Der erste letzte Tag
"Wir leben diesen einen gemeinsamen Tag lang so, als wäre es unser letzter.
Inhalt
Livius Reimer, alias Beppo, muss nach Hause, um seine angeknackste Ehe zu retten. Doch wie es eben Pechvögeln ergeht, wird sein Flug gestrichen, die Bahn fährt wegen eines Schneesturmes nicht (tut sie das denn sonst?) und natürlich ist der letzte Mietwagen nicht nur völlig überteuert, sondern für ihn, aufgrund des vergessenen Führerscheins, schlichtweg nicht zu bekommen. Leider (oder zum Glück?) tritt Lea in sein Leben. Eine offensichtlich verwöhnte, unerfahrene Vegetarierin, die alles besser weiß und Livius mit ihrem frechen Auftreten den letzten Nerv raubt. Doch da Lea ihre Papiere dabei hat und Livius gegen Zahlung des Mietwagens einlädt, sie zu ihrem Ziel (das sich im Laufe der Geschichte mehrfach ändert) zu kutschieren, bleibt dem armen Tropf wohl nichts anderes übrig, als sich auf den spontanen Deal einzulassen. Es beginnt eine Reise über deutsche Autobahnen, die so manch unerwartete Abfahrt nimmt.
Kritik
(K)ein klassischer Fitzek, der doch die bekannte und geliebte Handschrift detailverliebter Beschreibungen, fesselnder Spannung und unerwarteter Wendungen trägt und das mit einem Extra an Emotionen. Obwohl sich Sebastian Fitzek hier auf ein für ihn "unbekanntes" Terrain begibt, ist es doch erfreulich, schnell den Stil und die geistreichen Gedanken wieder zu finden. Gerade die Anfangsszenen sind so beschrieben, dass man sich mal schmunzelnd, mal laut lachend mitten im Geschehen findet. Wie so oft schafft er es, dass man sich schnell mit der Hauptfigur identifizieren kann und wissen will, welche absurden Situationen Livius auf seiner Reise wird meistern müssen. So kam es, dass ich das Buch an einem Urlaubstag am Strand in einem Rutsch durchgelesen hatte und von einigen Nachbarliegen mal sorgenvoll und mal belustigt bestaunt wurde, während meine (Lach-)tränen kullerten.
Was Fitzek besonders gut kann und das ist wohl für jeden Schreiberling das wichtigste Werkzeug ist Gefühl. Angst, Spannung und Ekel kennen wir ja schon, doch nun brilliert er schon in den ersten Zeilen mit menschlicher Nähe, Sympathie und Empathie. Man muss Livius einfach gernhaben, den naiven Tollpatsch, der zwar etwas voreingenommen, aber dank seiner Fehler und Macken so liebenswert ist. Lea hingegen geht wohl (erst mal) jedem, der nicht selbst im Prenzlauer Berg den besten Soja-Chai-Latte mit veganen Haferkeksen sucht, auf die Nerven. Wie kann man nur so herrschsüchtig, rechthaberisch und selbstverliebt sein? Abwarten, wie in kaum einem Fitzek zuvor erwartet den Leser eine Charakterentwicklung, mit der man auf den (leider nur) 265 Seiten kaum zu rechnen vermag.
"Was soll auf einer deutschen Autobahn schon passieren?", fragt man sich im ersten Viertel des Buchs. Ja, außer Stau, unfreundliche Menschen und dreckigen Toiletten findet sich in der Regel dort nicht viel. Dieses Buch lehrt einem Besseres. Gut, zugegeben, natürlich geht es weniger um die Autobahn, die nur als Schauplatz der Hauptgeschichte dient, als vielmehr um die Erlebnisse und Erfahrungen, die die beiden Hauptcharaktere im Laufe der Geschichte sammeln. Doch hier möchte ich zu dem Gedanken kommen, warum ich trotz meiner Begeisterung für dieses Buch tatsächlich (wie kann ich es wagen, dem Großmeister nur 8 Punkte zu geben, ich trau mich kaum) einen Punkt abgezogen habe. Aufgrund der relativ verhältnismäßig wenig rollentragenden Charaktere und Spielorte gleicht es einem Kammerspiel. Und das ist einfach für meinen persönlichen Geschmack eben nicht so mein Ding. Ich hatte auch beim Lesen das ein oder andere Mal das Gefühl, dass es dem Autor selbst, trotz der einfachen wie genialen Grundidee, gar nicht so leicht gefallen sein kann, einen spannenden ersten letzten Tag auf der A9 zu erzählen. Sagen wir also als Setting wären Barcelona, Kreta oder das berüchtigte Patong leichtere Plattformen für einen solchen Plan gewesen. Aber vermutlich, bzw. ganz sicher, ist genau das die Kunst. Wie sähe mein erster letzter Tag aus? Cocktails, definitiv viele Cocktails, am Strand Malediven vielleicht Freunde und Familie um mich herum und Linkin Park spielt live (ja, mit Chester). Okay, wir sehen also, dass die Umstände den perfekten letzten Tag nicht immer zulassen. Ich finde Livius und Lea machen das Beste aus ihren sehr beschränkten Möglichkeiten doch hin und wieder sind die Ereignisse daher für meinen Geschmack ein bisschen zu absurd. Nur so kann ich irgendwie diesen Punkt Abzug rechtfertigen.
Es fällt mir schwer, in diesem Artikel näher auf Inhalte einzugehen, da ich niemandem die Spannung, was dann eben doch alles auf so einer ätzenden Asphaltschlange passieren kann, nehmen möchte. Daher versuche ich es im Groben: Livius lernt, was wir alle lernen sollten, nämlich die wahren Werte im Leben, eine schätzende Selbstwahrnehmung und vor allem, dass der erste Eindruck so oft einfach nicht der richtige ist. Lea ist in diesem Stück die Lehrerin, was einen überrascht, war sie doch auf den ersten Seiten so unsympathisch und unnahbar (oder ist genau das der am wenigsten überraschende Fakt?). Gleichzeitig lernt natürlich auch sie dazu nämlich, sich zu öffnen und Dinge, vor denen sie sonst gerne den "haargepalmten" Kopf eingezogen hat, zu klären und sich ihnen zu stellen. Alles in allem ist es das, was das Buch ausmacht und worin sich, glaube ich, jeder in irgendeiner Form und in jedem der beiden Hauptcharaktere finden und etwas mitlernen kann.
Nun bin ich sehr bewusst sehr oberflächlich geblieben, doch kann ich sagen, die beiden erleben ein ungeahntes Abenteuer nach dem anderen. Manchmal sind es nur kleine Momente und manchmal große Schicksalsschläge, ab und an falsche, aber auch viele richtige Entscheidungen, die den Roadtrip ihres Lebens prägen. Und das ist im Schönen und Ganzen der Kern der Geschichte: Fitzek hat es wieder geschafft, im Alltäglichen das Besondere zu zeigen, mal zu langweilen, mal mitzureißen und zu erstaunen, mal Zweifel und mal Hoffnung zu wecken und vermutlich in jedem einzelnen Leser ein ganz individuelles Gedankenkarussell anzustoßen.
Fazit
Das Leben ist eine Autobahn. Welche Abzweigung wir nehmen, ist am Ende des Tages unser ganz eigenes Problem, oder eben auch unser Gewinn. Wir müssen nur bereit sein, den Blinker zu setzen, die Ausfahrt zu nehmen und zu akzeptieren, was uns dort erwartet. Das Gute wie das Schlechte. Und nur, wer das bereit ist, zu lernen, wird am Ende auch sein ganz eigenes Ziel erreichen. Das ist zumindest, was ICH aus diesem Buch mitgenommen habe. Vermutlich muss auch hier sich jeder seine Route selbst zusammenstellen.
Janina Funk - myFanbase
23.09.2021
Diskussion zu diesem Buch
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 28.04.2021Verlag: Droemer HC
ISBN: 3426283867
Anzahl Seiten: 272
Genre: Thriller
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