Bewertung
Na Hong-jin

Wailing, The - Die Besessenen

"Evil is coming."

Foto: Copyright: Neue Pierrot le Fou
© Neue Pierrot le Fou

Inhalt

In einem kleinen südkoreanischen Dorf kommt es zu unvorstellbaren Gräueltaten, die ganze Familien auslöschen. Alle Täter haben einen seltsamen Hautausschlag gemein. All das soll, so die Meinung der Dorfbewohner, mit der Ankunft eines Japaners (Kunimura Jun) zu tun haben, über den man so manche Horrorgeschichte hört. Als der etwas tollpatschige Polizist Jong-gu (Kwak Do-won) zu einem Tatort gerufen wird, der das geradezu unwirklich brutale Vorgehen des Mörders zeigt und kurze Zeit später seine Tochter Hyo-jin (Kim Hwan-hee) ein immer befremdlicheres Verhalten an den Tag legt, entscheidet sich Jong-gu auf Anraten seiner Schwiegermutter (Jin Heo) dazu, einen Schamanen (Hwang Jung-min) zu engagieren. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf...

Kritik

Wie fndet man Sinn in der Tragödie? Wie kommt man mit dem Verlust eines geliebten Menschen zurecht? Na Hong-jin, der mit seinen beiden vorherigen Regiearbeiten "The Chaser" und "The Yellow Sea" Kritikerlieblinge, nationale Kassenmagneten und internationale Preisträger schuf, hat sich genau diese Fragen stellen müssen – unfreiwillig. Innerhalb weniger Wochen sind zwei ihm nahe stehende Personen aus dem Leben geschieden. Beide Male handelte es sich um keinen natürlichen Tod. Seine Art, hiermit umzugehen, war eine stärkere Beschäftigung mit der christlichen Religion und die Arbeit am Drehbuch für "The Wailing". Nicht weniger als zwei Jahre und acht Monate dauerte das Schreiben des Drehbuchs nach eigenen Angaben. Wenn man dann noch die äußerst aufwendige Suche nach geeigneten Drehorten, sechsmonatige Dreharbeiten und eine Postproduktion mit einer Dauer von einem Jahr dazu rechnet, kommt man auf einen stolzen Zeitraum, den einer der zweifellos besten Regisseure der heutigen Zeit zur Verfügung hatte, um etwas ganz Besonderes zu schaffen.

"The Wailing" ist in jeder Sekunde anzusehen, dass hier richtig viel Arbeit hinein geflossen ist. Das beginnt beim Drehbuch dieses gut zweieinhalbstündigen Machwerks, das nicht eine Zeile zu lang ist. Jeder Dialog hat seine Daseinsberechtigung, jede Szene erfüllt ihren Zweck. Das Erzähltempo ist vergleichsweise langsam, was dazu führt, dass der Zuschauer gar nicht so recht merkt, wie er schließlich sein Augenpaar nicht von der Leinwand abwenden kann, wenn die Fäden immer weiter zusammenlaufen und die emotionale Wucht einen am Ende schier umhaut. Denkt man anfangs vielleicht noch, es mit einem klassischen "Whodunit" zu tun zu haben, wird nach so manchem Twist klar, dass a) nichts so ist, wie es scheint und b) die Frage nach dem Täter keine ist, die mit herkömmlichen Mitteln zu erklären ist. Hier zeigt sich – mal mehr, mal weniger subtil, aber nie aufdringlich – die religiöse Symbolik, die Na bei der Drehbuchschreiberei sehr beschäftigte und konsequenterweise auch "The Wailing" prägt.

Der Aufwand, der in diesen Film geflossen ist, zeigt sich aber auch in der grandiosen Kameraarbeit von Hong Kyung-pyo ("Snowpiercer"). Die 15-minütige Szene, in der der Schamane eine Zeremonie abhält, dabei von nicht weniger als sechs (!) Kameras aufgenommen und durch nicht einen Cut unterbrochen wird, ist ganz große Filmkunst. Zudem ist die gesamte Optik des Films schlichtweg überragend. Auf der einen Seite die abscheulichen Taten, die in entsprechenden Rottönen in einigen Szenen gemeinsam mit kleineren Lichtquellen durch Kerzen und Co. das Farbbild bestimmen. Auf der anderen Seite die südkoreanische Landschaft, die zum Kontrast bisher kaum so schön eingefangen wurde wie jetzt, und das obwohl man sich redlich Mühe gibt, möglichst viel in Regen und Nebel zu hüllen. Der Regen ist omnipräsent und wirkt schon fast wie der eigentliche Hauptdarsteller. "The Wailing" lässt überhaupt nicht die Illusion nach einem nicht nur sprichwörtlichen Silberstreif am Horizont zu, sondern schafft unter der immerzu danieder prasselnden Wucht des Regens eine Schwere, aus der sie den Zuschauer nur selten entlässt.

Hochinteressant ist auch die mutige Wahl des Hauptdarstellers. Denn auch wenn Na bereits mit Kwak Do-won in "The Yellow Sea" zusammenarbeitete, ist Kwak bisher praktisch nur als Nebendarsteller aufgetreten (u. a. auch in "Mother"). Dennoch war Na klar, dass nur Kwak der richtige für die Rolle des liebenswürdigen und etwas einfältigen Jong-gu ist. Wer mit asiatischem Kino ein wenig vertraut ist, weiß, dass den Darstellern ein meist recht rascher Wechsel aus Humor und Tragik zugemutet wird, der für westliche Zuschauer durchaus auch mal befremdlich wirken kann. Im vorliegenden Fall passt die Charakterzeichnung aber perfekt, sodass man Jong-gu als liebenden Familienvater genauso abnimmt wie den, der gegenüber einem Tatverdächtigen auch mal ausfallend und sehr gewalttätig wird oder der Verzweiflung verdammt nahe steht. Das alles sind die Seiten ein- und derselben Medaille, weil sich der Film Zeit nimmt, die einzelnen Figuren vorzustellen und zu entwickeln.

Hervor tun kann sich darüber hinaus insbesondere Kunimura Jun in der Rolle des Japaners, ein routinierter TV- und insbesondere Theaterschauspieler, der Tarantino-Fans aus seiner Rolle als "Boss Tanaka" in "Kill Bill" noch in Erinnerung sein dürfte, und seine allererste Rolle in einem südkoreanischen Film überhaupt spielt, obwohl er bereits seit 35 Jahren seinem Beruf nachgeht. Und dann wäre da noch insbesondere Chun Woo-hee als anonyme Frau, die keinen Namen im Film erhält. Chun ist im Westen weniger bekannt, spielte sich aber nachhaltig ins südkoreanische Gedächtnis durch ihre Hauptrolle im 2013er Vergewaltigungsdrama nach dem traurigen realen Miryang-Fall, "Han Gong-ju". Ohne zu spoilern, ist die Bedeutung dieser beiden Figuren, des Japaners und der anonymen Frau, ganz elementar für den Film und bietet eine weitere Ebene, die man zu Beginn wohl gar nicht erwartet hätte. Hier zeigt sich all das Schauspieltalent der beiden, dass man hier nicht zu Karikaturen verkommt, sondern beim Katz-und-Maus-Spiel voller Twists immer weiter miträt über die Motive der beiden. Unerwähnt sollte außerdem auch nicht Kim Hwan-hee als Jong-gus Tochter Hyo-jin und ihr unerschrockenes Schauspiel bleiben, das sie da mit gerade 13 Jahren veranstaltete und sie in Südkorea zu einem kleinen Star machte.

Fazit

"The Wailing – Die Besessenen" ist ein Meisterwerk, eine zweieinhalbstündige Tour De Force, die in langsamem Erzähltempo die Spannungsschraube immer weiter anzieht, bis der Zuschauer nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist. Harter und blutiger Horror auf der einen Seite, auf der anderen der bisweilen etwas einfältige Hauptcharakter und alles überziehend der koreanische Regen und eine religiöse Symbolik, die es in sich hat. "The Wailing" ist im spätestens seit den 90ern ohnehin bereits extrem starken Horror- und Thriller-Kino aus Südkorea ein Leuchtturm, an dem sich alle anderen in dem Genre richten müssen. Und das wird extrem schwer.

Zum "Asia & Anime"-Special auf myFanbase

Andreas K. - myFanbase
21.02.2018

Diskussion zu diesem Film