Woodstock 40

Nun, seltsam ist es ja ohnehin, dass man es scheinbar erst jetzt der Rede wert fand, so manches bisher unbekannte Material auszugraben, die Auftritte in die richtige Reihenfolge zu bringen und das Ganze als 6-CD-Box zu veröffentlichen – beziehungsweise, vollständige Auftritte wie die von Jefferson Airplane oder Sly & The Family Stone erst jetzt zu veröffentlichen. Aber man muss wohl immer erst den richtigen Moment abwarten, in dem sich alles am besten vermarkten und verkaufen lässt.

Mir liegt hier nur die Doppel-CD vor, die begleitend zur Mega-Box erschienen ist – sie soll quasi das Wichtigste des Festivals auf einen Punkt bringen. So, wie es schon unzählige Compilations zuvor ähnlich getan haben. Dadurch gibt es auch nicht wirklich viele Überraschungen: Natürlich protestiert Country Joe McDonald mit seinem "I-Feel-Like-I'm-Fixing-To-Die-Rag" gegen den Vietnam-Krieg, selbstverständlich geht man mit Canned Heat auf eine Road-Trip, auf jeden Fall darf hier Joe Cocker wieder die Beatles covern, zweifelsohne wartet am Ende der zweiten CD wieder Jimi Hendrix' sagenhafte Interpretation von "Star Spangled Banner" auf den Hörer.

Nur vier bisher unveröffentlichte Tracks haben ihren Weg auf diese Ausgabe gefunden, nämlich von Arlo Guthrie, CCR, Tim Hardin und der Incredible String Band. Alles schön und gut (vor allem, da die Teilnahme so mancher Band im berühmten Woodstock-Film von Michael Wadleigh untergegangen und vielen Menschen unbekannt ist), dennoch hätte man, wenn es doch um die Essenz der ganzen Sache geht, doch wieder die klassischen Nummern wählen können, wie Arlo Guthries "Coming Into Los Angeles", das immerhin beinahe zu den Woodstock-Hymnen gehört.

Dieses Schwanken zwischen den üblichen Klassikern und unbekannteren Nummern lässt die ganze Compilation etwas unausgegoren erscheinen – über die Qualität der einzelnen Songs muss man freilich nicht streiten: Jefferson Airplane liefern eine bemerkenswerte, verspielte Version von "Somebody To Love". Richie Havens plädiert mit aller Intensität, die er aufbringen kann, für den Frieden, während andere Acts wie Santana oder die Butterfield Blues Band mit aller Intensität, die sie aufbringen können, für atemberaubende, schwindelerregende Jams sorgen.

Auch wenn damals vieles mit der Technik nicht klappte und die meisten Bands mit ihren erbrachten Leistungen im oft zugedröhnten Zustand nicht zufrieden waren, ist es doch diese gewisse Atmosphäre und das Wissen um dieses friedvolle Zusammensein von einer halben Million Menschen, die diese Aufnahmen zu etwas ganz Besonderem machen: Wer wünscht sich nicht, eine der unzähligen Kehlen gewesen zu sein, die mit einem gellenden "higher" auf Sly Stones Rufe antwortete? Wer bekommt keine Gänsehaut bei Hendrix‘ legendärer Darbietung der amerikanischen Nationalhymne? Wer, zu spät geboren oder einfach nicht dabei gewesen, beneidet nicht zumindest für einen kurzen Moment all die, die Teil dieser zwar naiven und letztendlich gescheiterten, aber doch einzigartigen Bewegung waren?

Fazit

Der Mythos Woodstock – wie auch immer man sich erklären mag, dass genau dieses eine Festival solchen Kult-Status erreicht hat, man weiß es auf jeden Fall auszunutzen. Diese Doppel-CD ist zum Kennenlernen dieses Phänomens genauso gut geeignet wie jede andere Compilation, die sich schon auf dem übersättigten Markt befindet. Die großartige Musik, das Gefühl und die Vision einer ganzen Generation, die man hier zu übermitteln versucht, stehen natürlich für sich – dazu braucht es aber bestimmt nicht die hundertste Jubiläumsausgabe. Wieso auch – in 10 Jahren kommt dann wahrscheinlich ohnehin die Super-Mega-10-CD-Box mit unveröffentlichten Aufnahmen davon, wie Janis Joplin heimlich vor ihrem Auftritt die Tonleiter trällert.

Anspieltipps

The "Fish" Cheer/I-Feel-Like-I'm-Fixin'-To-Die-Rag

Going Up The Country

We're Not Gonna Take It

Somebody To Love

Star Spangled Banner/Purple Haze & Instrumental Solo

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