Bewertung

Review: #5.04 Fieber

Foto: Christina Hendricks, Mad Men - Copyright: Michael Yarish/AMC
Christina Hendricks, Mad Men
© Michael Yarish/AMC

Eins ist wohl sicher, #5.04 Mystery Date wird als kontroverse Episode in die Geschichte der Serie eingehen, denn diese "Mad Men"-Variante einer kleinen Horror-Show wendet einige Stilmittel an, die sicher nicht bei allen auf ungeteilte Gegenliebe stoßen werden. Ich selbst allerdings bin vollkommen fasziniert von dieser Episode und ihren Leitmotiven, die auch Stunden und Tage nach dem Schauen noch in mir nachklingen und sich immer wieder ins Bewusstsein drängen.

Da ist zum einen das wirklich sehr präsente Motiv der Gewalt, das sich durch alle Handlungsstränge hindurch zieht, bis hin zu zahllosen Feinheiten in der Ausstattung, den Hintergrundgeschichten und nebenbei erwähnten Anekdoten. Ich würde sogar soweit gehen, dass sich hier auch die Charaktere diesem gewissen Gefühl des Grauens bewusst sind, was vor allem bei Sally, aber auch bei Peggy deutlich wird. Auf den ersten Blick kann man von "Mad Men" nun vielleicht enttäuscht sein, dass alles so offen auf dem Tisch liegt, aber bei genauerem Hinsehen wird klar, bis in welche Ecken diese Konzeption durchgesetzt wurde, so dass ich absolut fasziniert bin. Das führt auch dazu, dass sich manche Erzählweisen innerhalb der Folge klar von der normalen Variante abheben. Vor allem bietet es aber unendlichen Stoff zum Nachdenken. Wenn ich irgendwann einmal einen weiteren Schulaufsatz zur Interpretation eines Kunstwerkes schreiben müsste (was natürlich mit meinen über 30 eher unwahrscheinlich ist), würde ich mit Freude als Thema diese Episode wählen.

"He hit me, and it felt like a kiss."

Da wäre also die Gewalt, oder um genau zu sein: die Gewalt gegen Frauen. Begleitet vom grausamen Mordfall der Speck-Morde, die im Juli 1966 die amerikanische Nation bewegten, driften unsere Protagonisten hier um ihre eigenen Dämonen. Don wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und auch uns Zuschauern brannte schon lange die Frage nach seiner Tendenz zur Untreue unter den Nägeln. Nun hat Matthew Weiner, um dieses Thema zur Sprache zu bringen, einen Weg gewählt, welcher zunächst keine direkten Spuren in der Handlung hinterlassen muss. Denn all das Drama, Dons Unfähigkeit zu widerstehen, ebenso wie der grausame Impuls bis zum Letzten zu gehen und Andrea zu erwürgen, fand nur in Dons fiebergetrübten Vorstellung statt. Und man spielt hier nicht wirklich mit dem Zuschauer, denn dass an der Szenerie etwas nicht stimmt, wird eigentlich nie verborgen und alles ist so surreal und seltsam, dass man mit der Zeit keine Zweifel mehr daran hat, dass Don dies alles nur träumt. Dennoch erlaubt dieser Traum natürlich einen tiefen Blick in seine Seele. Ich weiß nicht viel über Traumdeutung im Freud'schen Sinne, aber ich bin mir recht sicher, dass wir das Geschehen hier nicht bildlich zu nehmen haben. Natürlich ruht in Don kein versteckter Killer, aber er hat durchaus den Hang, Aggressivität mit Sex zu mischen und offensichtlich Angst davor, mit seinen eigenen Fehlern die Beziehung zu Megan zu ruinieren. Dabei bin ich weiterhin von Megan beeindruckt, die sich hier aufgrund der offenen Bedrohung durch Dons alte Affären unheimlich souverän präsentiert. Sie lässt sich durchaus anmerken, dass sie die Sache stört, Don aber auch nicht damit durchkommen, alles auf Betty und seine alte Ehe zu schieben. Gerade diesen Aspekt von Don versteht Megan wie keine andere zuvor.

Die Frage für Don ist also: Ist er in der Lage, seinen Urimpulsen zu entkommen? Schafft er es, dank der Liebe und der gleichberechtigten Beziehung zu einer Frau, seinen eigenen Mr. Hyde abzulegen? Man kann seine Ängste und Träume immer wieder deuten und auseinandernehmen, aber nur die Zukunft wird zeigen, wie er mit dieser speziellen Herausforderung umgehen wird.

"He hit me, but it didn't hurt me."

Eine viel ungewissere Zukunft hat Joan vor sich, die sich endlich der ihr auferlegten alltäglichen Gewalt erwehrt. Die zwar schon lange zurückliegende Vergewaltigung durch ihren damals noch Verlobten Greg kommt hier wieder zum Vorschein, sowie all die anderen Charaktereigenschaften von Greg Harris, die ihn zu einer solchen Bürde für Joan gemacht haben. Der Zuschauer wusste schon lange, dass Greg sich durch erzwungene Überlegenheit gegenüber vermeintlich Schwächeren Macht verschaffen will. Dass er nicht aufgrund seiner eigenen Fähigkeiten in der Lage ist, sich stark und wertvoll zu fühlen, sondern lediglich dadurch, dass er andere – und für uns eben meist Joan – unter der Fuchtel hat. Es war manchmal schwer mit anzusehen, wie Joan sich dieses subtil zerstörerische Machogehabe gefallen lassen hat, aber nachdem er nun aus dem Krieg wieder heimkehrt und sich offensichtlich übers Militär Bedeutung verschaffen konnte, kann Joan dies auch nicht mehr auf sich nehmen. Es ist wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, dass Greg lieber zurück nach Vietnam geht, wo er sich in einer hierarchisch-patriarchisch dominierten Gesellschaft offensichtlich wohler fühlt, als bei seiner eigenen Familie. Schließlich geht es hier nicht um Gregs berufliche Selbstverwirklichung, sondern um die Bereitschaft, den Krieg seiner Verantwortung Joan und Kevin gegenüber vorzuziehen. Und ich muss zugeben, es war eine Genugtuung, Joan sich hier so bestimmt und stark verhalten zu sehen. Dabei ist sie wahrscheinlich auch davon ermutigt, dass sie in Gregs Abwesenheit gelernt hat, dass sie zur Not auch allein zurechtkommen kann, auch wenn es als alleinerziehende Mutter in ihrer Zeit sicher nicht leicht werden wird. Auf Greg kann sie sicher nicht viel zählen, denn der stürmt nach ihrem Streit aus der Wohnung, ohne auch nur einmal nach seinem kleinen Sohn zu sehen. Seine zweifelhafte Vaterschaft steht für uns als Zuschauer natürlich auch noch im Raum, vor allem ob Greg diese nun nach seinem Streit mit Joan womöglich in Frage stellt. Aber diese Gedanken sind momentan wirklich zweitrangig.

Dieser Befreiungsschlag Joans hat wirklich lange auf sich warten lassen, aber aufgrund der langen Vorlaufzeit war es besonders erfüllend, ihn nun endlich erleben zu können. Und damit zeigt sich "Mad Men" wieder einmal als zutiefst feministische Serie, denn Joans Entscheidung aus eigener Stärke heraus ist der ultimative Beweis der Macht der Frau, die diese sich hart erkämpfen muss. Joan ist sich dessen sicher nicht bewusst, aber so sind die wahren Frauenhelden geboren wurden, durch schiere Notwendigkeit.

"He hit me, and I knew he loved me."

Die zweite Frauenikone von "Mad Men", die junge Peggy Olson, die eine solch steile berufliche Karriere hingelegt hat, muss sich in dieser Folge mit ihren eigenen Charakterschwächen auseinandersetzen. Natürlich bleibt Peggy weiterhin Peggy, ein Fakt den man dadurch zementiert, indem man sie in einer köstlichen Szene ihren Mann gegenüber Roger stehen lässt, der ihre Hilfe benötigt. Aber so sehr Peggy für uns als Identifikationsfigur fungiert, da man eigentlich immer auf ihrer Seite stehen kann, weil sie ein zutiefst guter Mensch ist, so trägt sie doch die gleiche Ignoranz und eben auch Schwächen in sich, wie wir alle. Ihr durch Zufall entstandener Mädchenabend mit Dawn, bei dem sich Peggy offensichtlich auch selbst als toleranter Mensch feiern möchte, zeigt, wie wenig sie doch über die junge Afroamerikanerin weiß. Es ist dieses typische Verhalten von uns weißen Wohlstandsmenschen, sich immer in der Lage zu fühlen, uns in die anderen Bevölkerungsschichten hineinzuversetzen und deren Leben allein durch unsere Aufmerksamkeit schon ein wenig besser zu machen. Heute äußert sich das durch das Klicken auf Kony-2012-Videos bei Facebook, nach dem sich der weiße Samariter gleich viel besser fühlt. Peggy glaubte damals, sie könne sich in Dawns Leben hineinversetzen, zeigt doch aber mit jeder Bemerkung, wie wenig sie doch eigentlich weiß. Die brodelnden Rassenunruhen im ganzen Land muss sie sich erst ins Bewusstsein holen lassen. Sie hat keinerlei Gefühl dafür, wie hoch Dawn mit einem Job in der Madison Avenue schon aufgestiegen ist und dass diese gar nicht daran denkt, sich auf Peggys Ebene hochzuarbeiten. Diese eklatante Ignoranz wird noch dadurch gesteigert, wie viel Dawn bereits über die Gepflogenheiten und die Menschen im Büro weiß. Und natürlich durch Peggys peinlichen Fauxpas, den Blick auf ihre mit Geld gefüllte Brieftasche.

"If he didn't care for me, I could have never made him mad."

Auch Sally steht im großen, gruseligen Spukhaus von Betty und Henry unter dem Einfluss der schrecklichen Morde. Sie erfährt davon durch Großmutter Pauline, die in große Aufregung über die Sache gerät, und natürlich muss sie ihrer jugendlichen Neugier nachgehen und mehr darüber herausfinden. Natürlich wäre sie besser damit bedient gewesen, dies zu lassen, aber so funktionieren wir Menschen nun mal nicht. Dabei bekommt die grausame Geschichte in Sallys Fall eher den Tenor einer Lagerfeuer-Gruselgeschichte, aber nachdem sich Sally und Pauline bis dato eher befremdlich gegenüberstanden, erwirkt der gemeinsame Horror doch so etwas wie ein Verbundenheitsgefühl. Wirklich auffällig ist dabei, dass Pauline Sally besonders bei ihrem Gespräch über die Morde mit einer gewissen Gleichberechtigung behandelt und sie nicht zum Kind degradiert. Auch wenn Paulines Methoden sicher nicht zum Nachahmen empfohlen sind, so zeigt sie mit der Art und Weise ihres Umgangs doch, dass sie Sallys Reife erkennt. Natürlich ist es fatal, dass gerade sie Sally ihre ersten Drogen verabreicht, was in gewohnter "Mad Men"-Manier so ganz nebenbei geschieht (wobei wir da wahrscheinlich sogar Don verantwortlich machen müssten, der Sally ja im Büro bereits am Schnaps nippen lassen hat), aber so verdanken wir Pauline den visuell ausdrucksfähigen Schlussmoment, der Sally unter dem Sofa versteckt zeigt. In Anlehnung an das Mädchen, dass dem Speck-Mörder entkam, indem es sich unterm Bett versteckte, und auch in Anlehnung an Dons imaginäres Mordopfer, dessen Leiche er im Traum unter sein Ehebett verfrachtete.

"But he hit me, and I was glad."

  • Michael Ginsberg zeigt sich durchaus von der talentierten Seite, mit seinem Cinderella-Entwurf für Schuhmode. Dieser passt natürlich perfekt ins Gesamtgefüge der Folge und zeigt gleich noch, wie anders Ginsberg die Hierarchie einschätzt. Er glaubt nicht an Dons Drohung und fühlt sich trotz seines leicht abwegigen Verhaltens merklich wohl in seiner Haut. Außer beim Begaffen der Tatortfotos der Speck-Morde. Ob wir dies auf seinen jüdischen Hintergrund zurückführen können?
  • Man hat sich unheimlich viel Mühe gegeben, durch kleine Schlüsselreize die wichtigsten Momente der Harris-Ehe ins Gedächtnis zu rufen, ob durch ein nahezu identisches Kleid wie damals bei Joans französischsprachigem Ständchen oder das Akkordeon selbst im Restaurant. Und mit Gails unbedarfter Bemerkung wurde noch einmal darauf verwiesen, wie unangenehm diese Erinnerungen sind.
  • Ich kann mich nicht entscheiden, ob die Lyrics des Episode ausklingen lassenden Songs von The Crystals zu bildlich geraten sind, aber ich muss zugeben, sie geben prima Zwischenüberschriften für meinen Text hier ab. So ziehen sie sich ebenso wie das Leitmotiv der Folge als roter Faden durch die Review und erzeugen hoffentlich ein leicht beklemmendes Gefühl beim Lesen. Und sie bilden auch einen perfekten Ausklang dieser Review.

In diesem Sinne:

And then he took me in his arms,

With all the tenderness there is.

And when he kissed me

He made me his.

Cindy Scholz - myFanbase

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