Bewertung
Müller, Katharina

Rosie und die Suffragetten

„Ich habe geträumt, ich wäre eine Amazone“, flüsterte ich und beugte mich zu ihr hinüber.

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Inhalt

Es ist eine Übersprunghandlung, die Rosie 1908 nach London bringt: In Littletown in Lancashire wird sie zum einen von ihrem Verlobten, dem Pferdepfleger Jim, mit Florence betrogen, außerdem fühlt sie sich schwer drangsaliert von der Köchin in dem Haushalt, in dem sie angestellt ist. Doch Rosie ahnt nicht, was ihre neue Anstellung in der Großstadt bringen wird – sie wird eine waschechte Suffragette mit all ihren Höhen und vor allem Tiefen.

Kritik

Am Anfang geht alles sehr schnell und wirklich große Emotionsausbrüche sind von der 18jährigen Rosie zunächst einmal nicht zu erwarten. Die Liebe zu Jim, der fremdgeküsst hat, kommt erst mit dem Heimweh hoch. Und die Angst um ihre alkoholkranke Mutter, die sie zurückgelassen hat? Schläft sehr bald ein, obwohl ihr Vater, ein schlauer Gewerkschaftler, bereits tot ist. Dafür geht es Schlag auf Schlag, kommt Rosie erst einmal bei den Pankhursts an – auch wenn sie zunächst noch mit ihrem beruflichen Schicksal hadert.

Rosie selbst ist jung und naiv, ihr Stottern muss sie erst noch ablegen. Und leider kommt der "sass", also ein freches, aufmüpfiges Gemüt, zum denkbar falschen Zeitpunkt, nämlich als sie für Emmeline Pankhurst Schärpen für die Suffragetten nähen muss ("Hier hast du ein Modell: Weiß für Reinheit, Grün für Hoffnung, Lila für Gerechtigkeit. Die Farben der Suffragettenbewegung. […] Wir brauchen bis morgen noch zusätzlich 300 Stück."). Mrs Pankhurst ist eine große Frauenrechtlerin, die für das Wahlrecht der Frauen kämpft. Zusammen mit ihrer WSPU, der Women's Social and Political Union, werden die Aktionen immer radikaler und zu den Demonstrationen folgen bald Brandsätze und Bombenattentate ("Alice und ich sprengten zunächst einige verlassene Schuppen und Gartenhäuschen"). Militant sind auch ihre Töchter Sylvia und Christabel. Für Helen hingegen, Rosies Freundin aus der Heimat hingegen, die sich für das Verteilen von Flyern auch gerne mal mit Eiern bewerfen lässt, ist das zu viel. Doch Rosie macht munter weiter.

Zur quirligen Journalistin Sylvia fasst sie schnell Vertrauen. Einziges Hindernis daran: "Ich mochte Sylvia. Aber es störte mich, dass sie Mr Hardie umgarnte. […] Warum? Weil er so freundlich zu mir war und … weil ich ihn sehr mochte." Hier kommt ins Spiel, dass Rosie Liebe mit Bewunderung verwechselt – bei ihren Gefühlen zu einer gewissen Jane ist das genau umgekehrt. Dabei ist Rosie mitunter sehr aufmerksamkeitshaschend.

Doch es gibt noch andere Figuren, die durchaus zu übermütig mit der Geduld des Lesers umgehen – wie Rosies Kollegin May. "Die zwei sind Amazonen, Ada und ihre Monokelfreundin. […] Kann aber auch manchmal passieren, wenn Frauen zu lange Privatunterricht kriegen. Und überhaupt, das viele Lesen kann sich auch aus­wirken. Zum Glück bin ich da nicht in Gefahr." Sicher, das macht das Buch auch so authentisch, aber eine Zeitmaschine wünscht man sich trotzdem, um dem Geschwafel Einhalt zu gebieten. Doch obwohl Rosie quasi schon die Herzchen im Auge stehen, als sie die rothaarige Jane zum ersten Mal trifft, kann sie selbst nach einem Kuss – und bis zum Schluss – ihre Gefühle nicht klar formulieren. Stattdessen findet sie in George einen geduldigen Stotterkollegen aus Irland. "Vom Amazonen-Dasein hatte ich jedenfalls fürs Erste genug."

Christabel, der der Ruf der klischeehaften "bösen Lesbe" vorauseilt, verweigert gar jegliche Freundschaft mit Rosie im Frauengefängnis, das Rosie und Jane wieder vereint. Schließlich ist es Sylvia, deren Ansichten sie mehr teilt, denn Sylvia ist für ein Wahlrecht für alle, nicht nur für wohlhabende Männer und Frauen. Das Portrait dieser Person ist besonders beeindruckend: "Ich bin bereit, hier, auf meiner Trage vor dem House of Parliament, zu sterben." Die Zeiten sind hart und der Knast ein großer Spielort für "Rosie und die Suffragetten". Das "Orange Is the New Black" aus den Anfängen der 1900er lautet: "[…]'rektale Zwangsernährung' und andere, besonders erniedrigende Formen von Folter […], um den Willen der inhaftierten Frauen und der sympathisierenden, ebenfalls inhaftierten Männer zu brechen."

Fazit

Manchmal sind Rosies Entscheidungen nicht ganz nachvollziehbar – Janes im Übrigen auch nicht -, was möglicherweise an den größeren Zeitsprüngen liegt. Dennoch ist "Rosie und die Suffragetten" ein kurzweiliger Roman, der einen spannenden Einblick in einen Teil der Geschichte gibt, die man so nicht in jedem Unterricht zu hören bekommt. Die Wahlberliner Autorin, die unter anderem in England studiert hat, geht ebenfalls bei Themen wie der Entwicklung des East Ends in die Tiefe, weswegen nicht nur Feminismusanhänger und Historyfans, sondern auch Londonfreunde das Buch lesen sollten. Bei einem Besuch in ihrer Heimatstadt ist ihre persönliche Entwicklung deutlich, doch letztlich findet Rosie auch ihre Bestimmung im Nähen. Die volle Gleichberechtigung beim Wahlrecht ist erst nach Ende des ersten Weltkrieges erreicht.

Simone Bauer - myFanbase
01.09.2015

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