Bewertung
Cashore, Kristin

Die Beschenkte

"Er schien plötzlich nicht zu wissen, was er sagen sollte, schaute nach unten und spielte mit seinen Ringen. Er holte Luft und rieb sich den Kopf, und als er ihr wieder das Gesicht zuwandte, hatte sie das Gefühl, seine Augen seien nackt, sie könne direkt durch sie hindurch ins Licht seiner Seele sehen. Sie wusste, was er sagen würde."

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Inhalt

In den Middluns, eines der sieben Königreiche, lebt die junge Katsa, beschenkt mit der Gabe des Tötens. Sie konnte kaum sprechen, da verlor sie erst ihre Mutter und kurze Zeit später ihren Vater. Deshalb wuchs sie bei ihrem Onkel Randa, dem Herrscher von Randa City, und dessen Sohn Raffin auf, nachdem Katsa einen entfernten Cousin im Alter von acht Jahren "ausversehen" (er belästigte sie) tötete und so ihre Gabe zum Vorschein kam. Für ihren Onkel ein Glücksgriff, entdeckte er auf diese Weise doch das tödliche Potential seiner Nichte für sich und somit seine neue Handlangerin in Geld - und Machtangelegenheiten. Immer wenn jemand eine Widrigkeit begeht, mag sie auch noch so klein sein, hetzt er Katsa auf den Übeltäter und dieser kann sich dann glücklich schätzen, wenn er nur einen Finger verliert. Somit ist Katsa das meist gefürchtete Mädchen der Middluns, aber einsam und unglücklich.

Als sie während eines Einsatzes ihres heimlich gegründeten Rates für gute Taten auf den jungen Lienid Bo (ebenfalls ein Beschenkter) trifft, verändert sich ihr Leben für immer. Bo ist weit gereist. Auf der Suche nach seinem entführten Großvater verschlug es ihn nach Randa City. Was er nicht ahnt: Katsa und ihre Verbündeten befreiten seinen Großvater aus der Gefangenschaft und halten ihn seitdem (vor den Augen des Königs) versteckt, bis er sich erholt hat. Aber zu welchem Zweck wurde er entführt und wer ist der Auftraggeber? Während Katsa und Bo der Sache auf den Grund gehen, entsteht zwischen ihnen eine enge Freundschaft, die bald immer mehr Platz in Katsas Leben einnimmt und ihr die nötige Kraft verleiht, sich von ihrem Onkel loszusagen. Doch bald schon stehen die beiden einem Feind gegenüber, dem sie nicht gewachsen zu sein scheinen. Denn die Gabe des Gegners ist nicht zu unterschätzen und übertrifft die Erwartungen der beiden bei Weitem.

Kritik

"Die Beschenkte" ist eines der Bücher des Jahres 2009, das mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben ist. Wurde vor Erscheinen des Buches vom Carlsen Verlag doch viel Aufsehen veranstaltet und fünfhundert Exemplare an Lesewütige verlost - ich war eine der Beschenkten. Zu meinem Glück, mir wäre sonst ein tolles Buch entgangen. Mit ihrem Debütroman ist der Nachwuchsautorin Kristin Cashore nämlich ein abwechslungsreiches wie packendes High-Fantasy-Abenteuer gelungen, bei dem man gut auf seine Kosten kommen kann.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die junge Katsa, eine Beschenkte, mit der Gabe des Tötens. In Cashores erfundenen sieben Königreichen gibt es viele von Katsas Art. Doch jeder Beschenkte ist auf seine Weise außergewöhnlich und verfügt über eine andere Gabe. Erkennen kann man sie an den Augen, da jede Iris eine andere Farbe (bei Katsa grün und blau) hat. Das sieht nicht nur gut und manchmal auch angsteinflößend aus, sondern drückt ihnen einen Stempel auf. So wurde Katsa bereits als kleines Mädchen gemieden und erst von ihrem machthungrigen Onkel aufgenommen, als sich ihre Gabe für ihn als nützlich herausstellte. Und nicht anders ergeht es den meisten der "Beschenkten".

Kein Wunder also, dass aus Katsa mit den Jahren eine auf den ersten Blick kühle und abgeklärte Tötungsmaschine geworden ist. Das lässt ihren Charakter anfangs nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern auch speziell erscheinen. Man könnte Katsa als ein mächtiges und zugleich befangenes Mädchen beschreiben, das im Verlauf der Handlung zu sich selbst finden und sich von alten Mustern befreien muss. Als Mündel ihres erbarmungslosen Onkels kennt sie gewissermaßen nichts anderes, als das Töten auf Befehl. Obwohl sie sich der Falschheit ihrer bzw. seiner Taten durchaus bewusst ist, aber nicht weiß, wie sie sich ihm wiedersetzen soll. Bei ihm hat sie schließlich ein Dach über dem Kopf und Verbündete, mit denen sie ihre schrecklichen Taten wenigsten ein bisschen tilgen kann. Somit macht sie sich selbst zu Randas gefürchteten Bluthund. Dank ihm beherrschte sie bereits im Alter von zehn Jahren mehrere Kampftechniken sowie den Umgang mit Pfeil und Bogen. Nicht zu vergessen das Töten und Foltern zumeist unschuldiger Bauernopfer.

Durch das Auftauchen eines weiteren, für die Handlung wichtigen Charakters, gelingt es Cashore, eine prickelnde Spannung zu erzeugen und ihre schroffe Heldin ein wenig zu humanisieren. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hält nicht nur ihr fast komplettes Umfeld (insbesondere ihr Onkel Randa) Katsa für eine Wilde, sie selbst hat kein viel besseres Bild von sich selbst. Das ändert sich jedoch mit dem Prinzen aus Lienid, kurz Bo genannt (im Original heißt er Po, über die Änderung darf gern spekuliert werden), der Katsas Welt komplett auf den Kopf stellt und ihr klar macht, dass nur sie selbst sich besitzen kann - eine Wahl hat man immer, man muss nur den Mut aufbringen, den unbequemeren Weg zu wählen, um frei sein zu können.

Besonders gut gefallen hat mir an dieser Konstellation, dass hier keine schmachtenden Blicke zugeworfen werden und die für viele Romane typische "Liebe auf den ersten Blick" nicht zelebriert wird. Stattdessen wird zuerst in ruhigeren Tönen und in einem gemäßigten Tempo eine innige Freundschaft beschrieben, aus der schließlich Liebe entsteht. Das kommt weder kitschig noch gewollt rüber (vielleicht ist es ein bisschen klischeehaft, aber was soll's), sondern wirkt echt und macht die beiden zu einem glaubwürdigen Liebespaar. Für genügend Romantik und Action ist somit gesorgt.

Die Spannung des Buches baut sich langsam, aber unterhaltsam auf. Gleich zu Beginn werden geschickt Spuren gelegt, die sich in ihrer Gänze nur schwer erfassen und erst im Verlauf der Handlung – wie bei einem Puzzle – zusammenfügen lassen. Das macht die ganze Sache nicht nur reizvoll, sondern auch unvorhersehbar, jedenfalls bis zum letzten Drittel des Buches. Ab da kann man schon ein wenig kombinieren und sich denken, was als nächstes kommt ... und wird nichts ahnend mitten in ein spannungsgeladenes Abenteuer gerissen. Plötzlich nimmt das Erzähltempo richtig an Fahrt auf und birgt eine überraschende Wendung nach der anderen. Denn als Katsa und Bo dem Gegner zum ersten Mal begegnen, sind selbst sie trotz ihrer starken Gaben so gut wie machtlos. Verfügt der Gegner doch über eine Fähigkeit, die einem glatt die Sinne vernebeln kann.

Dennoch gibt es einige Kleinigkeiten, die mich bei diesem spektakulären Abenteuer ein wenig gestört haben. Zwar finde ich Bo's Charakter sehr gut ausgearbeitet und sympathisch, hatte aber trotzdem das Gefühl, dass er des Öfteren zu nachsichtig bzw. schwach rüber kam. Gut, gegen eine tödliche Powerfrau wie Katsa hat man von vorn herein schlechte Karten, trotzdem lässt er sich immer mal wieder freiwillig (als Trainingsmaßnahme) von ihr vermöbeln und nimmt alles, was sie von ihm verlangt (z. B. das sie niemals heiraten möchte), als gegeben, ohne jeglichen Anspruch an sie zu stellen. Das kann man ihm jetzt nicht wirklich zum Vorwurf machen, aber irgendwie hat es mich auf die Dauer gestört. Auch das Ende verlief ganz anderes, als ich es erwartet hatte. Es gibt zwar ein Happy End und die Geschehnisse werden alle aufgeklärt, gleichzeitig bleibt der Schluss aber offen und wirkte (auf mich) ein wenig enttäuschend, zumindest in Bezug auf Katsa und Bo. Das schreit eigentlich nach einer Fortsetzung, die bisher aber nicht geplant ist. Und das geht nun wirklich nicht.

Mitte Januar 2011 erscheint ein weiteres Fantasy-Abenteuer von Kristin Cashore, das "Die Flammende" heißen und ebenfalls in den sieben Königreichen spielen wird. Leider ist es keine Fortsetzung von "Die Beschenkte", spielt aber, wie bereits erwähnt, in der gleichen Welt und soll wohl einen wichtigen Charakter ihres Debütromans enthalten. Ich für meinen Teil bin schon sehr gespannt und hoffe, dass Cashore ihr schriftstellerisches Potential und ihre mitreißende Erzählweise auch im Folgeroman vollends entfalten kann.

Fazit

Für mich war dieses Buch nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine großartige Überraschung – ein (Jugend-)Fantasy-Abenteuer der besonderen Art. Tiefgründige Charaktere, ein aufregender Spannungsbogen und eine grandiose Idee machen Kristin Cashores Debütroman zu einem Must-Have im Bücherregal jedes begeisterten High-Fantasy-Lesers. Bitte mehr davon!

Zur Rezension von Band 2 "Die Flammende"

Doreen B. - myFanbase
13.12.2010

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