Bewertung
Littell, Jonathan

Die Wohlgesinnten

"Das ergibt für die gesamte Dauer des genannten Zeitraums im Durchschnitt einen deutschen Toten alle 40,8 Sekunden, einen jüdischen Toten alle 24 Sekunden, einen bolschewistischen Toten alle 6,12 Sekunden, insgesamt im Mittel einen Toten alle 4,6 Sekunden."

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Inhalt

Die Wohlgesinnten sind die fiktiven Erinnerungen des SS-Offiziers Maximilian Aue. Jahrgang 1913, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, promovierter Jurist und frühes NSDAP-Mitglied. Es sind die verstörenden Erinnerungen an die Schauplätze des Zweiten Weltkrieges und an das Grauen der Verfolgung und Vernichtung der Juden von Juni 1941 bis April 1945, an die Einsatzkommandos und Massenhinrichtungen in der Ukraine und im Kaukasus, an Babi Jar, den Kessel von Stalingrad, Auschwitz und Krakau, an Mittelbau-Dora, das besetzte Paris und das kriegszerstörte Berlin. Es sind die beklemmenden Erinnerungen an all seine Begegnungen mit den Nazi-Größen: an Himmler, in dessen persönlichen Stab Maximilian Aue 1943 aufgenommen wird, an Abendessen mit Eichmann, an Höß oder Speer. Es ist ein Roman über die nazistischen Verbrechen erzählt aus der Perspektive eines Täters, der sich nach Kriegsende in eine sichere Existenz nach Frankreich gerettet hat.

Kritik

Geschichtsstunde einmal ganz anders. Für viele geplagte Kinder, die ihre Geschichtslehrer am liebsten selbst in den Krieg schicken lassen würden, ist dieses Stück Lektüre genau richtig. Warum ist das so? Weil sich dieses Buch hauptsächlich damit beschäftigt, die Geschehnisse zwischen 1939 bis 1945 abzuarbeiten, egal ob sie nun fiktiv sind oder der Realität entsprechen. Einzig und allein mit Zitaten wie dem obigen kann man die Jugend von heute noch ansprechen. Die Rede ist von Antimoral, Mordlust und der Sexuellen Fantasterei. Was aber letztlich wirklich in diesem Roman steckt, versuche ich nun dezent zu erläutern.

Mit großer Vorfreude habe ich mich dieser Lektüre zugewandt, habe keine Kritiken darüber gelesen, und bin jeder Information, außer der kleinen Zusammenfassung im Buch selbst, aus dem Weg gegangen, um mir vorurteilsfrei mein persönliches Bild davon zu machen. Und meine Vorfreude sollte belohnt werden. Die Einleitung von Maximilian Aue ist sehr vielversprechend und überzeugte mich auf ganzer Linie, denn in einer Einleitung kann man nicht davon ausgehen, dass hier schon tiefgründiges erläutert wird. Zudem überraschen einige Geständnisse von Anfang an den Leser, doch mehr sollte hier auch nicht verraten werden.

Und diese Freude meinerseits geht auch über in das erste Kapitel. Ein Kapitel, in dem die Gräuel des Nationalsozialistischen Staates und deren Soldaten einen Höhepunkt erreicht, der unmenschlicher gar nicht sein könnte. Doch wie schreibt es Aue selbst: etwas, das Menschen begehen, kann gar nicht unmenschlich sein. Einen etwas philosophischen Ansatz findet man in solchen Aussagen bei Littell immer wieder, nur vollendet er sie nie wirklich, und beendet die Gedanken so abrupt, dass der Leser meinen könnte, ihm seien die Ideen für seine Auffassung der Dinge ausgegangen. Und dies stört im gesamten Buch immer wieder, so zum Beispiel die Theorie, dass wenn etwas menschliches als unmenschlich bezeichnet wird, vollkommen irrsinnig ist, da man selbst einem Hund so etwas nicht antun würde, wie die Gewalt, die den Juden in der Ukraine zugefügt wurde, und somit sich die Menschen der NS-Zeit das Recht nahmen, eben diesen Teil der Bevölkerung so zu exekutieren oder zu töten. Dabei nimmt Littell kein Blatt vor den Mund und schildert die Dinge aus den Augen von Max Aue so detailgetreu, dass es einen förmlich erschlägt und nur noch mit Fassungslosigkeit dastehen lässt.

Leider fehlt eben diese Detailtreue in den meisten Abschnitten, wenn sich Littell mit Staatstheorien, Philosophien und der Rassenfrage beschäftigt. Aus dieser mangelhaften Arbeit wird man deshalb nicht unbedingt schlauer, doch Schüler, die sich nie so wirklich dafür interessiert haben, könnten fasziniert sein.

Jedoch war es das auch schon mit der Freude über dieses Buch. Das Ende der Geschichte begann schon nach dem Ende des ersten Kapitels, um genauer zu sein, als sich Max Aue mit einem alten Mann in Georgien auf griechisch unterhielt, der ihm sagte, dass er dessen Todestag gesehen hätte, Aue es aber nicht sagen würde, wann dies geschehen würde, woraufhin Aue den Befehl für die Exekution erteilte. Dieser Gedanke über den Tod beschäftigt Aue natürlich und es ist schon eine sehr amüsante Stelle im Nachhinein, wenn man weiß, dass im Folgenden nichts Interessantes mehr folgt. Es ist förmlich schon lächerlich, was als nächstes passiert. Die Schilderungen in Stalingrad sind dermaßen lückenhaft, auch wenn es nur eine einseitige Darstellung ist. Das Kapitel vermittelt keinerlei Gefühl, noch die Tragweite dieses Ortes für die Menschheitsgeschichte. Dies versucht Littell damit zu verschleiern, indem er angeschossene Soldaten kurze russische Sätze schreien lässt, um daraus eine Verbindung zu Aues Vergangenheit zu schaffen. Diese Verschleierungsmethode findet sich öfters in diesem Roman. Jedes mal, wenn es darum geht, etwas unbegreifliches, wichtiges, gefühlvolles oder ethisch schwer verständliches nahe zu bringen, erhält der Leser einen Blick in die Vergangenheit von Aue.

Es wäre ein Gutes, hätte Jonathan Littell sich einmal Heinz Konsaliks "Der Arzt von Stalingrad" oder Grossmanns "Leben und Schicksal" zur Hand genommen, um aus diesem Kapitel noch mehr herauszuholen. Ein Blick hätte gereicht, um zu wissen, dass wenn man über Stalingrad schreiben möchte, man viele Dinge beachten muss, denn hier trafen schließlich zum ersten Mal zwei Weltanschauungen für einen längeren Zeitraum richtig aufeinander. Was bei Grossmann und Konsalik das Schicksal einzelner und des Staates ist, ist bei Littell? Ich weiß es nicht, den Sinn dieses Kapitels habe ich bisher nicht finden können, nur dass man einen Schauplatz für die krankhaften Schilderungen von Gewalt und Obsessionen brauchte. Selbst die Parabel, die Littell in diesem Kapitel verbirgt, ist im Vergleich zum Gesamtwerk nicht viel aussagend.

Der Charakter Maximilian Aue ist auch nicht sehr tiefgründig, denn so gut wie in jeder Rückblende bekommt der Leser die Hilflosigkeit seiner Person vorgelegt, und seiner Vorliebe für die eigene Schwester oder für das andere Geschlecht, nie jedoch, wie es dazu kam, dass er überzeugter Nationalsozialist geworden ist, beziehungsweise, aus welchen Gründen er von der Rassenfrage so überzeugt war. Aus welchen Gründen er keineswegs die Schuld an den Taten den Menschen an sich gibt, sondern dem System, aber gerade darum geht es in diesem Buch, um die Schuldfrage, denn wenn man schon auf der ersten Seite des Buches schreibt: "Für die Toten", dann sollte man die Schuldfrage klarer beantworten, als nur die Andeutung, dass selbst hochgebildete Menschen zu Gräueltaten fähig sind und nicht nur die unprivilegierten. Da versuchte sich Littell ein wenig an Dostojewskis "Schuld und Sühne" heran, doch trifft er den Nagel nie so richtig auf den Kopf, dass die Schuld in allen Menschen verborgen ist, und spätestens seit Franz Kafka sollten dies alle Menschen wissen.

Andererseits könnte man diesen Roman auch sehr positiv auffassen, den Handlungsrahmen um die NS-Zeit völlig außer Acht lassen und annehmen, es dient nur als Spielort für die inzestuöse Beziehung zu Aues Schwester, sein schweres Verhältnis zu seiner Mutter, dem Trauma des Vaterverlustes, und der Abscheu der Liebe. Wer nicht liebt, dem ist eine Tat gleichgültig, selbst der Mord an den eigenen Eltern, oder aber auch dem sexuellen Treiben mit eigenen Verwandten. Doch dies würde den Rahmen sprengen, und nur verwirren. Doch soll es als Ansatz für all jene dienen, die dennoch Interesse an diesem Buch gefunden haben.

Fazit

Hin und wieder wollte ich dieses Buch in den Mülleimer werfen, so wie es Max Aue an einer Stelle im vorletzten Kapitel selbst vorschlägt, doch dann habe ich mir gedacht, das 36 Euro einfach zu viel sind, um sie in den Müll zu werfen.

Ignat Kress - myFanbase
19.06.2009

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