Bewertung
Collins, Suzanne

Die Tribute von Panem. Gefährliche Liebe

Der Überlebenskampf geht weiter!

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Inhalt

Beinahe ein Jahr ist es her, dass Katniss und Peeta – dank Katniss verzweifeltem "Liebesbeweis" vor den Augen aller Menschen in Panem – als gemeinsame Sieger aus den Hungerspielen hervorgegangen sind. Jedoch nicht ohne Nachwirkungen. Zwar leben die beiden gemeinsam mit ihren Familien und ihrem einstigen Mentor Haymitsch im Dorf der Sieger, können die brutalen Ereignisse der Hungerspiele aber nicht vergessen und gehen sich gegenseitig aus dem Weg. Denn Katniss ist sich ihrer Gefühle nicht sicher. Wenngleich sie in dem verliebten Peeta während der Hungerspiele einen guten Freund und Verbündeten gefunden hat, kann sie ihren früheren Jagdgefährten und besten Freund Gale ebenfalls nicht vergessen. Für wen schlägt ihr Herz? Gale oder Peeta?

Für derartige Gedanken bleibt in Katniss Gefühlswelt nur wenig Raum. Sie und Peeta müssen in der Öffentlichkeit weiterhin das tragische Liebespaar mimen und auf der Tour der Sieger für die nächsten Hungerspiele werben. Dabei wird Katniss einmal mehr bewusst, auf welch dünnem Eis sie und Peeta sich bewegen. Stellt ihr gemeinsamer Sieg, nach Ansicht des Kapitols, doch eine Bedrohung für den "Frieden" dar – erneute Rebellionen und Spannungen bahnen sich in den einzelnen Distrikten an. Und dafür gibt es in den Augen des Kapitols nur eine Schuldige: die neu ernannte Widerstandskämpferin Katniss. Aber das rücksichtslose Kapitol wäre nicht an der Macht, hätte es nicht für jedes Problem eine Lösung parat und dementsprechend ein Ass im Ärmel.

Kritik

Was ist das Schlimmste, das einem passieren kann, wenn man ein traumatisches und schmerzliches Erlebnis hinter sich hat? Neben schlaflosen Nächten und stets wiederkehrenden Albträumen, bleibt gewiss die Angst zurück, alles noch einmal von vorn erleben zu müssen. Klopft zudem der Feind persönlich an die Tür, sind Entschlossenheit und Stärke gefragt. Und genau mit diesen Situationen sieht sich die siebzehnjährige Katniss Everdeen im zweiten Teil der Panem-Trilogie konfrontiert – widersprüchliche Gefühle, schwache Nerven und ein nahezu unbesiegbarer Feind stellen sich ihr dabei in den Weg und machen "Gefährliche Liebe" zu einem einzigartigen Leseerlebnis par excellence.

Zugegeben, als ich den ersten Band "Tödliche Spiele" beendet hatte, konnte ich mir nur schwer vorstellen, wie Suzanne Collins das noch toppen will. Verschlug es mir nach den Entwicklungen zum Ende des ersten Teils doch glatt die Sprache. Die befürchtete Enttäuschung blieb aber zum Glück aus. Statt sich auf den Lorbeeren des ersten Teils auszuruhen und im gleichen Rhythmus weiter zu machen, legt Collins im zweiten Band die Messlatte nochmals höher und katapultiert den Leser nun in ein weitaus bedeutenderes Abenteuer.

Dabei bedient Collins sich widerholt an politischen und gesellschaftskritischen Themen aus Vergangenheit und Gegenwart, eingebettet in ein aufrüttelndes Zukunftsszenario. Einmal mehr rückt sie die riesige Schere zwischen Arm und Reich in den Vordergrund. Während zum Beispiel die Menschen in den einzelnen Distrikten Hunger leiden müssen, schlagen sich die Bewohner des Kapitols die Bäuche voll und verschaffen sich mit Hilfe von Brechmitteln genügend Platz im Magentrakt, damit sie sich vollends der Schlemmerei hingeben können. Realitätsbezogener geht es kaum. Gleichzeitig wird nur allzu bewusst dargestellt, wie wenig ein Menschenleben (in Panem) wert sein kann. Skrupellos geht das Kapitol zu Werke und bestraft selbst die kleinste Geste des Widerstandes mit Kopfschüssen oder Peitschenhieben. Naheliegend spielen auch der Glaube an eine bessere Welt und der allzu menschliche Sinn nach Gerechtigkeit eine wichtige Rolle.

Im Zentrum der Ereignisse steht erneut die temperamentvolle wie einfühlsame Katniss. Kaum mit der ersten Seite begonnen, zieht ihr nahezu perfekt gezeichneter Charakter den Leser ein weiteres Mal in die düstere Welt von Panem. Mit einer Mischung aus Erschütterung und Ernüchterung erzählt Collins ihre Geschichte in der Ich-Perspektive und verblüfft dabei stets aufs Neue. Neben überraschenden wie tückischen Wendungen, hat sich auch Katniss Charakter weiterentwickelt bzw. verändert. Das sechszehnjährige Mädchen von damals existiert nicht mehr. Katniss unerschütterlicher Optimismus wurde von Angst besiegt und dass lässt sie, von Albträumen gequält, zu einer Schachfigur politischer Machtkämpfe werden. Denn ihre Handlungen aus den Hungerspielen ziehen Konsequenzen nach sich und machen die neu gewonnene "Freiheit" zunichte. Indem sie sich und Peeta das Leben rettete (mit Hilfe eines verzweifelten Täuschungsmanövers), machte sie den Feind auf sich aufmerksam und zugleich der verzweifelten Bevölkerung Hoffnung. Dass solch ein Akt des Widerstandes nicht ungestraft bleibt, wird für Katniss allmählich zu einer bitteren Erkenntnis ... und für den Leser gleich mit. Selten liegen Spannung und Fassungslosigkeit so dicht beieinander.

Das Alles macht es zunehmend schwerer, die Lektüre zwischenzeitlich aus der Hand zu legen und zu Atem zu kommen. Dazu trägt gleichermaßen Katniss' Gefühlchaos in Bezug auf Gale und Peeta bei. Nicht oft erlebt man eine Dreiecksgeschichte, die von Beginn an eine solch unvorhersehbare Wendung annimmt und entsprechend zu verwirren weiß. Stellte man sich in "Tödliche Spiele" noch auf eine anbahnende Beziehung zwischen Katniss und Peeta ein, wurde man bereits zum Ende hin eines besseren belehrt. Das spiegelt sich auch in diesem Band wieder.

Zum Glück gelingt Collins eine überzeugende Dreieckskonstellation, durch die Katniss' Charakter keineswegs an Sympathie oder Glaubwürdigkeit einbüßt. Nur zu gut lässt sich für den Leser erahnen, welch widersprüchliche Gefühle sich in ihr breit machen und warum sie sich nur schwer mit ihren Empfindungen auseinandersetzen kann. Hinzu kommt, dass beide Verehrer mit der Zeit zu den wichtigsten Vertrauenspersonen in ihrem Leben geworden sind. Während Katniss und Gale aus dem gleichen Holz geschnitzt sind und gleiche Parallelen in der Vergangenheit aufweisen, ist Peeta komplett anders. Er ist nicht in Armut aufgewachsen und musste nicht miterleben, wie der Ernährer der Familie ums Leben kam und somit eine bedeutende Lücke in der Familie hinterließ, neben all der Wut und Trauer. Als Katniss und Peeta jedoch in den Hungerspielen zu Leidensgenossen wurden, veränderte sich ihre Beziehung von Grund auf. Traumatisiert und verwundet (körperlich wie seelisch) zurückgekehrt, können sie nicht vergessen und brauchen einander.

Für wen wird Katniss sich letztendlich entscheiden, Gale oder Peeta? Eine gute Frage, die leider bis zum Ende unbeantwortet bleibt und hoffentlich im Verlauf des Folgebandes "Flammender Zorn" (erscheint im Januar 2011) aufgeklärt wird. Bis dahin heißt es durchatmen und gedulden. Das Ende wartet bedauerlicherweise mit einem bösartigen Cliffhanger auf und dass macht die Wartezeit beinahe unerträglich.

Fazit

Wer "Tödliche Spiele" mochte, kommt an "Gefährliche Liebe" nicht vorbei. Neben überraschenden Wendungen und einer brillanten Story, erwartet den Leser eine funktionierende Dreiecksgeschichte, bei der sich bis zur letzten Seite nicht erahnen lässt, für wen die Hauptprotagonistin Katniss sich letztendlich entscheiden könnte – konfliktreiche und emotionale Momente sind für den Folgeband "Flammender Zorn" somit garantiert. Ein gefährlich gutes Buch!

Zur Rezension von Band 1 "Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele"

Zur Rezension von Band 3 "Die Tribute von Panem - Flammender Zorn"

Doreen B. - myFanbase
07.01.2011

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