Bewertung
Marjane Satrapi

Voices, The

"Ich fühle mich nicht mehr allein."

Foto: Copyright: 2015 Ascot Elite Filmverleih GmbH
© 2015 Ascot Elite Filmverleih GmbH

Inhalt

Jerry (Ryan Reynolds) ist kein vom Leben besonders gesegneter Zeitgenosse; nach langer Zeit in der Psychiatrie wird er mit der gerichtlichen Auflage, seine verordneten Medikamente zu nehmen und wöchentlich eine Therapeutin (Jacki Weaver) zu sehen, wieder in die Arbeitswelt eingegliedert. Er ist fleißig und scheint auch mit den Kollegen gut klarzukommen – alles ist normal, wenn man die Tatsache als normal empfindet, dass Jerry seinen Hund Bosco und seine Katze Mr. Whiskers sprechen hört und sich mit ihnen unterhält. Als er sich mit einer Arbeitskollegin anfreundet, wendet sich das Blatt in seinem Leben – allerdings nicht unbedingt zum Positiven für alle Beteiligten.

Kritik

"The Voices" spielt in der kleinen Industriestadt Milton, in der scheinbar alle Einwohner in der gleichen Fabrik arbeiten, beziehungsweise sich alle gegenseitig kennen. Dieser Kleinstadtcharme bietet eine wunderbare Kulisse für einen Horrorfilm – oder aber auch für einen Film, in dem schlicht und einfach die Charaktere im Mittelpunkt stehen sollen, ohne dass die Umgebung von ihnen auch nur ansatzweise ablenken könnte. Jerry arbeitet in der Badewannenfabrik von Milton als Verpacker und wird hier zu Beginn des Films von seinem Chef gebeten, die anstehende Firmenfeier mit zu organisieren. Anders als seine Kollegen aus den verschiedenen Abteilungen, freut sich Jerry auf die Aufgabe und findet zusätzlich noch Gefallen an Fiona (Gemma Arterton), einer Mitarbeiterin aus der Buchhaltung. Er scheut sich beeindruckender Weise nicht einmal ein kleines bisschen davor, diese anzusprechen und auch zum Essen einzuladen. Fiona äußert jedoch später im Büro Zweifel, da ihr Jerry unheimlich vorkommt. Sie versetzt ihn daraufhin und bringt so die verworrene Geschichte von "The Voices" rund um den Mann mit einer psychischen Erkrankung und seinem Kampf dagegen ins Rollen.

Die Stimmung, die der Film im Folgenden kreiert, erinnert stark an die Filme des Noir; regennasse, verlassene Straßen, in denen sich die Neonlichter der umliegenden Häuser spiegeln, vermitteln ein beklemmendes Gefühl – der Zuschauer ahnt schon, dass es nicht so ruhig bleiben wird. Dieses Spiel mit Licht und Farben in den eher ruhigeren Szenen von "The Voices" hat einen mysteriös-spannungsaufbauenden Einfluss auf die ganze Geschichte von Jerry, da zunehmend das Gefühl aufkommt, dass etwas in Jerrys Leben nicht ganz stimmt. Der Film könnte an dieser Stelle problemlos die Schwelle zum Thriller- oder Horrorfilm übertreten.

An Absurdität kaum zu überbieten sind die Szenen, in denen Jerry seine Arbeitskollegin Fiona ohne offensichtlichen Grund im Wald mit einer Unsumme an Messerstichen tötet, im Folgenden in seiner Küche aufbahrt und mit unerschütterlichem Ernst in Tupperware-große Stücke zerteilt – allein der Kopf landet, schön zurecht gemacht, im Kühlschrank. Szenen, die vermutlich die Zerrissenheit zwischen Realität und Fantasie, beziehungsweise Wahn eines an Schizophrenie erkrankten Menschen zeigen sollen. Ernsthaftigkeit und Humor werden hier in der Waage zu halten versucht, um diese schwere Thematik zu portraitieren, was jedoch nicht immer gelingt. Dort, wo Jerry die Leiche vor ihm mit aller Genauigkeit konzentriert zersägt, da es für ihn die in keinster Weise Besorgnis erregende Realität darstellt, findet der Zuschauer meist den Humor in der Tragik der Situation. Auch im weiteren Verlauf des Films ist dies ein fortlaufendes Muster – wann immer das Gelächter im Kinosaal am größten ist, ist es für Jerry purer Ernst und grausame Realität. Unterstützt werden die Lacher kontinuierlich von seinen Haustieren, Bosco und Mr. Whiskers, mit denen er sich ganz normal unterhalten kann. Hier wird das altbekannte Bild vom Engelchen und Teufelchen aufgegriffen: Während der Hund stets versucht, Jerry dazu zu bringen, seine Medikamente zu nehmen, so dass es ihm langfristig besser geht, besteht die Katze mit ihren unheimlich sarkastischen Kommentaren darauf, weiterhin in der Fantasiewelt zu verbleiben und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen.

In der zweiten Hälfte des Films freundet sich Jerry dann mit Lisa (Anna Kendrick) an, die ebenfalls in der Buchhaltung seiner Firma arbeitet, worüber sich der Zuschauer kaum freuen kann; die Bilder der zerhackten Fiona haben sich doch sehr stark eingeprägt und man möchte Lisa nur raten, nicht alleine an einem Ort mit Jerry zu verweilen. Dennoch, bei Betreten seiner Wohnung wird ihr schnell ganz anders, denn sie sieht natürlich die Realität, während Jerry in seiner Fantasiewelt lebt. Die Frage ist jetzt, ob er den Wünschen seines sich im Kühlschrank befindenden Fiona-Kopfes nach Gesellschaft nachgehen wird oder nicht, und ob er die Entscheidung überhaupt noch selber treffen kann.

Fazit

Ryan Reynolds brilliert in Marjane Satrapis Film über die Auswirkungen, die die Vergangenheit und eine psychische Erkrankung wie Schizophrenie auf einen Menschen haben können. Wann immer der Film durch Kommentare anderer Figuren oder Jerrys Verhalten versucht, die Krankheit oder die Umstände ins Lächerliche zu ziehen – Ryan Reynolds spielt durchweg überzeugend. Gemma Arterton spielt ihre Rolle als leicht verwirrte, aber liebenswürdige Arbeitskollegin Fiona und später Alleinunterhalterin seines Kühlschranks mit viel Witz und Humor, schafft es jedoch nicht über den Kühlschrankrand hinaus zu spielen. Auch Anna Kendrick überzeugt leider nicht ganz; trotz ihres breiten schauspielerischen Talents scheint ihre Rolle Lisa nur dem Zweck zu dienen, Jerrys Problem weiter zu illustrieren und kann so nur minimal als selbstständiger Charakter fungieren. "The Voices" ist ein Film, den man nicht zu ernst nehmen darf, auch wenn er von einer ernsthaften Erkrankung handelt. Er wandert kontinuierlich den Grat zwischen einer ernsthaften Herangehensweise und dem Versuch, nicht ins Lächerliche abzurutschen. Am Ende bleibt so hauptsächlich der Wunsch, auch so eine sarkastisch-amüsante Katze, die konstant an Salem aus "Sabrina – total verhext" erinnert, mit nach Hause nehmen zu dürfen.

Jeanne Plaumann - myFanbase
31.03.2015

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