Bewertung

Review: #1.07 Die schlimmsten Perversen

Foto: Krysten Ritter & Eka Darville, Marvel's Jessica Jones - Copyright: Myles Aronowitz/Netflix
Krysten Ritter & Eka Darville, Marvel's Jessica Jones
© Myles Aronowitz/Netflix

Holy Shit! Was für eine Folge. Habe ich in meiner letzten Review noch die Stärken der Serie eher allgemeiner Art zusammengefasst, belehrt man mich mit dieser fantastischen Episode, dass da noch deutlich mehr drin ist. Die Emotionalität und die Anspannung, die man hier die ganze Zeit über transportierte, waren manchmal kaum mehr auszuhalten und ich musste mich nach dem Folgenende erst einmal erholen. Und so muss es mit einer genialen Folge sein.

Es wirkt, als ob alles bisher dagewesene auf die Konfrontation von Jessica Jones und Kilgrave inmitten des 15. Reviers der Polizei von New York hinauslief und diese mehrere Minuten andauernde Szene war der eindeutige Kulminationspunkt der gesamten Serie bisher. Und auch das, was in #1.07 Die schlimmsten Perversen bis dahin passierte, konnte mich komplett in seinen Bann ziehen. Denn wir beginnen mit einer Jessica, die nach den harschen Worten von Luke komplett am Boden ist. Aber dieser Tiefpunkt wird noch gesteigert, als sie in ihrem Bett den toten Ruben vorfindet. Die Anspannung dieser Szene ist enorm, in der wir Zuschauer ja wissen, dass Kilgrave in Jessicas Wohnung war, während die aufgrund ihres benebelten Zustands all die kleinen, aber deutlichen Hinweise darauf (der hochgeklappte Klodeckel, die Kiste am Eingang, das Bananenbrot) nicht bemerkt, bis sie den schlimmsten aller Beweise für Kilgraves Anwesenheit findet: Ruben in dessen eigenem Blut in ihrem Bett. Die Wucht dieser Entdeckung und die Bedeutung, die dieser für Jessica einnimmt, übertragen sich komplett auf die Zuschauer. Man wünscht Jessica einfach nur noch einen Moment Ruhe, Zuflucht vor diesem zerstörerischen Wahnsinn, der sich in ihrem Alltag dank Kilgrave breit gemacht hat und wenn man dann ihren Plan hört, sich endgültig dagegen zu wehren, drückt man ihr nur noch die Daumen. Dabei ist man sogar bei dem Gedanken, dass es für Jessica sogar nachvollziehbar wäre, Selbstmord zu begehen, voll bei ihr. Auch wenn das bedeuten würde, Kilgraves andere Opfer diesem komplett schutzlos zu überlassen. Aber so ist Jessica nicht, auch als sie ihren an Wahnsinn grenzenden Plan, sich in ein Hochsicherheitsgefängnis überführen zu lassen, entwickelt geht es ihr dabei vor allem darum, Kilgraves Opfern eine Art Gerechtigkeit, einen gewissen Schlussstrich zumindest für die Morde, die direkt mit ihr in Zusammenhang stehen, zu verschaffen. Jessica mag einen großen Hang zum Selbsthass haben, mit Egoismus oder Narzissmus hat dies aber rein gar nichts zu tun.

Dennoch ist ihr Plan, Kilgrave eben in einem Hochsicherheitsgefängnis zur Strecke zu bringen, der hier auch wie aus dem totalen Nichts zu kommen scheint, absolut irre. Und er kann eigentlich nicht funktionieren, aber ich habe das Gefühl, dass sich alle außer Jessica selbst, und das schließt die Drehbuchautoren mit ein, dessen bewusst sind. Es geht nicht darum, Jessicas Masterplan zu demonstrieren, sondern um ihre schiere Verzweiflung ob des Ausmaßes, welche Kilgraves Besessenheit angenommen hat. Dazu schließt Jessica mit ihrem bisherigen Leben ab, sie nimmt Abschied von der Stadt, von Luke (in dessen Abwesenheit) und sorgt dafür, dass Trish zumindest vor ihrer Mutter sicher ist. So lernen wir auch ein wenig mehr über die gemeinsame Kindheit von Trish und Jessica, und die besonderen Eigenheiten von deren Mutter Dorothy. Der Hass der beiden jungen Frauen auf die ist groß und das wenige, was wir bisher erfahren haben, rechtfertigt diesen auch. Besonders die Striemen am Hals der jungen Trish, die wir in einer Erinnerung von Jessica sehen, macht dies mehr als deutlich.

Und dann stehen sich Jessica und Kilgrave gegenüber, in einem bizarren Umfeld. Denn Kilgrave hat das komplette Polizeirevier unter seiner Gewalt, während er Jessica seine Liebe gesteht. Dass er dabei absolut nicht einsehen mag, wie verstörend sein eigenes Verhalten ist, wie sehr dieses Jessica zerstört und nicht zu vergessen, welchen Einfluss das eben auf all die hat, die ihm zufällig im Weg standen. Kilgraves Selbstzentriertheit ist das absolute Gegenteil von Jessicas Verantwortungsgefühl. Kilgrave mag es nicht in den Sinn kommen, dass auch ein Mensch wie Ruben, der ihm auf die Nerven geht, seinen Platz in der Welt hat, dass nicht alles darauf ausgerichtet ist, ihm zu gefallen, ihn zu amüsieren oder ihm zu Diensten zu sein (ich spare mir hier meinen Hinweis auf die Parallelen zur realen Welt, ihr wisst nach der Lektüre meiner Reviews sicher gut, worauf ich hinaus will). Und auch die Worte, die er für Jessica wählt, um ihr angeblich seine endlose Liebe zu offenbaren, sind verräterisch: "You're the first thing—excuse me person—I ever wanted that walked away from me." Und da liegt des Pudels Kern, Kilgrave hat keinerlei Interesse an Jessica als Person, er will mit ihr lediglich seinen Jagdinstinkt befriedigen. Sie hat es geschafft, sich ihm zu widersetzen und nun will er sie davon überzeugen, dass sie zu ihm gehört: "We are inevatible." Bei diesen Worten hat sich in mir wirklich alles zusammengezogen.

Das Ende dieser Episode war einfach furios und großartig, Krysten Ritter und David Tennant haben alles aus sich heraus geholt und mich mit stockendem Atem vor den Fernseher gebannt. Aber auch auf anderen Ebenen konnte mich diese intensive Folge überzeugen. Denn Trish und Malcolm haben sich hier endgültig als die emotionalen Ankerfiguren der Serie etabliert. Dass Trish auf dem besten Wege dahin war, überrascht sicher nicht, aber auch Malcolm hat in der kurzen Zeit, in der er nun nicht mehr high ist, mein Herz gewonnen. Seine Bereitschaft, alles in seiner Macht stehende für Jessica zu tun, um diese vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren, war rührend. Besonders seine letzten Worte für den armen Ruben, seltsam poetisch in Französisch vorgetragen, haben mich sehr gerührt.

Randnotizen

  • Dass Jessica Rubens Kopf mit ihren eigenen Händen abgerissen hat, ist einfach nur krank.
  • Ich werde mit Will einfach nicht warm. Zwar macht es mir ein wenig Hoffnung, dass er nun weiß, wo Jessica ist, aber dass er zuvor einfach so Trish hintergeht und sich allein auf Kilgraves Spuren macht, kann und will ich nicht akzeptieren.
  • Jeris private Probleme interessieren mich leider immer weniger. Zwar fand ich Jessicas und Wendys Konfrontation in der U-Bahn-Station unheimlich intensiv, aber wenn es dann wieder zu den Streitereien zwischen ihr und ihrer Ex kommt, lenkt es in meinen Augen leider zu sehr von der Haupthandlung ab. Das ist übrigens der einzige Nachteil, den ich in der intensiven Kilgrave-Storyline sehe: Alles andere verblasst daneben leider zu sehr, es wirkt zu trivial und damit eben auch überflüssig. Ich weiß noch nicht, ob es daran liegt, dass die anderen Handlungen weniger gelungen sind, oder ob man gegen die Kilgrave-Geschichte eigentlich immer so verlieren würde.
  • Die Kombination der Optik während der Szene, als sich Jessica hoch oben auf der Manhattan Bridge von der Stadt verabschiedete und der Titelmusik hat bei mir für eine Gänsehaut gesorgt.

Cindy Scholz - myFanbase

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