Bewertung
Aqualung

Memory Man

Gut drei Jahre nach dem letzten regulären Studio-Album "Still Life" gibt es Nachschub aus dem Familienbetrieb Aqualung. Wie schon auf seinen vorigen Alben gingen Matt Hales auch bei seinem neuesten Werk "Memory Man" Brüderchen Ben sowie Frau und "Kopilotin" Kim Oliver beim Songwriting zur Hand. Ob Söhnchen Kofi bei den Aufnahmen mitbeteiligt war, sei dahingestellt. Klar ist jedoch, dass der Zuwachs in der Familie sich definitiv auch im Sound der neuen Platte bemerkbar macht.

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So erscheint der dramatische Opener "Cindarella" ungewöhnlich dicht instrumentiert. Das früher oft so einsam vor sich hin klimpernde Piano bekommt unerwartete Gesellschaft von schrammenden E-Gitarren, effektvoll begleitet von Himmelschören, verzerrtem Gesang und sonstigen elektronischen Spielereien. Hales zeigt sich experimentierfreudig wie nie, hantiert mit mehreren Spuren, die sich alle zu einem wuchtigen Ganzen zusammenfügen, und bewegt sich dabei stets an der Grenze zum Bombast. Fast unvorstellbar, wenn man sich die größtenteils eher minimalistischen Vorgänger-Alben in Erinnerung ruft.

Die beiden folgenden Songs klingen dagegen schon wesentlich mehr nach Aqualung und bezaubern durch unwiderstehliche Melodien, Beats sowie Hales' sanfte Stimme, die über allem zu schweben scheint. Aber auch in "Pressure Suit" und "Something to Believe In" blitzt der neue, vielschichtigere Sound durch und wenn letzterer gegen Ende laute und fast schon wilde Züge annimmt, so ist man dafür auch mehr als dankbar. Denn gerade dieses wilde, aber gleichzeitig doch irgendwie geordnete Chaos bringt eine ganz neue Dimension in Aqualungs Musik, die man einfach nicht missen möchte.

"Glimmer" und "Vapour Trail" erscheinen da im Vergleich zunächst einmal eher verhalten. Während der erstere Song jedoch vor allem durch Ben Hales’ zarten Gitarrenklänge und die wundervoll ergänzende Fiedel glänzt, begeistert letzterer mit einem stürmischen und extrem ohrwurmträchtigen Refrain. Das ausladende Glockenspiel und der Falsett-Gesang in "Rolls So Deep" kommen wiederum schon etwas zu anbiedernd und gekünstelt daher und lassen den Song daher nahezu in der Belanglosigkeit versinken.

"This house smells of ghosts" singt Hales anschließend im hypnotischen "The Lake" und tatsächlich erscheint der Song ein wenig geisterhaft. Zunächst lediglich auf das Piano reduziert, setzen schließlich elegische Engelschöre sowie subtiles Glockenspiel und Percussion ein, die eine wahrlich fast schon gespenstige Atmosphäre aufkommen lassen. Im ebenso sehr atmosphärischen "Black Hole" spielt Hales mal wieder - diesmal mit filigranen Klavierklängen und treibenden Beats. Er verhallt und verzerrt und erzeugt dadurch einen herrlich "spacigen" Sound, der erst nach dem vermeintlichen Ende des Songs in einem kurzen Instrumental seinen Höhepunkt erreicht.

Das leicht überladene "Outside" trägt dagegen wieder etwas zu dick auf und erstickt fast schon im Pathos. Der dichte Klangteppich aus Bläsern, Gitarren und Glockenspiel erdrückt nämlich vielmehr als zu beeindrucken. Im Gegensatz dazu fasziniert "Garden of Love" mit einer unglaublichen Zartheit und Zerbrechlichkeit. Langsam und unauffällig steigert sich die süße Melancholie im Laufe des Songs, bis Gastsänger Paul Buchanan, von der schottischen Band "The Blue Nile", dieser ohnehin schon hinreißenden Ballade durch seine betörende Stimme schließlich noch das Sahnehäubchen aufsetzt. Plötzlich sitzt alles und kein Instrument, kein Ton ist zu viel. Auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst findet Matt Hales hier die perfekte Balance.

Der letzte Song "Broken Bones" bildet schließlich einen gelungenen, wenn auch recht unspektakulären Abschluss eines Albums, das stets zwischen übertriebenem Pomp und berührender Intimität wandelt, dabei die Grenze zum Kitsch jedoch nie überschreitet. Was letztendlich zählt, beschreibt Matt Hales selbst so treffend in "Garden of Love": "How we tried to make everything right. How we fought and we talked through the night. How we nearly made it." Ein fast perfektes Britpop-Album.

Anspieltipps

Pressure Suit

Something to Believe In

Garden of Love

Tracks

1.Cinderella
2.Pressure Suit
3.Something to Believe In
4.Glimmer
5.Vapour Trail
6.Rolls So Deep
7.Lake
8.Black Hole
9.Outside
10.Garden of Love
11.Broken Bones

Paulina Banaszek - myFanbase
08.09.2007

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