Bewertung
Yôjirô Takita

Nokan - Die Kunst des Ausklangs

"The rite of encoffinment is to prepare the deceased for a peaceful departure."

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Inhalt

Der leidenschaftliche Berufscellist Daigo Kobayashi (Masahiro Motoki) steht vor einer ungewissen Zukunft, als das Orchester, dem er angehört, aufgelöst wird. Gemeinsam mit seiner Frau Mika (Ryoko Hirosue) entscheidet er sich daraufhin, in seine Heimatstadt zurückzukehren, um dort von neuem zu beginnen und sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Als er auf eine Stellenanzeige antwortet, die er für einen Job im Reisebüro hält, muss er während des Vorstellungsgesprächs schnell feststellen, dass er lediglich im weitesten Sinne Reisen begleitet und von nun an die Möglichkeit hat, in einem "Nokan" Bestattungsinstitut zu arbeiten, das die Körper der Verstorbenen für die anschließende Beerdigung und den Eintritt in das Leben nach dem Tod vorbereitet.

Mangels Alternativen und aufgrund der üppigen Bezahlung nimmt Daigo das Jobangebot an. Während seine Frau und sein Umfeld seine Arbeit verabscheuen und als beschämend empfinden, perfektioniert Daigo langsam die Kunst des "Nokan" und entdeckt auf seiner tiefgründigen und manchmal komischen Reise als so genannter "Pförtner" zwischen Tod und Leben, zwischen den Toten und den Hinterbliebenen, die Wunder, den Spaß und die Bedeutung des Lebens.

Kritik

Als am 22. Februar 2009 der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an "Nokan - Die Kunst des Ausklangs" verliehen wurde und damit den hochfavorisierten israelischen Dokumentartrickfilm "Waltz with Bashir" ausstach, war das für viele eine große Überraschung, auch weil das damit erst der vierte Academy Award für Japan in dieser Kategorie war – nach einer sage und schreibe 53 Jahre andauernden Durststrecke. War der japanische Film Anfang der 50er Jahre, als der Oscar für den besten fremdsprachigen Film noch als Ehrenaward vergeben wurde und es keinerlei Mitnominierte gab, noch ein sicherer Aspirant für die Auszeichnung, wurden bis Anfang der 80er Jahre zwar immer mal wieder japanische Filme nominiert, aber man konnte nie wieder die begehrte Trophäe mit nach Hause nehmen. Von 1982 bis einschließlich 2002 wurden Filme aus Japan bei der Verleihung sogar gänzlich ignoriert und konnten sich erst 2003 mit "Samurai in der Dämmerung" wieder über eine Nominierung freuen.

Dass "Nokan - Die Kunst des Ausklangs" das Kunststück gelang, in die Nominierungsliste aufgenommen zu werden und sogar zu gewinnen, ist das Ergebnis einer zehnjährigen Vorbereitungsphase, als Hauptdarsteller Masahiro Motoki zuerst die Idee zu diesem Film hatte und dafür sogar die Kunst des "Nokan" ebenso wie das Beherrschen des Cellos erlernte. Daraus entwickelte sich eine wahre Herzensangelegenheit für Regisseur, Schauspielensemble und alle Mitwirkenden, die allein aufgrund der Thematik des Films allesamt nie erwartet haben, dass "Nokan - Die Kunst des Ausklangs" sowohl bei den Kritikern als auch bei den japanischen Zuschauern so gut ankommt: Neben unter anderem zehn Auszeichnungen beim Japan Academy Prize, spielte der Film allein in Japan ein Zehnfaches seines ursprünglichen Budgets ein. Yojiro Takita, der im Vorfeld zahlreiche Beerdigungen besuchte, um die Gefühle der trauerenden Familien besser verstehen zu können, schuf so einen Film über ein großes Tabuthema in Japan, den Tod.

Zwar wird dieser im "Nokan" thematisiert, aber dies geschieht derart zeremoniell, dass immer noch eine deutliche Distanz in der Handhabung des Todes zu erkennen ist: Der Körper des Verstorbenen wird auf eine sehr künstlerische Art und Weise gewaschen, umgekleidet, aufbereitet und anschließend in den Sarg gehoben. Dies alles geschieht, im Gegensatz zu den Bräuchen in vielen anderen Ländern, vor den Augen der Familien, um eine nahezu unwirkliche Atmosphäre von Sympathie und Ehrerbietung zu schaffen. Für viele Jahre war "Nokan" den Familienmitgliedern selbst vorbehalten, mittlerweile bieten immer mehr Bestattungsunternehmen diesen Service zusätzlich an, wie auch "NK Agency", der neue Arbeitgeber Daigos im Film. Daher werden Bestatter, die sich auf diese Dienstleistung spezialisiert haben, im besten Fall schief angesehen, im schlechtesten Fall bemängelt und als Schande angesehen, weil sie sich in das Privateste der japanischen Kultur hinein getraut haben.

Auch Daigo hat damit zu kämpfen, als er sich anfangs nicht traut, seiner Frau Mika mitzuteilen, wie denn nun sein neuer Job aussieht. Als sie es schließlich doch erfährt, stellt sie ihm das Ultimatum, sich zwischen ihr oder seiner Profession zu entscheiden und sich einen "normalen" Job zu suchen, da sie seine Arbeit als beschämend ansieht. Daigos alter Schulkamerad Yamashito reagiert ähnlich und vermeidet ab sofort den Kontakt mit ihm, wenn er ihn nicht gerade auf offener Straße anfeindet.

Wie sich gezeigt hat, waren Yojiro Takitas Befürchtungen, viele negative Reaktionen auf die Verfilmung eines Tabuthemas zu erhalten, umsonst. Dies liegt vor allem an der stimmigen Inszenierung, die erst durch die geradezu ausschweifende Vorbereitung im Vorfeld des Films möglich war. Nicht nur die Bestattungszeremonie selbst, sondern auch die Reaktion der Trauernden, werden hierbei gefühlvoll und gleichzeitig realistisch dargestellt, so dass es möglich ist, die nötige Portion Sympathie für die einzelnen Figuren zu empfinden.

Unterstützt wird dies durch starke schauspielerische Leistungen, wobei insbesondere Masahiro Motoki sowohl bei den anfänglich komischen Szenen, als er sich erst an den neuen Job gewöhnen muss, als auch dann, als er immer mehr Gefallen an seiner Arbeit findet und versucht, sie gegenüber seinem Umfeld zu verteidigen, überzeugen kann. Ryoko Hirosue als Daigos Frau Mika schafft es abermals mit ihrer unverbrauchten Art (trotz unzähligen Serienrollen, Engagements in Werbespots und einer erfolgreichen Musikkarriere), die Sympathien auf ihre Seite zu ziehen, auch wenn sie seit Daigos neuem Job eine gespaltene Beziehung zu ihm hat und aus europäischer Sicht teilweise unglaubwürdig reagiert. Tsutomu Yamazaki, der den neuen Boss von Daigo spielt und mit seiner lakonischen Art ebenso den Spagat zwischen Komik und Tragik schafft, sowie Kimiko Yo als Sekretärin bei "NK Agency" (übrigens beide bei oben genanntem Japan Academy Prize als beste Nebendarsteller ausgezeichnet), schaffen es, die neue (Arbeits-)Situation, in der sich Daigo befindet, vielschichtig genug zu zeigen.

"Nokan - Die Kunst des Ausklangs" wurde während der Monate März bis Mai in der Präfektur Yamagata gedreht, die sinnbildlich für die Entwicklung in vielen ländlichen Gegenden Japans ist, wo insbesondere die jüngere Generation in die großen Städte auswandert, und so mit der Zeit einige Aspekte der japanischen Tradition verloren gegangen sind, da die Älteren nicht die Möglichkeit haben, den Jüngeren ihre Kultur gebührend näher zu bringen. Yojiro Takata stellt diese Entwicklung auch optisch durch die Einbindung vieler veralteter Häuser und Einrichtungen, die nicht so recht in das heutige Bild passen, das man im Westen oft vom fortschrittlichen und regelrecht hektischen Japan hat, sehr gut dar.

Abgerundet wird das Ganze durch den tollen Soundtrack von Joe Hisaishi, der mittlerweile für über 100 Filmscores verantwortlich ist, und Szenen passend mit Streicher- und Pianoklängen unterstreicht, wodurch es auch möglich ist, gleichzeitig die Cello-Leidenschaft Daigos sinnvoll in das Geschehen einzubauen.

Fazit

Yojiro Takita ist es bravourös gelungen, ein Tabuthema der japanischen Kultur mit dem nötigen Respekt und mit viel Gefühl darzustellen, ohne dabei effekthaschend zu wirken. Unterstützt von einem tollen Schauspielensemble und großartiger musikalischer Untermalung erzählt "Nokan - Die Kunst des Ausklangs" eine berührende Geschichte über Familie, Liebe, Entdeckung, Selbstfindung und Hoffnung.

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Andreas K. - myFanbase
29.04.2009

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