Bewertung
Okkervil River

The Stand Ins

Bei der Arbeit an ihrem letzten Album "The Stage Names" schrieben Will Sheff und seine Mannen eine Unmenge an Songs, die es alle verdient gehabt hätten, auf die Platte zu kommen – da Doppelalben aber üblicherweise nie soviel Aufmerksamkeit wie ein herkömmliches Album bekommen und die Hörer meistens die Geduld damit verlieren, blieb Sheff nur noch eine andere Alternative, um die guten Stücke nicht versauern zu lassen: Er verteilte die Songs einfach auf zwei Alben. Nach einem Jahr ist nun die Fortsetzung von "The Stage Names" erschienen – und die Verwandtschaft der beiden Platten ist unüberhörbar: "The Stand Ins" ist ebenso dramatisch, leidenschaftlich und wunderbar arrangiert; die erzählten Geschichten sind ebenso skurril, faszinierend und traurig.

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Die Geschichten und Schicksale spielen wie immer die größte Rolle auf dem Album: Aus der Perspektive der jeweiligen Person erzählt, gerne auch mal aus der Sicht einer Frau, nimmt sich Will Sheff vor allem tragischen Charakteren an, die am Leben und an ihrer Berühmtheit gescheitert sind.

So trifft man in "Starry Stairs" Groupie und Pornostar Savannah wieder, die man schon vom vorigen Album aus "Savannah Smiles" kennt: "Oh, what a trip / Oh, what a shimmering silver ship / Oh, what a hot half-life I half lived / Oh, and the stripes and stars, how they stripped off the siding / When my life ripped" – nach einem Autounfall, der in ihrem Gesicht Narben hinterließ und somit eine weitere Arbeit in der Pornoindustrie unmöglich machte, nahm sie sich mit 23 Jahren das Leben.

Ein anderes Schicksal behandelt "Bruce Wayne Campbell Interviewed On The Roof Of The Chelsea Hotel, 1979" – in diesem sich schleichend aufbauenden Meisterwerk singt Sheff aus der Sicht des Glam-Rockers Jobriath, der nach einem kurzen Hype und seinem Outing als Homosexueller wieder rasch von der Bildfläche verschwand: "Old times, hello, hey, I've missed you / Old life, hey now, let me in".

Diese Tragödien, die Sheff mit solch einer Intensität und Verzweiflung vorträgt, als wären sie sein eigenes Schicksal, machen jeden Song von Okkervil River zu etwas Besonderem, dem man mehr abgewinnen kann als pure Unterhaltung – auch diesbezüglich gibt es einen kleinen Seitenhieb: "He's the liar who lied in his pop song / And you're lying when you sing along" predigt er im temporeicheren "Pop Lie", um gleichzeitig in Interviews zu behaupten, dass Popmusik sowieso nicht der Wahrheit verpflichtet ist.

"You come from wealth / Yeah, you got wealth / What a bitch, they didn't give you much else" gibt sich Sheff auch beim schmucken "Singer Songwriter" außergewöhnlich bissig.

Aus musikalischer Sicht zeigt sich ebenfalls die dichte Verwobenheit mit dem Vorgängeralbum: Man bewegt sich flink zwischen College-Rock, Folk und Singer-Songwriter und kann sich vor allem auf Sheffs Stimme verlassen, die immer die richtige Ton- und Gefühlslage trifft. Vor allem die Gefühlslage ist seine Spezialität: Ohne seinen mal flehenden, mal leidenden, mal klagenden Gesang würden der Musik von Okkervil River die nötige Dramatik und der nötige Enthusiasmus für diese Art von Texten und Geschichten fehlen.

Um diese Dichte an Elementen und Verschrobenheit überhaupt zu durchblicken, benötigt man allerdings auch ein paar Durchläufe, bis das Album richtig eingängig wirkt und sich die Songs vollständig aufgebaut haben. Dann allerdings wächst es immer mehr, bis sich – ähnlich wie schon bei "The Stage Names" – jeder Song als kleine, berührende Hymne entpuppt, die ihre Wirkung auch nach hunderten Malen von Hören nicht verliert.

Fazit

Mit "The Stand Ins" ist Okkervil River ein ähnlich großer Wurf wie mit "The Stage Names" gelungen – tragische, vom Leben geschriebene Geschichten kombiniert mit eindringlichen Melodien, vorgetragen von einem ausdrucksstarken, enthusiastischen Will Sheff. Die Messlatte lag allerdings immens hoch und obwohl sich beide Platten inhaltlich wie musikalisch sehr ähnlich sind, verfügt "The Stage Names" über mehr Eindringlich- und Eingängigkeit. Was aber nicht heißt, dass das Nachfolgealbum schlecht ist – "The Stage Names" war ein überwältigendes Album, "The Stand Ins" ist immer noch ein großartiges Album.

Anspieltipps

Singer Songwriter

Starry Stairs

Bruce Wayne Campbell Interviewed On The Roof Of The Chelsea Hotel, 1979

Artistpage

OkkervilRiver.com

Tracks

1.Stand Ins, One
2.Lost Coastlines
3.Singer Songwriter
4.Starry Stairs
5.Blue Tulip
6.Stand Ins, Two
7.Pop Lie
8.On Tour With Zykos
9.Calling And Not Calling My Ex
10.Stand Ins, Three
11.Bruce Wayne Campbell Interviewed On The Roof Of The Chelsea Hotel, 1979

Stephanie Stummer - myFanbase
10.10.2008

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