Bewertung
Vasili Sigarev

Living

"Warum lieben ihn wir eigentlich? Sie nehmen ihn uns doch sowieso weg!"

Inhalt

Ein Mann fährt auf einem Fahrrad, stürzt, wird von dem Pärchen Grishka (Yana Troyanova) und Anton (Alexey Filimonov) ausgelacht, und fährt weiter. Er erreicht einen abgelegenen Fluss, zieht sich die Schuhe aus und geht ins Wasser. Er stirbt. Kurz zuvor schaut der kleine Junge Artem (Aleksei Pustovoitev) aus seinem Fenster, und sieht diesen Mann mit seinem Fahrrad, wie er nur dasitzt und die Pedale dreht. Artems Mutter schreit ihn an, damit dieser aufhört, aus dem Fenster zu schauen. Unterdessen hat Kapustina (Olga Lapshina) Besuch von einer Polizistin (Alena Lapteva), die ihr Haus inspiziert und Fotos macht. Kapustina hat ihr Haus renoviert und alles verschönert, um ihre beiden Töchter wieder zu bekommen, die ihr das Jugendamt weggenommen hat. Sie hat alles richtig gemacht, und die Polizistin macht einen Anruf beim Jugendamt, damit diese ihre Töchter zu ihr schicken. Sie warten bis spät in den Abend und irgendwann rennt die Polizistin davon, denn sie möchte nicht die schreckliche Nachricht verkünden, dass die Töchter bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.

Kritik

Der Titel des Filmes ist sehr irritierend, denn mit der Freude des Lebens hat dieser Film wahrlich nichts zu tun, vielmehr ist es ein zutiefst melancholisches Werk. Es bedrückt einen schon allein in den Anfangsszenen, wenn der Junge Artem von seiner Mutter beschimpft und beleidigt wird. Sie möchte ihn am Liebsten in eine Irrenanstalt stecken, weil dieser ununterbrochen aus dem Fenster starrt. Wieso er das macht, wird erst am Ende aufgelöst, nur auf dem Weg dorthin muss der Zuschauer durch ein großes Wechselbad der Gefühle und offen sein für ungewöhnliche Handlungsstränge.

Der Film ist vom Prinzip her in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil, soviel darf verraten werden, handelt davon, wie Menschen in den russischen Weiten ihr einfaches und tristes Leben leben. Wie sie ihre persönlichen Probleme haben, wie sie sie verkraften und verarbeiten und wie die Umgebung darauf reagiert. Ein wesentlicher Punkt dieses ersten Teils ist aber auch das Sterben. Wie sterben Menschen? Sie tun es nicht einfach im Schlaf, sondern hier durch ganz bestimmte Umstände, die umfangreich ein Gesellschaftsbild von Russland zeigen, welches nicht fernab der Realität ist, sondern deutlich die Probleme und Fehlentwicklungen des Landes aufzeigt. Dass dabei einige positive Merkmale vorzufinden sind, widerspricht nicht der Aussage der zuvor aufgezeigten Problematik. Der zweite Teil des Filmes ist dann wie eine Kehrtwende, die nicht mehr den Tod im Fokus hat, sondern eine surreale Fantasie, die an dieser Stelle nicht verraten werden sollte.

Dieser Film ist aber nicht nur eine gelungene Sozialkritik, sondern auch ein Zusammenspiel fabelhafter Schauspieler. Die meisten von ihnen sind eher Unbekannte oder unerfahren im Film- und Fernsehgeschäft, was aber nicht bedeutet, dass sie ihre Arbeit hier schlecht abgeliefert haben. Ganz im Gegenteil: Alle Schauspieler wirken dermaßen realistisch, dass der Eindruck erweckt wird, es handle sich hier um eine Dokumentation. Sehr eindrucksvoll wirkt dabei Olga Lapshina, die hier die trauernde und allein lebende Mutter in zweierlei Hinsicht darstellt: Sie durchlebt die vier Trauerphasen nach Kant und muss dabei in kleinem Maße ganz anders reagieren. Es gibt bei der Darstellung für alle Schauspieler einen Clou. Der Regisseur Vasili Sigarev drehte hier Szene für Szene ohne viele Schnitte, was bedeutet, dass eine Szene teilweise minutenlang ohne einen Schnitt auskommt. Es ist daher eine eindrucksvolle Leistung von allen Schauspielern, ohne falschee Mimik bei diesem depressiven Film ein ausdrucksstarkes Auftreten gemacht zu haben.

Fazit

Melancholische Gesellschaftskritik, die nicht nur das Leben, sondern auch den Tod in Russland thematisiert und die Zuschauer dabei auf fabelhafte Schauspieler blicken können.

Ignat Kress - myFanbase
28.12.2012

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