Bewertung
Christoph Hochhäusler

Unter dir die Stadt

"Ich wollte eigentlich über Liebe reden"

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Inhalt

Der Bankangestellte Oliver (Mark Waschke) ist mit seiner Frau Svenja (Nicolette Krebitz) aufgrund eines neuen Jobs von Hamburg in die Finanzstadt Frankfurt gezogen. Svenja fühlt sich verloren in dieser neuen, ihr vollkommen fremden Welt. Auf einer Vernissage lernt sie den erfolgreichen Banker Roland Cordes (Robert Hunger-Bühler) kennen, der gleichsam der Chef ihres Mannes und Banker des Jahres ist. Der kühle Machtmensch Cordes findet schnell Interesse an der geheimnisvollen und unberechenbaren Svenja und auch Svenja selbst beginnt dem älteren, machthungrigen Bankenchef mehr und mehr zu verfallen. Es entsteht eine leidenschaftliche Affäre zwischen diesen oberflächlich betrachtet vollkommen unterschiedlichen menschlichen Individuen, welche geprägt ist von Liebe, Leidenschaft, Verrat und Verlogenheit.

Kritik

Die globale Finanzkrise und die darauf folgende europäische Währungskrise dominieren das aktuelle politische Geschehen. Viel wird über Banken, Banker, Spekulanten, Hedge-Fonds-Manager und deren moralische Integrität diskutiert. Da das Medium Film auch immer ein Spiegelbild aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen darstellt, ist es kein Wunder, dass sich zunehmend mehr Filme mit der Situation der Banken und der Finanzkrise auseinandersetzen. Einer der eindrucksvollsten Beiträge zu dieser Thematik stammt vom deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler, der in seiner kühlen, im Bankenmilieu angesiedelten Beziehungsstudie einen eindrucksvollen Einblick in dieses von gnadenloser Rationalität geprägte finanzielle Subsystem gewährt.

Um zum Kern dieses besonderen, filmischen Werkes vorzudringen, genügt zunächst ein Blick auf den Titel, der mit "Unter dir die Stadt" wohl nicht passender hätte sein können. Der Bankenchef Cordes hat sein Büro in einem riesigen, gläsernen Hochhaus, mitten in der Innenstadt Frankfurts. Von dort aus kann er hinunterschauen auf die Stadt, auf das geschäftige, städtische Leben. Er bleibt aber stets über dem Geschehen, verharrt größtenteils in seinem gläsernen Eiffelturm und hat mit der lebensweltlichen Realität der "normalen" Menschen kaum noch etwas zu tun. Nur manchmal begibt er sich hinab, in die schreckliche Realität, in den Dreck der Großstadt und betrachtet Drogenjunkies bei ihrer Suchtbefriedigung.

Hochhäusler erzählt diese überaus tragische Geschichte ungemein dicht, intensiv und packt sie in unterkühlte, fast schon sterile Bilder. Das Innenleben einer Bank wird eindrücklich und genau geschildert. Der Zuschauer nimmt Teil am Büroalltag und an Meetings, bei denen nüchtern über strategische Entscheidungen diskutiert wird, deren weitreichende Konsequenzen niemand wirklich abschätzen kann. Diese emotionslose Finanzwelt wird mit einer romantischen Affäre in Verbindung gesetzt, welche mit der attraktiven, ruhelosen Svenja und dem kühlen, abgestumpften Banker Ronald zwei verlorene Seelen zeigt, die in einer leidenschaftslosen Welt leben, heimatlos, unverwurzelt, im leeren Raum schwebend, abgestumpft nach Liebe und Wahrheit suchend in einer Welt der Lüge und Täuschung.

Auf der einen Seite ist da der über enorme Macht verfügende Banker Roland Cordes, der diese Macht missbraucht, um seinen Nebenbuhler ins Ausland abzuschieben. Er lebt in einer unterkühlten Parallelwelt, in der es um reine Gewinnmaximierung und nicht um Emotionalität geht. Erst in der Affäre mit Svenja empfindet er wieder irgendetwas, beginnt in gewisser Weise aufzuweichen, kapselt sich immer mehr aus seinem vorherigen verlogenen Leben ab und konfrontiert sich immer öfter mit der lebensweltlichen Realität.

Und da ist noch Svenja, bei der man sich permanent fragt, was sie eigentlich in die Arme dieses mächtigen, aber gleichsam verlorenen Bankers treibt. Liebe? Leidenschaft oder doch viel mehr Einsamkeit, Selbstbestätigung oder der verzweifelte Versuch, die Leere ihres Lebens zu füllen? Sie wirkt über die ganze Laufzeit wie alle Charaktere kühl, emotional abgestumpft, selbst beim Liebesakt zeigt sie kaum Leidenschaft, oder auch nur ein kleines Anzeichen von Lebensfreude. Meisterlich gespielt werden diese beiden Figuren, auf die sich der ganze Film fast vollständig konzentriert, von der Berlinerin Nicolette Krebitz und dem Schweizer Theaterschauspieler Robert Hunger–Bühler. Nuanciert, differenziert und authentisch ist das Spiel dieser beiden Ausnahmekünstler – absolut beeindruckend.

Der finale Schlussakt mündet in einem kryptischen Ende, welches einen dann endgültig ratlos und nachdenklich zurücklässt. Absolut passend für dieses rätselhafte, unheilvolle und intensive Beziehungs- und Charakterdrama, welches gleichermaßen auch eine brillant inszenierte und fotografierte Milieustudie darstellt.

Fazit

Erklärungen verweigert sich Hochhäusler in seinem stimmigen, großartig gefilmten, inszenierten und gespielten tragischem zeitdiagnostischen Film konsequent, was dieses Werk so ungemein faszinierend, spannend und mitreißend macht. Ein insgesamt schwer konsumierbares, aber ungemein bereicherndes filmisches Gesamtwerk, welches definitiv zu den interessantesten deutschen Filmen der letzten Zeit gehört.

Moritz Stock - myFanbase
11.11.2011

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