Bewertung
Interpol

Our Love to Admire

Schon seit Jahren herrscht in Fankreisen der New Yorker Interpol große Uneinigkeit darüber, welches ihrer ersten beiden Alben das bessere ist. Während das recht sperrige Debüt "Turn Off the Bright Lights" vor allem von Fans der ersten Stunde als das bislang unerreichte Meisterwerk der Band angesehen wird, halten andere das wesentlich eingängigere Folgealbum "Antics" für weitaus gelungener. Nach der Veröffentlichung ihres Drittwerks "Our Love to Admire" könnten die vehementen Diskussionen nun endlich ein Ende finden. Oder aber erst so richtig losgehen.

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Schon mit dem Opener "Pioneer to the Falls" sollten Interpol eigentlich jeden ihrer Kritiker endgültig verstummen lassen. Denn er macht schlicht und ergreifend sprachlos. Ein simples, aber doch so wirkungsvolles Gitarrenriff eröffnet dieses elegische Epos. Allmählich kommt ein zurückhaltendes Piano und Synthesizer hinzu, dann diese Stimme, die einen seit "Rosemary" nicht mehr so tief berührt hat. Als schließlich auch Schlagzeug und wundervoll traurige Bläser einsetzen, ist man endgültig verzaubert. "You fly straight into my heart" singt Paul Banks kurz bevor ein atemberaubendes Gitarren-Solo ertönt. Und besser könnte man diesen Song wohl auch kaum beschreiben, denn er trifft wahrlich direkt ins Herz. Spätestens wenn gegen Ende plötzlich alles verstummt und in der gespannten Stille nur noch Paul Banks' charismatische Stimme zu hören ist, ist Gänsehaut garantiert.

Die folgenden Songs kommen zwar mit deutlich weniger Pathos, dafür aber umso dynamischer und temporeicher daher. "Through the storms and the light / Baby you stood by my side / And life is wine" sind diesmal die magischen Worte, die Banks in einem der für die Platte so charakteristischen Breaks in "No I In Threesome" singt. Und nicht nur das Leben, auch Interpols Musik könnte man durchaus mit Wein vergleichen. Einem herben und schweren zwar, aber doch sehr süffigen, mit sehr langem Abgang. Denn wie ein guter Wein, wirken auch Interpols Songs nach dem Verzehr noch einige Zeit nach. Vor allem bei Liedern wie "The Scale", bei dem sich die Gitarrenwände auf so ungewöhnlich wie geniale Weise zum Schluss hin zunehmend verdichten, bekommt man einfach nicht genug und die Melodien eine ganze Weile nicht mehr aus dem Kopf.

Die erste Single-Auskopplung "The Heinrich Maneuver" schlägt noch am ehesten in die Kerbe des Vorgängers "Antics" und bringt (wie "Slow Hands" damals) nicht nur das Herz, sondern auch die Beine gehörig zum Schwingen. Spätestens bei "Mammoth", das mit untypisch leichtherzigen "ooh-waa-oohs" zu überraschen weiß, kann wohl auch der letzte nicht mehr stillsitzen. Ganz entgegen der immer wiederkehrenden Textzeile "Spare me the suspense" wird hier durch treibende Schlagzeugbeats eine fast unerträgliche Spannung aufgebaut und das Tempo so lange forciert bis hin zur Explosion - die jedoch gar nicht kommt. Stattdessen wird der Druck langsam wieder zurückgenommen und der Hörer am Ende völlig atemlos zurückgelassen.

Da kommt das atmosphärische und etwas ruhigere "Pace Is the Trick" als kleine Verschnaufpause gerade richtig, bevor "All Fired Up" durch das Wechselspiel eines harten, fast schon penetranten Riffs und der subtilen, aber unwahrscheinlich imposanten Basslinie im Hintergrund wieder eine unglaubliche Dynamik aufkommen lässt. Die mit den anschwellenden Gitarrenklängen immer weiter zunimmt. Wie so häufig auf dieser Platte hört der Song auf, bevor man sich so richtig darauf vorbereiten kann. Denn anstatt die bestehende Spannung wieder abzubauen, wird sie einfach über das Liedende hinaus gehalten, so dass man als Hörer gar keine Gelegenheit bekommt, wirklich loszulassen.

Das schleppende "Rest my Chemistry" glänzt durch typische Interpol-Präzision und bleibt angesichts Banks' nach wie vor sehr kryptischen Lyrics wohl der einzige Song des Albums, der sich zumindest thematisch relativ leicht entschlüsseln lässt. Der folgende und womöglich schlechteste Album-Track "Who Do You Think" geht ironischerweise am schnellsten ins Ohr und strotzt nur so vor eingängigen und tanzbaren Rhythmen. Lediglich an Tiefe und Intensität fehlt es ihm. Davon können die beiden letzten Songs jedoch mehr als genug vorweisen.

In den etwas experimentelleren Stücken "Wrecking Ball" und "The Lighthouse" laufen Interpol nämlich noch einmal zur Höchstform auf. Ersteres beginnt zunächst noch recht unspektakulär, entwickelt sich aber immer mehr zu einer nahezu orchestralen Hymne. Spätestens wenn die ersten Paukenschläge ertönen, der Gesang nur noch verhallt zum Hörer dringt und die Bläser zu dieser unwiderstehlichen und zum Träumen verleitenden Melodie ansetzen, schließt man die Augen und beginnt zu schweben. Und an diesem Zustand ändert sich auch nichts mehr bis der letzte Ton des Albums verklingt. Denn das bis kurz vor Schluss vollkommen ohne Schlagzeug auskommende "The Lighthouse" wirkt durch die verspielten Gitarrensounds, den ätherischen Gesang und die fein gesetzten Glockenschläge sogar noch um einiges atmosphärischer als "Wrecking Ball" und bildet somit einen geradezu perfekt zum Opener passenden Abschluss.

Die jungen New Yorker haben sich musikalisch also definitiv weiterentwickelt. Die Klangwelten, die sie auf ihrem neusten Werk erschaffen, sind vor allem durch den Einsatz von Keyboards und Synthesizern wesentlich dichter und opulenter, wirken jedoch nie überladen, sondern stets zurückhaltend. Auch Banks' Stimme erreicht Sphären, die man ihm vorher vielleicht gar nicht zugetraut hätte. Mal flehentlich, mal fast schon fröhlich, mal voll bitterer Ironie oder gebrochenem Stolz – gesanglich bietet "Our Love To Admire" mehr Facetten als seine beiden Vorgänger gemeinsam. Dennoch haben sich Interpol nicht völlig neu erfunden, sondern sind ihrem unverkennbaren Stil treu geblieben.

Mit ihrer altbekannt akribischen Perfektion und Detailverliebtheit lassen sie einen bei jedem Durchlauf etwas Neues entdecken. Das Album wächst dadurch auch kontinuierlich, weil sich dem Hörer vieles einfach erst bei wiederholtem Hören offenbart. Interpols ungebremste Leidenschaft und Versessenheit, die auf jedem einzelnen Track dieser Platte zu spüren sind, kann man nur bestaunen. Und vielleicht kann man so auch den Album-Titel "Our Love to Admire" erklären. Es geht nicht um Interpol, die es lieben zu verehren, sondern vielmehr um die Liebe, die sie in ihre Musik stecken und die schlicht verehrenswert ist. Interpol sind also nicht die Jäger, sondern die Gejagten. Sie sind die Anmut und Grazie verkörpernde Gazelle. Und wir die Löwen, die sich voller Bewunderung auf sie stürzen.

Anspieltipps:

Pioneer to the Falls

The Heinrich Maneuver

Mammoth

The Lighthouse

Tracks

1.Pioneer to the falls
2.No I in threesome
3.The scale
4.The Heinrich maneuver
5.Mammoth
6.Pace is the trick
7.All fired up
8.Rest my chemistry
9.Who do you think
10.Wrecking ball
11.The lighthouse

Paulina Banaszek - myFanbase
27.07.2007

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