Bewertung
Black, Holly

Weisser Fluch

Seine Kraft wandelt, sein Leben wankt.

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Inhalt

Cassel ist das schwarze Schaf in der Familie Sharpe. Während alle anderen Familienmitglieder über die gefürchtete Gabe der Fluchmagie verfügen, scheint Cassel ein ganz normaler Typ zu sein – er kann weder die Erinnerungen seiner Mitmenschen manipulieren, noch dem Glück mit Hilfe von Magie auf die Sprünge helfen. Dafür ist er ein gerissener Buchmacher, der seine Mitschüler gerne übers Ohr haut und beinahe täglich lügt, ohne rot zu werden. Eigentlich kein schlechtes Leben. Wären da nicht plötzlich die merkwürdigen Träume und seine nächtlichen Spaziergänge im Schlaf. Alles weist auf seine dunkle Vergangenheit hin. Denn Cassel hütet ein mörderisches Geheimnis, das ihn nicht los lässt: vor drei Jahren tötete er seine beste Freundin Lila. Aber warum?

Kritik

Dieses Buch hat mich ganz schön auf Trab gehalten. Man könnte sagen, für mich war es Fluch und Segen zugleich. Das eine mehr, das andere weniger. Es brauchte nämlich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mit dem Hauptprotagonisten Cassel, dessen Geschichte uns die Autorin in der Ich-Perspektive schildert, richtig warm wurde. Zunächst fand ich überhaupt keinen Zugang zu seinem Charakter. Er war mir nicht unsympathisch, gemocht habe ich den notorischen Lügner aber dennoch nicht, seiner sarkastischen und lockeren Art zum Trotz. Also packte ich die angelesene Lektüre erst einmal beiseite ... bis ich erneut bereit für die Welt der Fluchmagier war und der windige Betrüger mir langsam und unbemerkt das Herz stahl. Einfach aus dem Staub hat er sich damit gemacht. Frechheit!

Cassel ist ein Buchmacher. Ein Typ, der sich mit Hilfe von manipulierten Wetteinsätzen sein Taschengeld aufbessert, der lügt, dass sich die Balken biegen, und sich nur auf sich selbst verlässt. "Traue niemanden, nicht einmal dir selbst", so in etwa lautet sein Motto. Warum sollte er auch? Schließlich hat er in seiner Vergangenheit etwas Schreckliches getan, etwas, dass er sich niemals verzeihen kann: er hat seine beste Freundin Lila ermordet. Aber warum? Das ist eine wirklich tiefgreifende Frage, der Cassel in diesem phantastischen Thriller auf den Grund gehen muss. Er kann sich nämlich an kaum etwas erinnern, nur vage Erinnerungsfetzen rufen ihm seine Tat immer wieder ins Gedächtnis. Ein plausibles Motiv bleibt ihm ebenfalls gänzlich verschlossen. Ist er wirklich ein Mörder?

Das Alles ist nicht nur verflucht spannend, sondern auch erstklassig umgesetzt. Die Story ist überraschend, düster und geheimnisvoll. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Charaktere, allen voran Cassel, wirken ausgereift und sind alles andere als langweilig, eindimensional oder klischeehaft. Sie besitzen allzu menschliche Fehler und müssen sich mit alltäglichen Problemen wie Liebe, Vertrauen und Diskriminierung auseinander setzen. Kaum jemand ist wahrhaftig gut oder böse. Die dunkle Seite vieler Akteure wird hervorhoben, sie nicht zu mögen ist dennoch nahezu unmöglich. So ist Cassel zwar ein geübter Betrüger, der das Lügen erfunden haben könnte und aufgrund seiner Vergangenheit keine Vertrauensbasis aufbauen kann, doch wenn es darauf ankommt, kann man auf ihn zählen. Seine durchtriebenen Talente kommen ihm dabei durchaus zugute. Auch über die ermordete Lila und ihre Beziehung zu Cassel erfährt man so einiges, was den stets wiederkehrenden Rückblicken zu verdanken ist und den Sympathiefaktor hebt.

Holly Black zeichnet in diesem Meisterstück eine moderne Welt, in der Fluchmagier unter uns leben - Menschen, die andere mittels ihrer Magie manipulieren können und deshalb von den Normalsterblichen gefürchtet werden. Wer lässt sich schon freiwillig seine Erinnerungen stehlen, in einen zerbrechlichen Gegenstand verwandeln oder ausnehmen wie eine Weihnachtsganz, ohne es zu merken?

Idee und Background zu dieser Story sind brillant und gut durchdacht, mir zumindest kommt keine vergleichbare Geschichte in den Sinn. Kriminalität, Korruption sowie Familienehre sind an der Tagesordnung und mittendrin befindet sich Außenseiter Cassel, dessen Verbrecherfamilie hauptsächlich aus Fluchwerkern besteht. Die Magie wird sofort als selbstverständlich gegeben. Mich restlos in der Lektüre fallen zu lassen, fiel mir anhand dieser Tatsache allerdings schwer. Stets hatte ich das Gefühl etwas wichtiges verpasst zu haben. Erklärungen über die neuartigen Wesen gibt es nur nebenbei und demzufolge kann die Handlung anfangs verwirren (bei mir war es eindeutig der Fall). Der Leser wird buchstäblich ins kalte Wasser geschmissen, dafür aber mit einem fesselnden wie konfliktreichen Plot belohnt.

"Weisser Fluch" ist der Auftakt einer geplanten Trilogie und verabschiedet sich demgemäß mit einem Kinnladen-runterhängenden-Cliffhanger, der einen die lange Wartezeit bis zur ersehnten Fortsetzung verfluchen lässt. In "Red Glove" (englischer Originaltitel) geht die Geschichte um Cassel und seiner Mafia ähnlichen Familie weiter.

Fazit

Dieses Buch ist mehr Segen als Fluch. Holly Black hat mit "Weisser Fluch" einen erstklassigen Phantastik-Thriller kreiert, der mittels tiefgründiger Charaktere und einer neuartigen Idee zu begeistern weiß – düster, sarkastisch und verflucht spannend.

Doreen B. - myFanbase
12.05.2011

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