Bewertung
Cassandra Steen

Darum Leben Wir

Als Musikfreundin mit leicht haptischer Grundveranlagung liegt mein Hauptaugenmerk vor dem ersten Hördurchgang auf dem Booklet. Bei jeder neuen CD wird vorgegangen wie folgt: Die Songtitel werden in drei Kategorien unterteilt – nichts sagend bis öde, nicht uninteressant, verheißungsvoll. In meinem Fall: Je größer der Schmachtfaktor, den der Titel vermuten lässt, umso besser. Es gibt Lieder, deren Name allein großes Gefühlskino verspricht.

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Im Falle von Cassandra Steen und der Frankfurter Truppe Glashaus waren das bisher unter anderem "Wenn das Liebe ist", "Du" und im Alleingang "Wie du lachst". Und nach diesem Prinzip prüfte ich zunächst auch die zwölf Titel ihres zweiten Soloalbums "Darum leben wir", mit dem sie sich nach mehreren Jahren unter eigenem Namen zurückmeldet.

Der Opener- und Albumtitel ist einer jener Titel, die mein Hirn automatisch in die Schublade der Verheißung einsortiert. Klingt das nicht wie die Antwort auf all die Fragen, die wir uns seit Menschengedenken wünschen und erhoffen – herrlich kompakt zusammengefasst auf drei Minuten neununddreißig? Die ganz persönliche Frage nach dem eigenen Sinn des Lebens hat sich jeder schon einmal gestellt – und wie Cassandra Steen sie sich selbst beantwortet, lässt sie uns nun wissen. "In jeder Nacht bricht der erste Tag vom Rest unseres Lebens an [...] Wenn nicht heute, jetzt und hier, wann und wo denn dann? [...] Und darum leben wir: Leben, um da zu sein, leben, um wahr zu sein", besingt die Baden-Württembergerin mit ihrer engelsgleichen Stimme die Magie und Macht des Augenblicks. Mit ihren Ansichten scheint sie nicht allein dazustehen: Erst Mitte Februar, kurz vor Erscheinen des Albums, gewann sie beim von Stefan Raab initiierten 5. Bundesvision Song Contest mit dem Song den vierten Platz, und verpasste mit ihm nur knapp den Schritt aufs Treppchen.

Ist die Tracklist im Groben abgearbeitet, ist das Booklet an der Reihe: Optische Aspekte finden durchaus Beachtung (schöne Booklets nicht schöne Booklets), aber was wirklich zählt, und meiner Meinung nach vor allem auch in 95,6% aller Fälle zählen sollte, ist der Text. Dass der manchen Menschen nicht besonders wichtig zu sein scheint, zeigt zuweilen der eine oder andere Welthit. Aber das ist ein anderes Thema.

Bevor ich wirklich in die Musik reinhöre, lese ich das Booklet quer. Da mir der Opener bekannt war, begann ich mit "Lass mich nicht hier", einem Duett mit Xavier Naidoo. Die Zusammenarbeit ist nicht weiter überraschend, griffen sich die beiden doch immer wieder mal gegenseitig unter die Arme – zuletzt beim jüngsten Projekt der Söhne Mannheims: Wettsingen in Schwetzingen, bei dem Frau Steen auf dem Lied "Wann?" vertreten ist. Dass die Stimmen miteinander harmonieren, steht ebenfalls außer Frage. Allerdings liest sich der von beiden gemeinsam verfasste Text von "Lass mich nicht hier" auf nüchternem Papier wie mit Hilfe des Reimlexikons geschrieben. Dieses gibt es wirklich, ist aber in Musikerkreisen weitläufig verpönt. Die Nutzung dieses Hilfsmittels sei an dieser Stelle keineswegs unterstellt, aber textliche Raffinesse sieht im ersten Moment wahrlich anders aus. Gott sei Dank ist "Lass mich nicht hier" aber kein Gedicht, sondern ein Song. Und der bekommt instrumentiert – von Naidoo kraftvoll, von Steen gewohnt zart im Zwiegespräch eingesungen – einen ganz anderen Anstrich. Und vertont wird der Song zweifelsohne zu einer der Perlen auf dem Album.

Überhaupt ist es Cassandra Steens fragile Soul-Stimme mit hohem Wiedererkennungswert, die die Songs in viel Gefühl taucht, und zum Atmen bringt. Auf höchstem Niveau haucht sie ihnen Leben ein. Dabei geht es manchmal auch um dessen Ende, wie in "Unendlich", das vom schmerzenden Abschiednehmen einer geliebten Person handelt. So facettenreich wie das Leben selbst ist die Themenvielfalt, die Steen auf ihrem zweiten Werk vereinigt. Namhafte Unterstützung leisten neben Writerin Heike Kospach sowohl Adel Tawil, der in Form der zweiten Kollabo auf "Stadt" zu hören ist, als auch Annette Humpe, die zweite Hälfte von Ich & Ich. Zudem hat Naidoo auch bei "Es ist wahr" seine talentierten Finger im Spiel, und für "Engel" schaute ein weiterer Wegbegleiter aus vergangenen Tagen im Studio vorbei: J-Luv hatte im Jahr 2004 bereits das wunderbare "?" mit Frau Steen aufgenommen, das auf seinem Debüt "Kontraste" zu finden ist. Es zeigt sich: Nicht nur sie selbst glaubt an sich. Nicht nur sie selbst steht voll und ganz hinter ihrem neuen Werk, das von Liebe und Verlust, Freude, Leid, Glück und Zweifel zu berichten weiß. Sich treiben lassen im Strom des Lebens. Die Kontrolle verlieren, aber nie sich selbst. "Hier war ich noch nie, so weit überm Boden. Wenn wir auch fallen, wir fallen nach oben", besingt es Steen. In jeder Liedzeile bejaht sie bedingungslos die Berg- und Talfahrt des Lebens, und die Lust, diese Achterbahn Tag für Tag neu zu besteigen. Mitreißen und mitreißen lassen – das scheint Steens Philosophie zu sein.

Fazit

Hat Cassandra Steen auf den zwölf Liedern, insbesondere im Titelstück, die Frage nach dem Sinn des Lebens abschließend beantworten können? Vielleicht. Bestimmt sogar hat sie es ein großes Stück weit getan. Doch da Bilder bekanntlich oft mehr sagen als tausend Worte, sei jenes erwähnt, das auf der letzten Seite des Booklets zu finden ist: Es zeigt Cassandras Arme; der rechte mit der Innenseite zum Betrachter gekehrt. Auf den Pulsadern sind drei Worte eintätowiert: Forgive. Trust. Love. Lässt man diesen Anblick für einen Moment wirken, wird schnell klar, dass Frau Steen ihren Sinn – neben der Musik – bereits gefunden hat. Und der ist so ehrenwert und schön, dass man sich – sollte man selbst noch auf der Suche sein – von ihm inspirieren lassen sollte.

Anspieltipps

Darum leben wir

Lass mich nicht hier feat. Xavier Naidoo

Eis

Fallen nach oben

Funken Liebe

Engel

Artistpage

Cassandra-Steen.de

Tracks

1.Darum leben wir
2.Lass mich nicht hierfeat. Xavier Naidoo
3.Eis
4.Glaub ihnen kein Wort
5.Unendlich
6.Es ist wahr
7.Stadtfeat. Adel Tawil
8.Funken Liebe
9.Rette mich
10.Fallen nach oben
11.Engel
12.Darum leben wir (Numarek Remix)

Aljana Pellny - myFanbase
25.02.2009

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