Bewertung
Rob Epstein & Jeffrey Friedman

Howl – Das Geheul

"I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked,
dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix..."

Foto: Copyright: Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG
© Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG

Inhalt

1955 veröffentlicht der 29-jährige Allen Ginsberg (James Franco) das Gedicht "Howl" ("Geheul"), welches aufgrund obszönen Vokabulars sowie Anspielungen auf Sex und Drogenmissbrauch bald ins Kreuzfeuer der Justiz gerät. 1957 wird daher der Herausgeber des Gedichtbands, Lawrence Ferlinghetti (Andrew Rogers), angeklagt. In einem Gerichtsverfahren stehen sich dessen Anwalt Jake Ehrlich (Jon Hamm) und der anklagende Staatsanwalt Ralph Macintosh (David Strathairn) gegenüber. Gleichzeitig legt Ginsberg in einem Interview seine Sicht der Dinge dar, die Bedeutung des Gedichts für ihn und für sein Leben.

Kritik

"… who howled on their knees in the subway and were dragged off the roof waving genitals and manuscripts,

who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists, and screamed with joy..."

In einer quasi enttabuisierten Welt, wie wir sie heute erleben, mag es zunächst vielleicht unverständlich sein, wie ein einziges Gedicht gleich ein ganzes Justizverfahren auf sich ziehen kann. Versetzt man sich jedoch zurück ins Amerika der 50er Jahre, so sieht die Welt ganz anders aus: Man war dabei, sich vom Zweiten Weltkrieg zu erholen, die aufstrebende Mittelschicht gewann immer mehr finanzielle Macht und unter einem Deckmäntelchen der Moral verhielt man sich konform und konservativ. Gleichzeitig brodelte es jedoch unter der vermeintlich perfekten Oberfläche, gerade die junge Generation begann zu rebellieren, und mit der Wirkung eines Vulkanausbruchs erschien 1955 schließlich Ginsbergs Gedicht "Howl", ein komplexes, sich gegen jegliche Konventionen sträubendes Werk, das die Gemüter erhitzte.

"Howl" brach stilistisch und vor allem thematisch sämtliche Tabus, die die damalige US-Gesellschaft bestimmten: Explizit sprach Ginsberg über (Homo)Sexualität, Drogen, Tod – Themen, die sonst mit größter Vorsicht vermieden wurden. Diesen Bruch mit sämtlichen Konventionen versuchen auch Rob Epstein und Jeffrey Friedman kinematographisch umzusetzen, und entschieden sich daher für eine non-lineare Erzählweise in ihrem Film: Der Zuschauer folgt verschiedenen, zusammenhanglosen Handlungsstängen; einmal Ginsberg in einem Literaturcafé, wie er sein Gedicht vorträgt, einmal Ginsberg bei einem Interview, einmal das Gerichtsverfahren in Kalifornien, und einmal eine animierte Visualisierung des Gedichts selbst, welches sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Anders als man es vermuten mag, ist "Howl" nämlich kein Biopic über Allen Ginsberg, sondern vielmehr eine Huldigung seines Gedichts. Nicht Ginsberg ist der Protagonist, sondern sein Werk.

Hier setzen einerseits der Pluspunkt und andererseits das Problem des Films an: Die eigenwillige Interpretation von Ginsbergs Gedicht, die sich in den animierten Filmsequenzen manifestiert, ist zwar sehr kreativ und gestalterisch, fängt die Essenz von "Howl" aber nicht wirklich ein. Wie auch, schließlich ist das Gedicht unheimlich vielschichtig und ergibt für jeden Einzelnen einen anderen Sinn, wenn überhaupt. Die Melange aus überladener Animation und schwerer Musik verpufft daher letztlich, auch wenn die Übergänge zwischen den real gefilmten Szenen und den Zeichentrickpassagen durchaus fließend sind. Der gewagte Versuch, mit einem Medium (Film) ein anderes Medium (Lyrik) einzufangen, ist letztlich nur bedingt erfolgreich, in jedem Fall aber zumindest interessant.

Weitaus eindrucksvoller ist hingegen das Interview – oder besser gesagt der Monolog – Ginsbergs, welcher von James Franco überragend porträtiert wird. Franco ist, mit einem Wort, perfekt in dieser Rolle und überzeugt als philosophierender Poet, als verzweifelter Liebhaber, als verlorener Jüngling, als passionierter Redner. Wenn Franco als Ginsberg über die Literatur und das Leben sinniert, könnte man ihm stundenlang dabei zuhören. In dieser Hinsicht ist es beeindruckend wie der Film, dessen zentrales Thema die literarische Diskussion über "Howl" ist, keinesfalls trocken oder langweilig wirkt, sondern zu eigenen Gedanken inspiriert. Francos Performance ist einfach mitreißend, aber dennoch subtil genug, um absolut authentisch zu wirken. Doch auch die weiteren Darsteller, welche vorwiegend in der Storyline rund um das Gerichtsverfahren auftreten, sind allesamt überzeugend in ihren Rollen: Sei es David Strathairn als bürgerlicher, steifer Staatsanwalt Macintosh, Jon Hamm als charmanter, wortgewandter Anwalt Ehrlich, der aufgrund des Settings natürlich stark an seine Paraderolle aus "Mad Men" erinnert, seien es Mary-Louise Parker oder Treat Williams in kleinen Nebenparts.

So ist der Film "Howl" letztlich eine Ode an das Gedicht "Howl" selbst und an dessen Antikonformismus – indem der Film selbst mit den üblichen dramaturgischen Konventionen bricht und die Storylines mehr oder weniger lose nebeneinander stellt, spiegelt er die Struktur des Gedichts wider und trägt ihm damit Rechnung. Dennoch wäre es auch wünschenswert gewesen, mehr von seinem Erschaffer Allen Ginsberg zu erfahren, einem der Hauptfiguren der Beat Generation, einem faszinierenden Querdenker, dessen Leben zweifellos noch viel mehr hergegeben hätte.

Fazit

"… I'm with you in Rockland

in my dreams you walk dripping from a sea-journey on the highway across America in tears to the door of my cottage in the Western night."

Eine ungewöhnliche Hommage an ein ungewöhnliches Gedicht und seinen Verfasser: "Howl" wird vor allem Fans von Allen Ginsberg und der Beat-Autoren allgemein gefallen, da sein Fokus sich stark auf Literatur, im Besonderen natürlich auf Lyrik, richtet. Getragen von seinem großartigen Hauptdarsteller James Franco entwirft der Film einen eigenen kleinen Mikrokosmos, ganz im Sinne Ginsbergs.

Maria Gruber - myFanbase
12.01.2011

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