Bewertung
Paolo Nutini

Sunny Side Up

Süße 17 war Paolo Nutini, als er die meisten Songs für sein Debütalbum "These Streets" schrieb. Dementsprechend grün hinter den Ohren, ließ sich der junge Singer/Songwriter damals noch bereitwillig von seiner Plattenfirma beraten und vermarkten. Und das Konzept ging auch voll auf: Im Sturm eroberte er mit seiner markanten Stimme und charmanten, wenn auch nicht sonderlich anspruchsvollen Pop-Songs ganz Europa. Drei Jahre nach dem großen Durchbruch, zieht er mit nicht mehr ganz so süßen 22 auf "Sunny Side Up" jetzt sein ganz eigenes Ding durch.

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Mit gestutzter Haarpracht und Dreitagebart lacht der Italo-Schotte von den neuen Promo-Bildern und will mit dem neuen Look offenbar endgültig sein Image als schnuckeliger Teenieschwarm loswerden. Doch soviel älter er nun auch wirkt, einen schönen Mann kann bekanntlich nichts entstellen. Daher war es wohl eine sehr weise Entscheidung, als Album-Cover eine derart abschreckende Illustration seiner Selbst zu wählen. So wird der Fokus nämlich vielmehr auf die inneren Werte gelegt. Und die sprechen für einen gereiften, selbstbewussten jungen Mann, der genau weiß, was er will und was er kann: musikalisch auf ganzer Linie überzeugen.

Dabei geht Paolo Nutini auf seinem neuen Werk völlig andere Wege als noch auf dem sehr poppigen und balladesken Vorgänger. Vielmehr präsentiert er seinen perplexen Fans – wie schon der Albumtitel andeutet – hauptsächlich die sonnige Seite des Lebens und orientiert sich dabei musikalisch an den ganz großen Soul-, Folk- und Country-Helden der 60er und 70er Jahre. Dabei gelingt es ihm mit seiner Band "The Vipers", einen so wunderbar stimmigen und authentischen Oldschool-Sound zu kreieren, dass sich der ein oder andere "These Streets"-Anhänger angehörs dieser ungewohnten Klänge ziemlich vor den Kopf gestoßen fühlen wird.

Live hat sich diese Entwicklung bereits länger abgezeichnet, hat Paolo Nutini auf seinen Konzerten in den letzten Jahren doch schon immer gerne seinen großen Vorbildern Tribut gezollt und mit solch alten Klassikern wie "Daydream", "Trouble So Hard" oder "What a Wonderful World" überrascht. Und wie er sich schon damals auf der Bühne nur selten um sein Publikum scherte, sondern vielmehr einzig und allein auf die Musik konzentrierte und völlig in seiner Performance aufging, die Augen beim Singen stets verschlossen oder zum Boden gerichtet, nimmt er auch auf "Sunny Side Up" keinerlei Rücksicht auf potentiell irritierte Fans.

So vermag schon der Opener "10/10" mit seinen beschwingten Posaunen und leichtfüßigem Klaviergeklimper so manch einen, der Ska nichts abgewinnen kann, vergraulen. Wer sich aber in Geduld übt und offen für Neues bleibt, wird nach diesem ersten kleinen Schock schnell merken, dass "Sunny Side Up" nichts Geringeres ist als ein fulminantes Feuerwerk an Kreativität und Spielfreude, das zwar nicht unbedingt beim ersten Hören zündet, dafür aber umso länger fasziniert und funkelt. Das gilt für Soul-getränkte Nummern wie das von Hammond-Orgel und Winehouse-Bläsern durchzogene "Coming Up Easy" genauso wie für all die wundervollen Folk-Songs auf dem Album, die nicht selten mit Mandolinen, Flöten, Mundharmonika und Akkordeon aufwarten. Darunter besticht "Growing Up Beside You" vor allem durch sehnsüchtige Chöre und Celesta im Hintergrund, während "Tricks of the Trade" sowie die erste Hälfte von "Chamber Music" sich allein auf Akustik-Gitarre und die so alt und weise tönende Stimme des jungen Schotten beschränken und dabei Lagerfeuerromantik at its best bieten.

Das lebenskluge "Worried Man" sowie "Simple Things", eine Ode an Paolo Nutinis italienischen Vater, dem Familie alles bedeutet und der stets die simplen Dinge im Leben ehrt, erinnern beide positiv an Country-Legende Johnny Cash und brillieren allem voran durch ihre so simplen, aber ausdrucksvollen Lyrics. Die schleppende 60s-R'n'B-Ballade "No Other Way", zu der es sich sicherlich wunderbar Stehblues tanzen lässt, mahnt hingegen an den zeitlosen Klassiker "Unchained Melody" und ruft unweigerlich Patrick Swayzes und Demi Moores legendäre Töpferszene aus dem Film "Ghost" vor das innere Auge. Und spätestens wenn die Bläser Paolo Nutini gegen Ende des Songs zu stimmlichen Höchstleistungen anspornen und er voller Inbrunst "I'm home, so kiss me" singt, kriegt man - trotz zweifellosem Kitsch - eine mächtige Gänsehaut.

Bei einer solchen Fülle an großartigen, beseelten Songs auf dem Album, mag es vielleicht verwundern, weshalb ausgerechnet das im Vergleich sehr unspektakuläre "Candy" als erste Single ausgekoppelt wurde. Denn der Song plätschert zunächst eine gefühlte Ewigkeit gefällig vor sich hin, bevor er durch sein anschwellendes Finale sowie ein angenehm zurückhaltendes E-Gitarrensolo gegen Ende doch noch die Kurve kriegt. Offenbar wollte man die breite Masse nicht gleich mit dem radikalen Stilwechsel des persönlich wie musikalisch gewachsenen Paolo Nutini überrumpeln, sondern mit "Candy" lieber erstmal auf Nummer sicher gehen. Ob das allerdings eine so clevere Wahl war, bleibt fraglich, steckt in "Sunny Side Up" doch so viel mehr Potential.

So versprüht beispielsweise der waschechte Ragtime "Pencil Full of Lead" mit Walking Bass und Dancing Brass, herrlichen Call-and-Response-Chören sowie vergnügter Mundharmonika einen derart wunderbaren alten Charme, dass sich ihm selbst der Ottonormalhörer nicht entziehen können sollte. Und auch die unwiderstehliche Calypso-Soul-Nummer "High Hopes" strahlt mit ihren fidelen Ukulelen und Flöten so viel Hoffnung, Spaß und gute Laune aus, dass man den attraktiven Herrn Nutini geistig heimlich in ein Hobbitkostüm steckt, klingt der Song doch so verdächtig nach dem unbeschwerten Leben im Auenland. Aber mal von Äußerlichkeiten abgesehen, hat Paolo Nutini mit einem Hobbit sogar tatsächlich etwas gemeinsam: Denn er ist ebenfalls ein ausgesprochener Familienmensch, der das Leben liebt und Musik lebt.

Fazit

10/10! Ach nee, geht ja nicht. 9/9! Mit ganz viel Dreck, Soul und Farbe in der Stimme sowie hinreißendem schottischen Akzent vollzieht Paolo Nutini auf seinem zweiten, unheimlich verspielten und abwechslungsreichen Album die Entwicklung vom bloßen Frauenschwarm und Popsänger mit bemerkenswertem Organ zum ernstzunehmenden Singer/Songwriter, dem Musik offenbar nicht nur am Herzen, sondern auch im Blut liegt. "Sunny Side Up" ist aber nicht nur ein Reifezeugnis Paolo Nutinis, sondern vor allem auch ein Sommeralbum, das Groß und Klein, Jung und Alt, auf Parties und bei Familienfeiern, heute und in Zukunft für ganz viel Freude und strahlende, mitsingende Gesichter sorgen wird.

Anspieltipps

Tricks of the Trade

Pencil Full of Lead

No Other Way

High Hopes

Worried Man

Artistpage

PaoloNutini.com

MySpace-Profil

Tracks

1.10/10
2.Coming Up Easy
3.Growing Up Beside You
4.Candy
5.Tricks Of The Trade
6.Pencil Full Of Lead
7.No Other Way
8.High Hopes
9.Chamber Music
10.Simple Things
11.Worried Man
12.Keep Rolling

Paulina Banaszek - myFanbase
30.06.2009

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