Bewertung
Beaufrand, Mary Jane

Dunkle Wasser

"Ich hatte den Fluss wütend gehört, ich hatte ihn verspielt gehört, doch bis zu jenem Morgen hatte ich noch nie gehört, wie der Fluss trauerte."

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Inhalt

Das Landleben kann so öde sein! Veronica, von allen nur Ronnie genannt, könnte sich etwas Schöneres vorstellen, als mit ihrer Patchworkfamilie in dem beschaulichen Örtchen, nahe des Santiam River, zu versauern, um ihren Eltern in dem frisch renovierten Gasthaus zu helfen. Aber was hat sie schon für eine Wahl? Ihr einziger Anker ist die kleine Abenteuerin Karen, die einige Jahre jünger ist und Ronnie mit ihrer furchtlosen Art von der ersten Minute an verzaubert hat ... bis der Fluss eines Morgens ein klagendes Lied wispert und Ronnie nur wenige Stunden später die Leiche ihrer kleinen Freundin am Flussufer entdeckt. Wie sich herausstellt wurde Karen ermordet. Aber warum? Was hat das unerschrockene Mädchen auf einer ihrer Abenteuerreisen entdeckt, das sie das Leben gekostet hat? Oder stimmt es doch, was man sich heimlich über den Fluss erzählt? Ronnie kann nicht anders, sie muss herausfinden, was wirklich passiert ist. Wie besessen geht sie auf Spurensuche und gerät immer tiefer in den Strudel dunkler Geheimnisse, unterstützt durch ihren indirekten Stiefbruder Tomás, der sich ihr gegenüber manchmal ziemlich seltsam benimmt.

Kritik

Ich muss gestehen, "Dunkle Wasser" ist anders, als ich erwartet hatte. Nach dem Buchcover und der Inhaltsangabe zu urteilen habe ich eigentlich mit einem nervenaufreibenden und ansatzweise phantastischen Jugendthriller gerechnet, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. Von einem (paranormalen) Thriller kann hier kaum die Rede sein, dafür passiert einfach zu wenig, zumindest wird der Mord an sich nur beiläufig behandelt und verliert zwischenzeitlich (scheinbar) an Bedeutung. Stattdessen wird der Roman seinem metaphorischen Titel gerecht und überrascht mit einer atmosphärischen Grundstimmung. Folglich findet die Hauptprotagonistin Ronnie ihre beste Freundin ermordet in einem Fluss, ist sich unterschwellig bewusst, dass am gegenüberliegenden Ufer etwas Bedrohliches lauert, und entdeckt allmählich die düsteren Abgründe einzelner Personen. Die Story fesselt zwar nicht durchweg, kribbelt aber unter der Haut und bietet eine gelungene Abwechslung zu den derzeitigen (Fantasy-)Jugendbüchern.

Ein großes Plus ist der eingängige und frische Schreibstil von Mary Jane Beaufrand, der gelegentlich fehlende Spannungsmomente schnell wieder wettmacht. Wiederholt tauchen Erinnerungsfetzen aus Ronnies und Karens inniger Freundschaft auf, die melancholisch wirken und zeigen, was für eine wichtige Rolle das 10-jährige Mädchen in Ronnies Leben gespielt hat. Denn ohne den kleinen Wirbelwind fühlt Großstadtpflanze Ronnie sich einsam und erst recht fehl am Platze. Beide Charaktere sind von Grund auf verschieden und bieten interessante Facetten. Während die kleine Karen stets die mutige Entdeckerin war und daran letztendlich starb, scheut Ronnie sich vor den Gefahren, die in der Welt lauern, und verdrängt lieber, anstelle zu handeln. Erst allmählich dringt sie tiefer in die dunklen Gewässer ihrer Umgebung vor und stellt sich unterbewussten Ängsten.

Dabei hätte ich mir manchmal gewünscht, bis auf den Grund einzelner Protagonisten tauchen zu können, scheiterte aber mehrfach an unüberwindbaren Barrieren. Soll heißen, es fehlt mitunter an der nötigen Charaktertiefe, um die Handlungen bestimmter Nebencharaktere besser nachvollziehen zu können, besonders zum Ende hin, wenn alles ein wenig undurchsichtig wirkt und schnell abgehandelt wird. Außer einer vagen Vermutung fehlte mir am Schluss die Vorstellungskraft, wie die letzten Minuten in Karens Leben ausgesehen haben könnten und warum einige Dinge geschehen sind. Weshalb küsst einer der Hotelgäste die verdatterte Ronnie? Warum gelingt es gerade einem Teenager mittels spärlicher Beweismittel einen Mörder zu entlarven, während die ermittelnde Polizei im Dunkeln tappt, und das, obwohl die meisten Bewohner vor der anderen Seite des Flusses warnen und zumeist merkwürdig darauf reagieren? Hier überlässt die Autorin so einiges dem Zufallsprinzip.

Nichtsdestotrotz behandelt "Dunkle Wasser" wichtige Themen (z. B. das mittlerweile weit verbreitet Burnout-Syndrom sowie häusliche Gewalt) und versteht es auf besondere Weise eine hintergründig packende Geschichte zu erzählen, so dass ich mich in einigen Punkten doch auf meine Fantasie verlasse und versuche der Sache nicht weiter auf den Grund zu gehen.

Fazit

"Dunkle Wasser" wird seinem Buchtitel gerecht und überrascht mit einer hintergründig fesselnden Geschichte über eine innige Freundschaft zweier verschiedenartiger Mädchen, die durch einen schrecklichen Mord zerstört wird und die Hauptprotagonistin in ein tiefes Gefühlschaos stürzt – nicht perfekt, aber absolut erforschenswert.

Doreen B. - myFanbase
30.03.2011

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