Bewertung
Bob Fosse

Cabaret

Life is a cabaret

Foto: Copyright: 2014 EuroVideo Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.
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Inhalt

Der britische Linguistik-Student Brian (Michael York) trifft im Berlin des Jahres 1931 auf seine neue Mitbewohnerin (Liza Minelli). Die extrovertierte und lebenslustige Sally arbeitet im Cabaret des Kit Kat Clubs und plant eine Karriere als Schauspielerin. Aus der Freundschaft der beiden entwickelt sich schon bald eine lockere Beziehung, die vor allem durch Sallys Offenherzigkeit gegenüber dem anderen Geschlecht auf die Probe gestellt wird. Als sie den reichen und charmanten Maximilian (Helmut Griem) kennenlernt, verändert sich sowohl Sallys, als auch Brians Leben. Die politische Situation in Deutschland spitzt sich währenddessen immer mehr zu…

Kritik

Unter der Regie von Bob Fosse entstand im Jahr 1972 ein sowohl auf inhaltlicher, als auch auf visueller Ebene überzeugender Film über die Liebe und das Leben im Deutschland der frühen 1930er Jahre. Ausgezeichnet mit acht Oscars stellte der Film ein Karrieresprungbrett für die junge Liza Minelli dar. Auch abseits der vielen Preise zählt "Cabaret" heute zu den Highlights unter amerikanischen Film-Musicals. Dafür spricht nicht nur, dass die Tradition des in die Handlung integrierten Musikstücks gewahrt bleibt, vielmehr tragen die einzelnen Auftritte dazu bei, die Grenzen zwischen Cabaret und Wirklichkeit immer mehr verschwimmen zu lassen. In einer sich zunehmend radikalisierenden Gesellschaft hat dies jedoch fatale Folgen. Für Mensch und Kunst.

Während man auf der Bühne genüsslich die Nationalsozialisten persifliert, kommt es in Berlin zu immer mehr Straßenschlachten. Schon bald sind auch die Mitarbeiter des Cabarets nicht mehr vor dem Zorn der Nazis sicher. Aus der Persiflage wird bitterer Ernst, Politik ist omnipräsent. So wird auch in der Nebenhandlung, bei der aufkeimenden Beziehung von Fritz und Natalia, die Brisanz des gesellschaftlichen Wandels verdeutlicht. Die Tatsache, dass Öffentlichkeit und Privatleben, mit all ihren Freiheiten, keine separaten Räume mehr sind, zählt zu einer der essentiellen Botschaften des Films. Bei Gesprächen in der Wohnung, durch Plakate auf der Straße, allein innerhalb der filmischen Zeitmessung lässt sich die Radikalisierung und zunehmende Präsenz der Nazis abzeichnen. Der gut betagte und kosmopolitische Maximilian rechtfertigt diesen Wandel in der deutschen Bevölkerung als "notwendiges Übel". Diese Illusion, stets die Kontrolle zu behalten, offenbart sich für die Protagonisten jedoch als schwieriger als zunächst gedacht, vor allem in Beziehungsfragen.

Dass eine besondere Verbindung zwischen Sally und Brian besteht, zeugt zum einen von der stimmigen Chemie zwischen den Schauspielern und zum anderen von der Besonderheit der unterschiedlichen Charaktere. Beide scheinen zunächst leicht durchschaubar, doch erst im weiteren Verlauf des Films offenbaren sich die wirklich relevanten und prägenden Merkmale, die ihre jeweilige Handlungsmotivation begründen. In einer zunehmend unfreien Wertegesellschaft bilden sie in Bezug auf Familie, Sexualität und dem Gefühl der Zugehörigkeit eine notwendige Einheit. Das Auftreten von Maximilian bringt dieses Gerüst jedoch gehörig zum wackeln. Sally sieht in dem kultivierten Charmeur alles, wonach sie sich sehnt, ohne zu ahnen, dass es Brian genauso geht. Die neue Beziehungskonstellation wird in intimen Bildern gezeigt, die den späteren Twist in der Handlung bereits unterstreichen, ohne ihn zu forcieren. Nichts ist so, wie es scheint. Es sind die kleinen Gesten und die unauffälligen Blicke, die das Geschehen dominieren.

Während die Kamera bei Beziehungen lediglich zu observieren scheint, wird die Show des Cabarets durch verschiedene Blickwinkel und schnelle Schnitte regelrecht absorbiert. Durch unterschiedliche Perspektiven ermöglicht die Kameraarbeit dem Zuschauer einen ungehinderten Zugang zum Geschehen auf der Bühne und hinter den Kulissen. Nicht nur die Bilder, sondern auch die Choreographien und Gesänge verleihen dem Film Tempo und Vitalität. Sallys Auftritte sind, egal an welcher Stelle des Films, sowohl reflektierend als auch prophetisch. Cabaret und echtes Leben sind für die ambitionierte Sally kaum trennbar. Liza Minelli vermag dem Eifer der jungen Frau die richtige Mischung aus Neugier, Unbekümmertheit und Sehnsucht zu verleihen. Ihre Art sich zu bewegen, ihre komplette Mimik und Gestik dominieren den Film. Minellis Ausdruck und Körpersprache wirken expressiv wie impulsiv. Michael York und Helmut Griem passen sich ihr an oder ordnen sich ihr auch unter. Obgleich Minelli die unumstrittene Hauptfigur des Films ist, bietet vor allem der, von Joel Grey gespielte Zeremonienmeister des Cabarets eine andere Art der Leitfigur. In seiner Funktion unterhält er nicht nur die Zuschauer des Cabarets, sondern auch die Zuschauer des Films. Wie ein roter Faden, der zunächst schwach und dann immer präsenter wird, taucht er an verschiedenen Stellen des Films auf. Und so hat man auch nach zwei Stunden immer noch das Gefühl, dass das Cabaret, wie auch das Leben, endlos weiter geht. Wie fragil diese Annahme ist, zeigt aber erst der Blick in einen verzerrten Spiegel. Es ist eine traurige Zukunft für das Cabaret.

Fazit

Ein inhaltlich wie visuell überzeugender Film über die Freiheit der Liebe und das Leben im Schatten der nationalsozialistischen Machtergreifung.

Gabriel Knierim - myFanbase
15.04.2016

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