Franzen, Jonathan

Die Korrekturen

Franzen erzählt in seinem Roman die Geschichte von Enid und Alfred Lambert aus St. Jude, sowie ihren drei Kindern Gary, Chip und Denise...

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Inhalt

Enid und Alfred haben fast 50 Ehejahre hinter sich und Enid wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal Weihnachten mit der ganzen Familie zu feiern. Da Alfred unter Parkinson leidet ist es ungewiss, wie lange er Weihnachten noch miterleben kann, weshalb Enid zur Eile drängt. Aber es ist nicht so einfach, denn ihre Ehe mit Alfred ist längst nur noch eine trügerische Scheinidylle, zu weit haben sie und Alfred sich in den Jahrzehnten voneinander entfernt. Und ihre drei Kinder gehen allesamt ihrer eigenen Wege. Gary als erfolgreicher Bankier, dessen Ehe bei ihm Depressionen auslöst.

Chip als Literaturprofessor, der durch Liebestollheit seine Stellung verliert und feststellen muss, dass er in der Welt nicht zurechtkommt. Denise letztlich, die offensichtlich so erfolgreiche Köchin, bricht erst mit Anfang Dreißig aus dem starren Korsett der mütterlichen Wertvorstellungen aus und findet zu ihrer eigenen sexuelle Identität. Wäre Enid ehrlich müsste sie resultieren, dass keines ihrer Kinder die hohen mütterlichen Erwartungen und spießigen Wertvorstellungen erfüllt, aber Enid belügt sich lieber selbst und verdrängt die Realität, so dass das gemeinsame Weihnachtsfest beinahe überirdische Bedeutung bekommt. Alfred ist das alles eigentlich egal, er will nur seine Ruhe haben und auf den Tod warten können, doch die lebenshungrige Enid lässt ihn einfach nicht in Frieden

Kritik

Die Reaktionen bei Erscheinen des Buches waren überwältigend. Franzen bekam positive Kritiken zuhauf. Schon bald verglich man sein Familienepos des Mittleren Westens der USA mit den genialen Buddenbrooks. Einen Skandal provozierte Franzen, als er es ablehnte in die populäre Buchshow von Ophra Winfrey zu kommen. Diese wiederum zog darauf hin ihren an Franzen verliehenen Buchpreis, in den USA ein Verkaufsgarant erster Klasse, zurück. Dennoch konnten die Korrekturen sowohl Kritik, als auch Publikum begeistern.

Franzen hat den Gesellschaftsroman Amerikas seiner Generation geschrieben. Es taucht alles auf: der Mittlere Westen, Heimat von Enid und Alfred, mit seinen provinziellen, z.T. rassistischen, radikal religiösen Werten, ebenso wie die großen Themen Wall- Street, Internet- Wahn, Osteuropa- Fieber und nicht zuletzt die Überalterung der Gesellschaft. Franzen entwirft so ein amerikanisches Gesellschaftsbild, was in den Sechzigern beginnt und in der Gegenwart endet, treffend charakterisiert und überaus unterhaltsam geschrieben. Die Fülle an angesprochenen Themen und Problemen, ebenso wie die große Anzahl an Hauptpersonen erschlägt nicht, sondern schafft einen Mikrokosmos menschlichen Lebens, in dem exemplarisch die bewegenden Themen eines Menschenlebens thematisiert werden. Der gefesselte Leser erlebt dabei unterschiedlichste Emotionen.

Oft wirken Szenen abstrus und komisch, aber Franzen verliert sich trotz allem Sarkasmus nie im Blödsinn. Seine komischen Szenen zeigen nur die Komik des wahren Lebens. Aber es regt sich auch Mitleid, sieht man, wie Enid verzweifelt an ihrem Lügengerüst festhält, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ihr Leben im Grunde traurig und trist war. Ebenso, wenn der Leser denn merklichen Verfall Alfreds beschrieben bekommt. So sieht der Leser zu, wie aus einem ehemals starken, unnahbaren Mann ein menschliches Wrack wird, unfähig und unmündig. Es sind v.a. die beiden Pole Komik und Mitleid.

Mit denen Franzen den Leser konfrontiert. Und dieser ist oft genug selber gefordert zu entscheiden, wie er reagieren möchte. Enids Weihnachtsvorbereitungen, ihre Vorfreude, dass gespannte Lauschen am 24.12., ob das letzte Kind doch noch kommt, zu lesen ist unterhaltsam und amüsant. Aber eigentlich ist es ebenso traurig, denn Enid erregt mit ihrem Verhalten Mitleid.

Der Leser wird von den Schicksal der Familie Lambert gefesselt, ≥Die Korrekturen" sind Literatur auf höchstem Niveau, die doch sehr gut zu lesen ist. Nirgendwo ist das fesselnde Element des Buches deutlicher zu erkennen, als am Anfang des Romans, der sicherlich einen Höhepunkt diese wundervollen Buches darstellt:

DER IRRSINN einer herbstlichen Prärie- Kaltfront, näher kommend. Es war deutlich zu spüren: Etwas Furchtbares würde geschehen. Die Sonne tief am Himmel, ein winziges Licht, ein erkaltender Stern. Windstoß auf Windstoß der Unordnung. Die Bäume rastlos, die Temperatur fallend, die ganze nördliche Religion der Dinge aufs Ende gerichtet. Keine Kinder in den Gärten. Länger werdende Schatten auf gelblichem Zoysia- Gras. Aus Roteichen, Nadeleichen, weißen Stumpfeichen regnete es Eicheln auf Häuser ohne Hypothek. Sturmfenster zitterten in den leeren Schlafzimmern. Dazu das Summen und Hicksen eines Kleidertrockners, das näselnde Gezänk eines Laubsaugers, das Reiferwerden heimischer Äpfel in einer Papiertüte, der Geruch des Benzins, das Alfred Lambert, nach dem Streichen des kleinen Korbsofas am Morgen, zum Reinigen des Pinsels benutzt hatte.

Drei Uhr am Nachmittag war eine Zeit der Gefahr in den gerontokratischen Vororten von St. Jude.

Alfred hatte seit dem Mittagessen in seinem großen blauen Sessel geschlafen und war gerade aufgewacht. Nun lag sein Nickerchen hinter ihm, und die nächsten Lokalnachrichten kamen erst um fünf. Zwei leere Stunden waren eine Nebenhöhle, in der Infektionen keimten. Er rappelte sich hoch und stand neben der Tischtennisplatte, vergebens horchend ob Enid sich oben regte. Überall im Haus läutete eine Alarmglocke, die außer Alfred und Enid niemand hörte. Es war die Alarmglocke der Angst. Sie klang wie eine jener schweren schmiedeeisernen Schlüsseln mit elektrischen Klöppeln, die Schulkinder bei Feueralarmübungen nach draußen treibt...

Über den Autor:

Jonathan Franzen wurde 1959 in Western Springs/ Illinois in den USA geboren und wuchs in einer Kleinstadt in der Nähe von St. Louis auf. Während seines Studiums hatte er längere Auslandsaufenthalte in Berlin und München, die deutsche Sprache beherrscht und schätzt er seitdem. ≥Die Korrekturen" sind bereits sein dritter Roman und sein literarischer Durchbruch. Seinen ersten Roman veröffentlichte er bereits 1988, er fand jedoch keine große Resonanz. "Die Korrekturen" jedoch wurden 2001 in den USA als literarische Sensation gefeiert, er bekam den National Book Award für sie. Franzen lebt heute in New York.

Ellen S. - myFanbase
21.02.2005

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