Bewertung
Milow

Milow

Der Text ist derselbe – sonst nichts. Milow hat "Ayo Technology" wie die Damen im Video-Clip des Urhebers 50 Cent komplett ausgezogen und in ein vollkommen neues Gewand gesteckt. Hier gezupft und dort zurechtgezogen, ist es dank der Typveränderung des Belgiers nicht mehr wiederzuerkennen, schwebt beinahe zu den rhythmischen Klängen der Akustikgitarre. Schlüpfrig ist da allenfalls nur noch der Text. Aber der wird so galant mit Samtstimme und Seidenschimmer umspielt, dass es wie eine umwerfend schöne Frau dem Betrachter vorübergehend alle Sinne raubt. So oder so ähnlich muss es auch den Zuständigen in der Redaktion eines deutschen Nachrichtensenders ergangen sein, denn seit geraumer Zeit lächeln deren Moderatoren gewinnend in die Kameras zu einem Lied, dessen wortwörtliche Übersetzung ihnen wohl eher die Schamesröte, als ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hätte.

Foto: Copyright: B1 Recordings
© B1 Recordings

Der Milow aus Belgien – minus Haare, plus Knopfaugen – trickst uns alle aus. In einem zwar sinnlichen Video singt er mit Unschuldsmiene von all dem, was 50 Cent im Jahre 2006 noch hin- und her wankend, sich im Kreise drehend, die Hände in die Luft streckend und mit Justin Timberlakes und – natürlich – Timbalands Hilfe noch ganz anders aufgezogen hatte. Intention und Inhalt wurden Englischallergikern spätestens durch das Video einigermaßen nahe gebracht. Doch siehe da, der Milow hält das ganz anders. Diskreter und sonniger stellt "Ayo Technology" in diesem Jahr sogar schon Mitte März Ansprüche auf den Titel "Sommerhit 2009". Und wenn er diesem gerecht werden sollte, kann davon ausgegangen werden, dass spätestens im August auch der hartnäckigste Repeat-Drücker eine Auszeit braucht von dem Song, der seit Monaten Funk und Fernsehen beherrscht.

Milow, mit bürgerlichem Namen Jonathan Vandenbroeck, hat das Ganze insofern geschickt eingefädelt, dass er sich mit seiner Band ein Lied schnappte, das bei den Einen ohnehin bekannt ist und bei den Anderen wie frisch gepresst wirkt. Wirklich taufrisch ist auf Milows gleichnamigem Erstling allerdings nichts. Selbst der Begriff des Debütalbums ist so nicht ganz richtig, denn: Milow ist gar kein Newcomer im eigentlichen Sinne. Dem Album "Milow" gingen bereits zwei Alben voran ("The Bigger Picture" 2006, "Coming Of Age" 2008) – was es im Grunde zu einem Best-Of macht. Und Milow zu einem Künstler, der sich mit einer Hitsammlung seiner selbst der Welt vorstellt. Vielleicht ist das der Grund, wieso das Album gänzlich unangestrengt des Weges kommt. Vielleicht macht es sich aber auch einfach nur bemerkbar, dass Milow sein eigener Boss ist: Er trifft alle Entscheidungen selbst. Und scheint dabei die Ruhe selbst zu sein.

Eine weise Entscheidung traf er auch, als er beschloss, "Ayo Technology" auf die eins zu setzen. Einzeln, als Eröffnung des Albums, funktioniert das Cover wunderbar. Noch besser allerdings als Einleitung zu Milows eigenen Songs, die überraschend zielstrebig ihre Wege ins menschliche Ohr suchen – und zwar wählt jeder einzelne den direkten. Sicherlich, es ist Vandenbroecks dritte Album. Dennoch klingt es wie das achte oder neunte. Gleich mit den ersten Takten von "You Don't Know", deren Traben kurzzeitig an Amy McDonald erinnert, bis zum letzten "Born In The Eighties"-Seufzer wird eines ganz schnell deutlich: Milow ist absolut angekommen. An der einen oder anderen Chartspitze, sicher, aber vor allem bei sich. Da ist dieser rote Faden – auch dann, wenn er sich mal geschickt um eine zuckersüße Melodie wickelt. Und davon gibt es auf dem Album in etwa genauso viele wie leise Untertöne wie bei "Stephanie" und "The Priest", die Schicksale mit Sonnenschein auf einem knapp sechzigminütigen Werk verwebt, das Milow so sicheren Schrittes endlich (!) aus Belgien und den Niederlanden hinauswandern lässt, die Welt an dieser unfassbar stilsicheren Popmusik teilhaben lassen zu wollen. Es reiht sich Perlchen hinter Perlchen auf dem unsichtbaren roten Faden auf – jede hat ihren Platz, jede ist dort, wo sie sich befindet, genau richtig. Aus jeder noch so kleinen Note klingt eine gewisse Zufriedenheit durch, die dem Hörer das wunderbar leichte Gefühl vermittelt, jeder Ton gehöre exakt dorthin und alles ist genau so geworden, wie es gewollt, gewünscht und einst erdacht war. Songs wie "One Of It" wandeln traumtänzerisch und mühelos zwischen dem autobiographisch anmutenden "Canada" und "Darkness Ahead And Behind", das sich augenzwinkernd dem Alltäglichen widmet und dem immer mal wiederkehrenden Gefühl, es ginge nicht mehr weiter; nicht vor, nicht zurück – bis das Gegenteil eintritt: "Life always dumps something in your lap/ you're constantly busy redrawing your map [...] There are no rules in this self-help universe/ it's never what you were expecting to find."

Fazit

Was selten genug passiert, ist hier geschehen: Möchte man eine Handvoll Songs erwählen, um sie dem neugierigen Musikfreund als Hörprobe an die Hand geben und sie besonders warm ans Herz zu legen, stellt man sich plötzlich die Frage, wie man einige wenige Stücke herausheben kann, ohne die anderen im gleichen Moment abzuwerten. Aber wir wollen nicht die gesamte Tracklist kopieren, deshalb sei gesagt, dass auch die Lieder, die an dieser Stelle keine Erwähnung finden konnten, qualitativ nicht nachstehen, sondern ebenso hörenswert sind wie alle anderen auch. Aber das ist ja bekanntlich das Schöne an einem Album: Kauft man es, so hat man alle Lieder immer griff- und hörbereit. Und diese beruhigende Tatsache kann in Sachen Milow nur von großem, großem Vorteil sein. Und sollten sämtliche vorausgegangenen Würdigungen und warme Worte trotz allem nicht zum Erwerb überzeugt haben: Bitte trotzdem kaufen, "Milow" ist es wert.

Anspieltipps

Ayo Technology

One Of It

Canada

Stephanie

The Priest

Born In The Eighties

Artistpage

Milow.com

Tracks

1.Ayo Technology
2.You Don't Know
3.One Of It
4.Out Of My Hands
5.Canada
6.The Ride
7.Stephanie
8.Coming Of Age
9.The Priest
10.House By The Creek
11.Dreamers And Renegades
12.Herald Of Free Enterprise
13.Darkness Ahead And Behind
14.Launching Ships
15.Born In The Eighties

Aljana Pellny - myFanbase
21.04.2009

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