Bewertung
Apichatpong Weerasethakul

Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben

"Im Angesicht des Dschungels, der Hügel und der Täler, tauchen meine vergangenen Leben als Tier und als andere Wesen immer vor mir auf."

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Inhalt

Der an einer schweren Nierenkrankheit leidende Boonmee (Thanapat Saisaymar) fasst den Entschluss, seine letzten Tage gemeinsam mit seiner Familie zu verbringen. Boonmee wird dabei nicht nur von seiner Schwägerin Jen (Jenjira Pongpas) und seinem Neffen Tong (Sakda Kaewbuadee) besucht, sondern auch von seiner vor 19 Jahren verstorbenen Frau Huay (Natthakarn Aphaiwonk) sowie seinem vor langer Zeit verschwundenen Sohn Boonsong (Geerasak Kulhong), der jedoch nicht in seiner menschlichen Form zurückkehrt. Gemeinsam mit seiner Familie unternimmt Boonmee eine Reise in den Dschungel. Das Ziel ist eine geheimnisvolle Höhle, der Ort seiner ersten Geburt.

Kritik

Nabua ist ein im Grunde verschlafenes Dörfchen, das im Nordosten Thailands angesiedelt ist. 1965 erlangte das Dorf traurige Berühmtheit, als es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen kommunistischen Bauern und dem Militär kam, die vielen Thailändern das Leben kostete. Zwei Jahrzehnte lang war die Region anschließend der Besetzung durch die Regierungstruppen und der damit einhergehenden Unterdrückung und Gewalt ausgesetzt. Bis heute ist dort eine seltsame Stimmung zu verspüren, die geradezu an ein Trauma erinnert, denn abgesehen von der physischen Gewalt, der die Bevölkerung ausgesetzt war, war für die folgende Generation die Indoktrination einer ihnen fremden Kultur und Wertevorstellung prägend. Zur in Nabua herrschenden Kultur, die zusehends auch in den vergangenen Jahren durch umstrittene politische Entscheidungen an den Rand gedrängt wurde, gehört unter anderem auch der Glaube an Wiedergeburt, der bis zu dieser Entwicklung fest mit dem in Thailand überwiegend praktizierten Buddhismus verknüpft war.

Entsprechend logisch ist daher auch der Schritt von Regisseur Weerasethakul, maßgeblich inspiriert durch das Buch "A Man Who Can Call Recall His Past Lives", das er von einem Mönch erhielt, natürliche und übernatürliche Elemente mit einer gehörigen Portion Selbstverständnis miteinander zu verbinden. Das mag für Zuschauer, die westliches Kino gewöhnt sind, auf den ersten Blick befremdlich wirken, ist aber lediglich konsequent. So taucht unter anderem Boonmees Sohn Boonsong als Geisteraffe auf, ein mysteriöses Wesen mit pechschwarzem Fell und leuchtend roten Augen, oder die seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten verstorbene Frau erscheint als Geist, um Boonmee zu unterstützen. Dasselbe gilt für die trashigen, mit Humor versetzten und auch mal deutlich sexuell angehauchten Szenen, die es in Weerasethakuls Schaffen immer mal wieder gab und die natürlich auch diesmal nicht fehlen dürfen. Ein Beispiel: Eine Prinzessin flirtet mit einem Wels und lässt sich von diesem schließlich oral befriedigen. Klingt seltsam und vielleicht sogar abstoßend? Dann wird es Zeit, sich mit den bisherigen Werken und der dort verwendeten Symbolik des thailändischen Wunderregisseurs zu beschäftigen.

Dann fällt einem das Motiv der Unterdrückung von Freiheit und kultureller Verfremdung auch in "Uncle Boonmee" mehr als deutlich auf. Es ist sogar politischer Subtext zu finden, der äußerst intelligent in Form von gemeinsamen Photographien von thailändischen Soldaten und Geisteraffen in das Geschehen eingeblendet wird: Selbst die Geisteraffen sind vor der trivialen und weltlichen Intervention der Obrigkeiten nicht gefeit und werden vorgeführt. Es handelt sich eben doch um deutlich mehr als um eine simple Fantasy-Geschichte, und in Zusammenhang mit der Wiedergeburtsthematik, den Erinnerungen und Träumen von Boonmee und der Transformation, der jedes Lebewesen auf die eine oder andere Art ausgesetzt ist, erfüllt selbst die Szene mit der Prinzessin ihren Zweck. Und dieser Zweck heißt vollkommene Überwältigung des Zuschauers durch eine surreal-fantastische Handlung in Verbindung mit einer atemberaubenden Optik und einem geradezu hypnotisierendem Soundtrack.

Denn glücklicherweise ist Weerasethakul vollkommen bewusst, wie unbeschreiblich schön der Nordosten Thailands sein kann. Und so setzt er gemeinsam mit seinen drei Stamm-Kameramännern Sayombhu Mukdeeprom, Yukontom Mingmongkon und Chanin Pengpanich auf weitläufige Aufnahmen, lange Einstellungen und auffällig wenige Schnitte. In dieser Form wirken die transportierten Bilder richtiggehend meditativ. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den minimalistischen Soundtrack, der im Grunde nur aus perfekt eingefangenen Tönen aus der Natur, vornehmlich dem Zirpen von Grillen, besteht. Erst sehr spät im Verlauf des Filmes ist auch mal sowas wie Musik zu hören. Es gibt äußerst wenige Regisseure, die in der Lage sind, durch die perfekte Harmonisierung von Plot, Optik und akustischer Untermalung eine erinnerungswürdige Szene nach der anderen zu erschaffen, Weerasethakul ist zweifelsohne einer davon. Da ist es schon fast unnötig zu erwähnen, dass er neben zahlreichen Auszeichnungen in der ganzen Welt mittlerweile auch bereits dreimal groß bei den Filmfestspielen von Cannes abräumte – 2002 in der "Un Certain Regard" Sektion, 2004 der Preis der Jury und 2010 schließlich die Goldene Palme - für "Uncle Boonmee".

"Das Problem bei meinen Spielfilmen ist, dass mich die Leute ständig fragen 'Was bedeutet das?' Oder 'Ist das die richtige Interpretation? Was ist die Idee hinter diesem und jenem?'" Diese Aussage von Weerasethakul in einem Interview spiegelt das wider, was Regisseure, die einen gewissen Anspruch an das Medium Film stellen, der sich von üblichen Sehgewohnheiten unterscheidet, immer wieder zu hören bekommen. Dabei ist "Uncle Boonmee" tatsächlich das bisher zugänglichste Werk von Weerasethakul, aber dennoch weit davon entfernt, den Zuschauer an die Hand zu nehmen und durch das Geschehen zu führen. Manche Erinnerungen oder Träume sind nicht nur thematisch vielseitig interpretierbar, sondern auch im Bezug auf die Chronologie oder die handelnden Personen. Als was sieht sich Boonmee tatsächlich? Ist er die Kuh in der einen und der Wels in einer anderen Sequenz? Ist es nur die offensichtliche Wahl und möchte Weerasethakul vielleicht nicht doch eine ganz andere Metaphorik aufbauen? Am Ende entscheidet der Zuschauer selbst, wie er das soeben Gesehene nun zu verarbeiten und einzuordnen hat und gibt ihm damit eine ungeahnte Handlungs- und Deutungsfreiheit, die ihm in Anbetracht der Vielzahl von manipulativen und bevormundenden Filmen, die veröffentlicht werden, eventuell bereits gänzlich abhanden gekommen ist.

Fazit

"Uncle Boonmee" ist nicht für jedermann. Das will der Film auch nie sein. Verabschiedet man sich von üblichen Sehgewohnheiten und ist empfänglich für die offenbarte Ungewöhnlichkeit, für das Rätselhafte und das damit verbundene Magische, dann ist man Zeuge davon geworden, dass Kino weiterhin visuelle Kunst sein kann und es in den vergangenen Jahren selten eindrucksvollere Beweise dafür gab.

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Andreas K. - myFanbase
09.04.2011

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