibt oberflächliches Zeitkolorit.

Dabei hat Knef selbst eine starke Vorlage geliefert. In ihrem autobiographischen Roman "Der geschenkte Gaul" zeichnete sie ein packendes Bild ihrer Zeit und Lebensabschnitte. Wie in ihren Liedern verbindet sich ein Hang zur Selbststilisierung mit der Fähigkeit zur Selbstironie. Selbst wenn manchmal zweifelhaft bleibt, wie genau sie es mit der Wahrheit nimmt, etwa bei ihrem Einsatz als Soldatin: auch diese Episode ist so intensiv und beobachtungsreich geschildert, dass sie, wenn nicht selbst erlebt, zumindest miterlebt erscheint.

Gerade diese Passage wird in "Hilde" als Tatsache übernommen. Ansonsten legt der Film aber einen gelinde gesagt freien Umgang mit seinem Stoff an den Tag. Das wäre nicht notwendig problematisch. Der Drehbuchautorin zufolge unternimmt er "nicht den Versuch, Hildes Leben zu dokumentieren, er will es verstehen". Leider haben hier Anspruch und Ergebnis nichts miteinander zu tun. Etwa das komplizierte Verhältnis Hildegard Knefs zu ihrer Mutter erscheint märchenhaft schlicht. Zu Beginn erfüllt Frieda Knef (Johanna Gastorf) den Prototyp der bösen Stiefmutter, die sich hartherzig und missgünstig den Träumen ihrer Tochter in den Weg stellt. Später verflüchtigt sich die Feindschaft unmotiviert in weitestgehendes Wohlgefallen. Hilde ist überfrachtet mit dramatischen Zuspitzungen, die nicht verdichten, sondern vergröbern. Sie bleiben krampfhaft unbeholfen und merkwürdig kernlos. Vom bissigen Humor und der lebensklugen Lakonie, die "Der geschenkte Gaul" zum Weltbestseller machten sind in "Hilde" kaum Spuren zu finden.

Von Heland und Wessel gelingt es in keinem Moment, einen erzählerischen Angelpunkt zu finden. So fließen die wechselvollen Liebesbeziehungen der Knef übergangslos ineinander. Ein glattgesichtiger Schönling folgt auf den nächsten. Bleibt ohne Profil und emotionales Echo. Die zahlreichen Zeit- und Ortswechsel bleiben ebenso unterscheidungslos, wie wenn Hagen Bogdanskis souveräne Kameraarbeit die Lebensschauplätze der Knef nicht durch markante Farbgebung voneinander absetzen würde. Hildes Traumland Hollywood erscheint in überstrahlten Farben, wie eine Mischung aus Technicolor und Superacht. Aber wie die gekonnten Kostüme bleiben die Bilder professionelles Makeup auf einem anämischen Antlitz. Denn die Profillosigkeit der Liebhaber und Lebensgefährten der Knef steht stellvertretend für den gesamten Film. "Hilde" macht alles ein bisschen – und nichts richtig. Regisseur Wessel lässt jegliche Positionierung zur jüngeren Geschichte wie zu seiner Hauptfigur vermissen. Hildegard Knef hatte keine Angst, sich immer wieder zwischen die Stühle zu setzen und sich immer wieder neu zu erfinden. "Hilde" aber fehlt jeder Mut zur Eigenwilligkeit.

Jeder Biopic steht vor der schwierigen Entscheidung, wieweit die Anverwandlung reichen kann und wo sie ihre Grenze findet. Wie die Entscheidung ausfällt zeigt Respekt und Einsicht in die Eigentümlichkeit eines Künstlers.

Ella Fitzgerald hat Hildegard Knef die "größte Sängerin ohne Stimme" genannt. Dieser Ehrentitel wird nicht nur einmal in "Hilde" zitiert. Hätten seine Macher den Satz wirklich ernst genommen, wäre die wohl ärgerlichste Fehlentscheidung vermeidbar gewesen: Heike Makatsch singt Hildegard Knef. Mehr noch als die herbe Schönheit des jungen Schauspielstars und die fingerdicke Wimpertusche der alternden Sängerin hat sich die mondäne Verlebtheit ihrer Stimme ins kollektive Gedächtnis eingesungen. Die Stimme der Knef ist die Stimme einer Frau, die mit aller Kraft gelebt hat, manchmal mehr als ihr gut tat – und fest entschlossen war, es weiter zu tun. Sinnlichkeit und Härte, Brüchigkeit und Kraft verbinden sich zu pointiertem, hochintelligentem Gesang von größter Prägnanz und wunderbarer Ambivalenz. Diese Vielstimmigkeit verleiht Hildegard Knef ihre Einmaligkeit. Einmaligkeit ist unnachahmlich. Heike Makatsch bemüht sich nach Kräften, die Charakterstimme der Knef durch Gesangstechnik zu imitieren - und ist gerade dadurch zum Scheitern verurteilt. Dass "Hilde" dennoch diesen Weg wählt, entlarvt sein fundamentales Unverständnis für die Eigentümlichkeit der Künstlerin Hildegard Knef.

Ursprünglich war geplant, sich auf einen Lebensabschnitt zu konzentrieren. Einmal mehr scheint die erste Idee hier die Beste gewesen zu sein. Denn "Hilde" ist der sperrigen Komplexität der Diva in keinem Moment gewachsen. Die Widersprüche der wechselvollen Lebensgeschichte Hildegard Knefs reihen sich zusammenhangslos hintereinander. "Hilde" will großes Kino sein. Aber wie so oft im deutschen Film entpuppt sich der hochspannende Versuch, das Porträt einer Künstlerin mit dem Porträt ihrer Zeit zu vereinen, als unkonzentrierte wie uninspirierte Fleißarbeit, die den eigenen Anspruch auf ganzer Länge verschenkt. Wenn im Abspann dann endlich die großartigen Lieder Hildegard Knefs nachgereicht werden, erfährt man in diesen kurzen Momenten mehr von dieser Frau und Künstlerin, als "Hilde" in meist ermüdenden 131 Minuten zu erzählen weiß.

Fazit

In jünger Zeit hat Taylor Hackford mit seiner Ray Charles-Biographie vorgemacht, wie die musikalische Bedeutung eines Künstlers und seine menschlichen Widersprüche, Schwächen und Hässlichkeiten zu einem kraftvoll stimmigen Gesamtbild vereint werden können. Dagegen bleibt "Hilde" das Porträt des Klassenrebellen aus der Sicht des Strebers: Voller großäugiger Bewunderung und ohne jede Einsicht.

Tobias Lenartz - myFanbase
17.03.2009

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