Bewertung
Sam Esmail

Leave the World Behind

Foto: Leave the World Behind - Copyright: 2023 Netflix, Inc.; Jojo Whilden/Netflix
Leave the World Behind
© 2023 Netflix, Inc.; Jojo Whilden/Netflix

Inhalt

Amanda (Julia Roberts) setzt einen spontanen Familienurlaub durch, damit sie aufs Land dem hektischen Alltag in New York entkommen. Doch nachdem ein Öltanker auf den Strand aufgelaufen ist, klopft es auch nächtlich an dem gemieteten Haus und davor stehen G.H. Scott (Mahershala Ali) und Tochter Ruth (Myha'la), die sich als Besitzer ausgeben und von bedrohlichen Stromausfällen in der Stadt berichten. Als nach und nach Internet, Telefon und TV ausfallen und sich auch die Tiere immer seltsamer verhalten, verändert sich auch der Stimmung der erzwungenen Mitbewohner untereinander. Es entstehen Konflikte, es entstehen ungewöhnliche Zusammenarbeiten, doch die Frage ist: werden sie gemeinsam die Bedrohung überleben können?

Kritik

Bei der Ankündigung von "Leave the World Behind" musste ich unweigerlich an "Don't Look Up" denken. Auch dort ein apokalyptisches Szenario, auch dort ein bekannter Schauspielcast, aber das war es dann eigentlich auch schon wieder. Denn wo "Don't Look Up" eine Satire war, wo möglicherweise viele Zuschauer*innen nicht gemerkt haben, dass ihnen an die eigene Nase gepackt wird, ist "Leave the World Behind" wirklich ein Thriller. Hier wird nichts mit Humor verpackt, stattdessen wird die Botschaft durch eine ansteigende unbehagliche Stimmung und vor allem später durch Metaphern vermittelt. Zudem ist letztlich auch die apokalyptische Thematisierung eine völlig andere. Während in "Don't Look Up" buchstäblich das Weltende naht, ist bei "Leave the World Behind" das Ausmaß kleiner, denn der Film erzeugt den Eindruck (man muss Eindruck sagen, weil Regisseur Sam Esmail nicht an klaren Antworten interessiert ist), dass es um einen Angriff speziell auf die USA gibt, mit dem Ziel, dass sich die Bevölkerung einfach selbst auslöscht und die gegnerischen Kräfte sich nicht die Hände selbst schmutzig machen müssen. Natürlich wäre es auch möglich, dass es durch das Abgeschnittensein von der globalen Weltordnung einfach nicht durchgedrungen ist, dass es auch andere Länder betrifft, aber am Interesse des Films ändert es eigentlich nichts, denn ob nun ein Land oder zehn betroffene Länder, die Abhängigkeit von Technik sowie das Unterworfen Sein von sozialgesellschaftlichen Entwicklungen, die das menschliche Verhalten so berechnend machen, die bleiben als Knackpunkt bestehen.

Meine bisherige Begegnung mit Esmail war nicht von Erfolg geprägt. Der Drehbuchautor und Regisseur des Films hat sich mit der Serie "Mr. Robot" einen Namen gemacht und die hat mich doch mehr verwirrt als unterhalten, weswegen ich das Kapitel für mich frühzeitig abgebrochen habe. Bei "Leave the World Behind" war das nun nicht nötig, aber es ist wieder augenscheinlich, dass es in der Stilistik von Esmail liegt, mehr auf die Interpretationsfähigkeiten seine Zuschauenden zu setzen als ihnen alle Antworten auf dem Silbertablett zu servieren. Deswegen würde es mich auch nicht wundern, wenn nach Beendigung des Films auch höchst unterschiedliche Gedanken zurückbleiben. Rezensionen sind zwar immer ein subjektives Ergebnis, aber diese ist es wohl mehr denn je. Fangen wir aber ganz langsam an. Wir lernen zu Beginn des Films die Sandfords kennen. Mutter Amanda, die ihr Geld damit verdient, ihre Kunden von Produkten zu überzeugen, an die sie selbst nicht glaubt, hat es satt und sie spricht von einem regelrechten Hass auf die Menschen, wobei sie sich nicht mal ausnimmt, denn sie ist schließlich Teil des Systems. Das fand ich schon mal als Einstieg sehr spannend. Es wirkt zwar in der Ausformulierung drastisch und für den Beginn auch ungewöhnlich, aber wer hat so einen Gedanken nicht selbst schon mal gedacht oder auch ausformuliert? Ja, man kann die Menschheit schon mal ganz schön hassen. Amanda wird es auf jeden Fall so zu viel, dass sie Ehemann Clay (Ethan Hawke) und die Kinder Rose (Farrah Mackenzie) und Archie (Charlie Evans) regelrecht mit ihrer Urlaubsidee überrennt. Der Eindruck von der Familie könne dann auch nicht diverser sein. Amanda ist die Macherin, wenn auch die nun erschöpfte Macherin, Clay ist der Mitläufer, der lieber auf Harmonie statt Disput setzt, Archie steckt mitten in der Pubertät und bekommt kaum mal eine Gehirnzelle auf das größere Ganze verwendet und die am liebsten in fiktiven Welten steckende Rose hat gerade die Serie "Friends" entdeckt und suchtet sie durch. Es ist gut, dass am Anfang ein Gefühl für die Familie entsteht. Friedlich wirkt es zwar zu keinem Zeitpunkt, aber nichts auf dieser Welt ist friedlich, so vermittelt es der Film und dementsprechend denkbar ungünstig sind die Herausforderungen für die Menschheit, die da schon am Horizont lauern.

Mit dem Auflaufen des Öltankers am Strand fängt es dann an, denn ab hier zieht es wirklich an, eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen, wo zum einen latente Angst und Sorge erzeugt wird und wo zum anderen auch Misstrauen ineinander gefördert wird. Das merken wir dann mit dem ersten Auftritt von G.H. und Ruth. Da ist es vor allem Amanda mit ihrem Misstrauen, die auch bei uns Zuschauenden das Gefühl erweckt. Dabei gibt speziell Ali seiner Rolle etwas Warmes mit. G.H. hat Verständnis für den unangebrachten Auftritt, er versteht, was für Zweifel sorgt und obwohl er auf den Kontakt zwischen ihm und Amanda via Mail verweist und so Hinweise auf seinen Besitz des Hauses streut, bietet er doch an, dass sie bleiben dürfen, dass sie weniger zahlen müssen und dass vor allem er und Ruth erstmal den Keller als Schlafplatz nutzen. Dennoch hat er Probleme mit den Schlüsseln für einen abgeschlossenen Schrank, in der wir dann auch eine Waffe entdecken, und er hatte eben nie persönlichen Kontakt zu Amanda, so dass es ihr schwer fällt, ihn einwandfrei zu identifizieren. Dazu hat G.H. eben auch Tochter Ruth im Gepäck und die könnte kein größeres Gegenteil darstellen. Sie ist frech, sie hat wenig Verständnis und sie legt gerne den Finger in die Wunde. Kein Wunder, dass sie und Amanda sich ständig in den Haaren liegen. Aber auch die privaten Gespräche zwischen G.H. und Ruth sorgen nicht sofort dafür, dass man das eigene Misstrauen sofort ablegt.

Schließlich gibt es auf diese persönlichen Spannungen drauf auch noch wirklich beängstigende Entwicklungen. Das zieht immer mehr an und es erzeugt ein extremes inneres Unwohlsein. Zumal auch klar ist, dass diese an die biblischen Plagen erinnernde Ereignisse nicht so übertrieben an den Haaren herbeigezogen sind. Man weiß, wie sensibel Tiere sind und dass sie schon alles weit vor dem Menschen ahnen. Man weiß auch, wie viel brach liegt, wenn Strom und damit entsprechende Technik nicht zur Verfügung steht. Dementsprechend macht man sich schon so eigenen Gedanken und das hilft zusätzlich nicht, dieses erdrückende Gefühl abzuschütteln. Bei all diesen Ereignissen wird dann auch das Zwischenmenschliche immer wichtiger. Clay würde ich noch etwas ausnehmen wollen, denn er wacht erst später als alle anderen auf, aber seine sinnbildliche Art, wie er auf eine ausschließlich spanischsprechende panische Frau trifft und sie einfach auf der Straße zurücklässt, frei nach dem Motto 'Aus den Augen, aus dem Sinn', das ist wohl gültig für einen hohen Anteil der Bevölkerung. Wegguckend sind die anderen Erwachsenen nun nicht. Amanda ist da Dreh- und Angelpunkt, dank Darstellerin Roberts wahrscheinlich auch so, weil sie das einfach tragen kann. So groß das Misstrauen gegenüber G.H. auch gewesen sein mag, die beiden sind sich als Menschen sehr ähnlich. Sie durchschauen größere Prozesse, aber sie sind auch empathische Menschen für ihre Liebsten, was verbindet. Bei Amanda und Ruth ist das wahrlich komplexer, weil dort die unterschiedliche Generation und die verschiedenen Ethnien knallhart zuschlagen. Umso eindrücklicher war dann der Moment von inhaltlicher Eintracht, denn die neuerliche Abrechnung von Amanda mit der Menschheit sowie Ruths Zustimmung dafür, das bleibt in Erinnerung.

Mit dieser Abrechnung im Hinterkopf sind die Szenen von Clay, G.H. und Archie, die Hilfe bei Prepper Danny (Kevin Bacon) suchen, umso eindrücklicher. Wir wissen nun durch G.H.s Insiderwissen, was die Situation wohl bewirkt hat und was die Ziele sind. Danny ist das Paradebeispiel für die erwarteten Handlungen und auch die Sandfords und Scotts haben sich zuvor ganz ähnlich verhalten. Doch indem sie den Konflikt lösen, widersprechen sie der Theorie auf dem Papier. Im Endeffekt ist das auch für diese Art Film eine überraschen hoffnungsfrohe Botschaft, denn sie sagt aus, dass der Mensch immer noch das Steuer umreißen kann. Doch das Ende bleibt offen. Wir wissen nicht, ob Clay und die anderen mit ihrem Widerhandeln von Wahrscheinlichkeiten einen Funken darstellen, der mehr entfachen kann. Wir wissen nicht, ob der Angriff auf die USA letztlich erfolgreich ist und noch viel weiter in die Zukunft denken, das brauchen wir erst gar nicht. Doch wir haben am Ende Rosies großen Auftritt. Sie hat durch den Wegfall des Internets ausgerechnet in der Finalepisode von "Friends" den Stecker gezogen bekommen und das lässt sie einfach nicht los. Während die Ängste der Erwachsenen auf einen größeren Fokus gerichtet sind, ist die Perspektive von Rose logischerweise viel enger und für sie ist die größte Angst, nicht zu wissen, wie es für Rachel, Ross und Co. ausgeht. Das ist eine sehr menschliche Eigenschaft, die ich auch für mich als zutreffend sehe, denn ich begleite meine fiktiven Charaktere gerne und will am Ende auch alle Antworten für sie haben. Gut, dass Rose also am Ende das Haus eines Nachbarn findet, der sich wirklich auf eine Zukunft Internet, Technologien etc. vorbereitet hat, denn jeder Serienfan ohne Streamingdienstzugang hätte dort Herzchenaugen bekommen. Unheimlich vielen Serienboxen, dazu ein DVD-Player und die Apokalypse ist gerettet. Rose bekommt am Ende ihre Antworten in Bezug auf "Friends", wir als Zuschauer*innen bekommen sie nicht. Aber das ist doch die passende Metapher für die reale Welt, denn wir kennen das Ende schließlich auch nicht.

Fazit

"Leave the World Behind" hat mich mit seinen zahlreichen Zwischenebenen unglaublich gepackt und auch jetzt noch nicht losgelassen, weil es viel zum Nachdenken anregt. Und solange ich viel über die Botschaften nachdenke und mich deswegen gedanklich nicht mit der Machart beschäftige, dann spricht das für einen Film. Aber ich kann dennoch auch konstatieren, dass es sich um einen gut gespielten Thriller handelt, bei dem auch atmosphärisch eine wirklich unbehagliche Stimmung kreiert wird. Was dieser Film mit einem macht, das ist aber sicherlich eine sehr subjektive Erfahrung. Ich kann ihn auf jeden Fall gut empfehlen.

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Lena Donth - myFanbase
11.12.2023

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