Bewertung
Schlink, Bernhard

Das Wochenende

Ein Wochenende, ein abgelegenes Haus, eine Handvoll alter Bekannter. Es könnte alles so nett sein, wenn sie nicht eine gemeinsame Vergangenheit hätten, die ein jeder zu vergessen versucht...

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Inhalt

Nach über zwanzig Jahren wird Jörg, ein ehemaliger RAF-Terrorist, der mehrere Morde begangen hat, begnadigt und aus der Haft entlassen. Dies nimmt seine Schwester Christiane zum Anlass, eine Willkommensfeier mit den Freunden von damals zu veranstalten. So finden sie sich zusammen, einige dieser Freunde, zwei Ehepartner, eine Tochter, Jörgs Anwalt und ein Nachwuchsrevolutionär, der in Jörg die Hoffnung auf ein Weiterleben linksradikal gesinnter, subversiver Gruppen sieht. Aus welchem Grund sie alle kommen, wissen sie selbst nicht. Erwarten sie Läuterung von Jörg oder treibt sie doch eher die pure Neugierde? So verbringt das knappe Dutzend drei Tage miteinander. Dabei werden verdrängte Erinnerungen wieder hervorgeholt, Phantasien in Form von Tagebucheinträgen über einen verstorbenen Genossen nach dem Motto "Was wäre, wenn" zusammengesponnen und vor allem die unterdrückten Emotionen gescheiterter, zwischenmenschlicher Beziehungen wieder belebt.

Kritik

Fiktionale Werke, die sich mit der RAF auseinandersetzen, gibt es, besonders im Vergleich zu den zahlreichen Sachbüchern über das Thema, herzlich wenig. Bernhard Schlinks "Das Wochenende" ist also eine große Ausnahme. Im Vergleich zu Heinrich Bölls "Die verlorene Ebene der Katharina Blum" hat Schlink auch eine neutralere Perspektive. Sein Roman erschien erst kürzlich, im Jahre 2008, und spielt auch in dieser Zeit. Der "Deutsche Herbst" ist über dreißig Jahre her, was dem Autor erlaubt, die Vergangenheit objektiver und nüchterner zu betrachten und auch seine Protagonisten dementsprechend zu skizzieren. "Katharina Blum" hingegen wurde Mitte der 70er auf dem Höhepunkt des deutschen Terrors veröffentlicht und bemüht sich somit nicht um eine neutrale Perspektive, sondern kann eher als polemische Anklage gegen bestimmte Medien und Politiker und deren Vorgehensweise gewertet werden. Da Schlink mehr beschreibt als urteilt, überlässt er es dem Leser, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Der große Schwachpunkt in meinen Augen besteht darin, dass mehrfach explizit erwähnt wird, dass Jörg Mitglied der RAF war. Um erneut "Katharina Blum" als Gegenbeispiel heranzuziehen: Dieser Roman wurde im Zeitgeist der 70er geschrieben und profitierte genau davon, dass man die RAF nicht erwähnen musste, um sie zu erkennen. In "Das Wochenende" dagegen mutet es einfach etwas merkwürdig an, ein fiktives RAF-Mitglied von "Ulrike und Gudrun und Andreas" reden zu hören, obwohl man genau weiß, dass der Charakter erfunden ist. Die Mischung von Personen, die real existiert haben, und Personen, die rein erfunden sind, ist hier wirklich bizarr. Das funktioniert vielleicht auf der "Titanic", aber nicht bei einer so überschaubaren Gruppe wie der Roten Armee Fraktion.

Etwas negativ aufgestoßen ist mir ebenfalls die Analogie in der Phantasie der Frau eines verstorbenen, aber in ihrer Vorstellungskraft möglicherweise in den Untergrund getauchten Terroristen zu den Anschlägen des 11. September. Auch wenn es sich hierbei um eine erfundene Geschichte in der Geschichte handelt, so ist diese doch viel zu sehr an den Haaren herbeigezogen – Bernhard Schlink hätte getrost auf solche Abstrusitäten verzichten können.

Die Kulisse ist gut gewählt: das abgeschiedene Haus zwingt jeden, sich mit sich selbst und seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zwar könnte jeder der Besucher einfach in sein Auto steigen und verschwinden, aber keiner tut es. Fernseher oder Computer gibt es nicht und der Handyempfang funktioniert nur peripher. Es gibt also keine Ablenkungen durch die Außenwelt.

Die Konzeption des Romans beeinhaltet keinen wirklich fesselnden Handlungsbogen, weil er hauptsächlich aus Gedanken und Dialogen besteht. Dies tut der Spannung jedoch keinerlei Abbruch, da die Beziehungen der Protagonisten im Vordergrund stehen. Interessanter als der Ex-Terrorist Jörg ist sein Umfeld. Da wäre einerseits der Idealist, der die Revolution wieder aufleben lassen möchte, dessen Gründe jedoch noch mehr als damals eher obskur wirken. Noch wichtiger sind aber die Freunde, die einst die selben Ideale wie Jörg verfolgten, sich dann aber doch gegen den bewaffneten Kampf und für ein bürgerliches Leben entschieden. Sie müssen sich jetzt den eigenen Fragen stellen, warum sie so handelten, ob sie in der Lage gewesen wären, jemanden umzubringen und ob sie jemandem, der wirklich kaltblütig gemordet hat, heute verzeihen können.

Insgesamt ist "Das Wochenende" ein kurzer Roman, der sich psychologisierend, zum Glück jedoch bis auf das etwas konstruiert und pathetisch wirkende Ende, nicht allzu sentimental, auf Gespräche und Gefühle stützt und dies im Großen und Ganzen auch gekonnt schafft.

Fazit

Der Roman ist durchaus interessant gestaltet und regt zum Nachdenken an, aber auf einige Elemente, wie zum Beispiel den Verweis auf 9/11, hätte Schlink getrost verzichten können.

Isabella Caldart - myFanbase
29.01.2012

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