Bewertung
Matthias Emcke

Phantomschmerz

Alles beim Alten.

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Inhalt

Marc (Til Schweiger) ist Lebenskünstler, Frauenheld und passionierter Rennradfahrer. Neben seiner Freundschaft zu Alexander (Stipe Erceg) bildet die Begeisterung für seinen Sport eine der wenigen Konstanten in seinem Leben. Seine Unverlässlichkeit belastet auch das Verhältnis zu seiner Tochter. Erst die Begegnung mit Nika (Jana Pallaske) bringt sein hartnäckiges Junggesellentum ernsthaft ins Wanken. Als er nach einem Unfall ein Bein verliert, beginnt er zögerlich sein Leben neu zu sortieren.

Kritik

"Phantomschmerz" verliert keine Zeit um klarzustellen: Dieser Marc ist ein Hecht. Bevor noch die Titel im Bild erscheinen, hat er zwei Eroberungen hinter sich gebracht und als ambitionierter Rennradfahrer die Trainingsgruppe einer Profimannschaft am Hügel stehen lassen. Regisseur und Autor Matthias Emcke hat sich bei der Entwicklung seiner Figur in erster Line an der Lebensgeschichte seines Freundes Stephen Sumner orientiert, dennoch erscheint die Rolle Schweiger quasi auf den Leib geschrieben. Die exzessive Eitelkeit mit der sich Schauspieler Schweiger als Regisseur in Szene setzt, ist spätestens seit seinem Kassenhit "Keinohrhasen" hinlänglich bekannt. Charakterschauspieler werden in Interviews gerne gefragt, wie viel denn die Rolle von ihnen erzähle. Bei Schweiger erübrigt sich die Frage. In eigentlich allen seinen Filmen ist er vor allem bemüht, die Grenze zwischen Rolle und Person verschwimmen zu lassen und die deutsche Öffentlichkeit mit seinem hypertrophierten Selbstbild zu beglücken. Auch in "Phantomschmerz" erscheint er also wieder als professioneller Womanizer, der selbst mit der dämlichsten Anmache wirklich jede Frau rumkriegt. Wiederum ist Til aka Marc bindungsscheuer und verantwortungsflüchtiger Lebenskünstler, dem dann in den nächsten 97 Minuten aufgegeben ist, sich dem Ernst des Lebens zu stellen. Hier bedeutet das konkret, dass Marc Verantwortung für seine Tochter übernehmen, sich zu seiner Liebe zu Nika bekennen, sowie vom Gelegenheitsjobber zum Vollblutautor werden muss.

Überwiegt inhaltlich das Déjà-Vu, gibt es optisch eine kleine Variation: Zum ersten Mal in seiner Karriere erscheint Schweiger hier mit strähniger Matte. Tatsächlich erweist sich das nicht als schlechte Entscheidung, da die wirren Haare der Verlebtheit der Figur zuarbeiten, der bohèmehafte Einschlag dem behaupteten Schreibtalent zumindest ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit leiht. Generell bleibt die Inszenierung Schweigers als Mann des Wortes ähnlich überzeugend wie ein Biopic über Ingeborg Bachmann mit Christine Neubauer in der Titelrolle. Und wer nun erwartet, dass Marc nach dem unvermeidlichen Reifungsprozess wieder zur Schweiger-typischen sportiven Kurzhaarfrisur zurückkehrt – wird nicht enttäuscht.

Dass Schweigers schauspielerische Mittel zu beschränkt sind, um alleine einen Film zu tragen, ist nun keine Neuigkeit. Er selbst war klug genug, sich in seinen beiden Erfolgsfilmen starke Frauenfiguren an die Seite zu schreiben. "Keinohrhasen" wurde eigentlich nur durch den Charme und Witz Nora Tschirners temporär aus der Todeszone geschmacksfernen Pubertätshumors gerettet. Emcke aber baut seine Geschichte ganz und gar um seine Hauptfigur. Freunde und Frauen dürfen hier vor allem als Unterstützer und Stichwortgeber herhalten. Sosehr davon in Anspruch genommen, seinem Helden vermeintlich witzig, weise Geschichten zuzuschreiben – die durchweg nicht über den Unterhaltungswert des Telefonbuchs von Wattenscheid hinauskommen und eine vergleichbare Gedankentiefe aufweisen – bleiben für Jana Pallaske keine kreativen Kapazitäten mehr frei. Nicht nur wird sie mit Dialogzeilen abgespeist, die sich auf Bewerbungsfilmniveau bewegen. Ihre Rolle erschöpft sich in der vermeintlich weiblichen Tugend behutsamen Förderns. Das Fordern fällt aus. Weibliches Selbstbewusstsein, das dem penetranten Verantwortungsflüchtling wahlweise nachdrücklich den Kopf wäscht oder den hochverdienten Laufpass gibt, ist hier nicht gefragt.

Insgesamt tut sich Emcke mit der Charakterfeinzeichnung und Handlungsentwicklung sichtlich schwer. Immer wieder greift er auf ausufernden Musikeinsatz zurück. Über weite Strecken wähnt man sich in einem auf Spielfilmlänge angeschwollenen Videoclip, der immer wieder kurz von Dialogpassagen unterbrochen wird. Dank der beschwingten Melancholie von Songwriterlegende Nick Drake und der souveränen Kameraarbeit von Ngo The Chau entstehen so auch immer wieder stimmungsvolle, manchmal berührende Momente. Die spektakulären Aufnahmen des Tourmalet bieten momentlanges Panoramakino, das in der deutschen Filmlandschaft sicher seines gleichen sucht. Aber wenn die Musik einmal ausnahmsweise abgedreht ist, geht "Phantomschmerz" regelmäßig die Luft aus.

Fazit

Schon Marco Kreuzpainter hatte in "Ganz und Gar" die Geschichte des Frauenhelden erzählt, der nach einer Amputation sein Leben neu sortieren muss. Ohne Staraufgebot und mit Witz, Charme und Gefühl. Kreuzpainter brachte in seinem Debütfilm den Mut auf, seine Hauptfigur auch in ihrer Scham, Demütigung und Zerrüttung zu zeigen. Matthias Emcke hingegen scheint in seiner ersten Regiearbeit "Phantomschmerz" so entschlossen, seinen Helden in jeder Lebenslage gut aussehen zu lassen, dass die in der Erzähllogik unvermeidlichen Tiefpunkte bloßes Pro-Forma bleiben. Wie der unwiderstehliche Charme Marcs, bleiben auch dessen Konflikte und Wandlung reine Behauptung, der "Phantomschmerz" virtuell.

Tobias Lenartz - myFanbase
04.05.2009

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