American Idiot
Junge hasst alle und alles um ihn herum; Junge läuft von zu Hause weg; Junge trifft auf aggressiv-rebellischen Typ; Aggressiv-rebellischer Typ lehrt Junge den Alltag mit Drogen zu überstehen; Junge trifft auf Mädchen; Junge und Mädchen kommen zusammen; Mädchen verlässt Junge; Junge ist wieder allein; Aggressiv-rebellischer Typ begeht Selbstmord; Junge kehrt zurück nach Hause; Junge schließt mit Mädchen ab.
So klingt der zusammengefasste Inhalt von Green Days siebten Studioalbum. Eine Storyline bei einem Album ist schon etwas ungewöhnliches. Das ist in einer Weise auch gut so, denn das Album, das ihnen das große Comeback verschafft hat, sollte auch etwas besonderes sein. Nachdem 2003 angeblich die Masteraufnahmen für "Cigarettes & Valentines", dem eigentlichen Nachfolger von "Warning", aus dem Studio gestohlen wurden, setzten sich Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool zusammen, um eine Art Bandtherapie zu machen, mit dem Resultat, dass sie wieder zu einander fanden. Sie beschlossen, "Cigarettes & Valentines" nicht noch mal aufzunehmen, sondern begannen etwas Neues, "American Idiot".
Die ersten Worte des Albums sind "Don't wanna be an american idiot", ein Statement, das politischer nicht sein könnte. Das Lied verbindet so ziemlich alles, was einen guten Green-Day-Song ausmacht: eingängige Melodie, viel Energie und die Fähigkeit Massen zu bewegen. Das Lied ist sozusagen ein Stand-Alone-Song, da noch keine der Figuren namentlich benannt werden. Man kann aber davon ausgehen, dass "American Idiot" Jesus of Suburbias Gedanken darstellt.
"Jesus of Suburbia" ist die erste der zwei Mini-Symphonien, die in die Teile 1. "Jesus of Suburbia", 2. "City of the Damned", 3. "I Don't Care", 4. "Dearly Beloved" und 5. "Tales of Another Broken Home" unterteilt ist. "Jesus of Suburbia" (der Teil) kommt sehr rockig daher mit einem prägnanten Gitarrenriff, genauso wie bei "American Idiot". Zudem stellt er das zentrale Thema dar, das den Protagonisten beschäftigt: Rage vs. Love. Die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen sind gut komponiert, da sie gar nicht richtig auffallen, obwohl sich die Teile unterscheiden. "Dearly Beloved" fällt besonders auf, da es, im Vergleich zu dem bisherigen hohen Tempo des Albums, ruhiger ist. Der letzte Teil, "Tales of Another Broken Home", handelt schließlich davon, wie Jesus of Suburbia Jingletown verlässt. Das er mit der Stadt und dem Leben darin abgeschlossen hat, merkt man besonders an der Liedzeile "I don't feel any shame / I won't apologise", in der man nur Billie Joes Stimme hört. Das gesamte Lied findet einen aufmunternden Abschluss, der die Entschlossenheit des Protagonisten widerspiegelt.
Auf "Jesus of Suburbia" folgt das Lied, "Holiday", das, laut Billie Joe Armstrong, der politischste Song Green Days ist. Tatsächlich kündigte er "Holiday" auf der DVD "Bullet in a Bible" mit den Worten "this song's not anti-american, it's anti-war" an. Im Vergleich zu den vorherigen Alben merkt man, dass bei "American Idiot" die Leadgitarre eine viel größere Rolle spielt. "Holiday" bildet da keine Ausnahme. Der gesprochene Part beinhaltet Anspielungen auf Hitler und die Tatsache, dass Frankreich sich öffentlich gegen den Irakkrieg geäußert hat. Keine Frage, spätestens hier gilt: Boxen voll aufdrehen, der Rest des Albums kann bei diesem Anfang nur gut werden.
"Boulevard of Broken Dreams" ist wieder mehr Charakterbezogen. Jesus of Suburbia wandert planlos und verlassen durch die Straßen. Dementsprechend ist auch die Musik nicht mehr rockig oder gar punkig. Vielmehr zeigen Green Day ihre melancholische Seite, die dank Bass mit Wiedererkennungswert nicht zu ruhig ist.
Nachdem mit "Boulevard of Broken Dreams" das Tempo runtergeschraubt wurde, geht es mit "Are We The Waiting" noch ruhiger weiter. Begonnen wird mit einem Drum-Solo, wenig später folgt der Bass. Bei "Are We The Waiting" wird das Hauptaugenmerk auf die Stimme gelenkt. Billie Joe beweist, was er alles mit ihr anstellen kann. Spätestens beim Refrain, den der Männerchor fasst schon wie eine Hymne singt, setzt die Gänsehaut ein.
Nahtlos geht es dann in "St. Jimmy" über. Ob der Charakter St. Jimmy nun wirklich existiert, oder ob er nur ein Alter-Ego von Jesus of Subutbia ist, der inzwischen in eine gespaltene Persönlichkeit geflüchtet ist, sollte jeder selbst entscheiden, Fakt ist: "St. Jimmy" holt alle gnadenlos aus ihrer melancholisch-ruhigen Stimmung raus, die "Boulevard of Broken Dreams" und "Are We The Waiting" hervorgerufen haben. "St. Jimmy" ist schnell, energiegeladen, aggressiv, fast schmutzig. Green Day brauchen nur 2:55 Minuten den neuen Charakter einzuführen und zeigen klar, was für eine Person dieser ist, der Anführer auf der Straße.
Nachdem man mit "St. Jimmy" so richtig aufgeweckt wurde, wird man nun in den nächsten Schockzustand befördert. Mit "Give Me Novacaine" wird das Tempo gedrosselt. Inhaltlich gesehen zeigt St. Jimmy Jesus of Suburbia Drogen, die er benutzt, um seinen Weltschmerz zu lindern/vergessen. Deswegen ist auch die Musik in diesem Lied nicht mehr schnell und laut, denn Jesus of Suburbia unterdrückt seine Gefühle mit Taubheit. Schlagzeug und Akustikgitarre sind der Höhepunkt. Der Song kommt so friedfertig rüber, dass man meint, ihn auch glatt auf "Warning" wieder finden zu können.
"She's A Rebel" so beschreibt Jesus of Suburbia Whatsername, seine erste große Liebe. Das typische Green-Day-Song-Rezept trifft wieder zu. "She's A Rebel" bildet eine schönen Kontrast und punk-rockt glatte zwei Minuten nur so daher. Der Songtext verändert sich nicht, größtenteils werden die Strophen einfach wiederholt, aber das macht nichts, da er so einfacher wird. Das Lied animiert einfach zum Mitsingen an.
In "Extraordinary Girl" sind JoS und Whatsername anscheinend schon zusammen, allerdings merkt man, dass es in der Beziehung kriselt. Der Anfang erinnert stark an arabische, orientalische Musik, der einen überrascht aufhorchen lässt und Lust auf mehr macht. Nach einem Weckruf, durchgeführt von Drummer Tré Cool, verliert sich das anfängliche Thema und geht über in eine Art Power-Ballade. Thematisiert wird vor allem Whatsernames Unzufriedenheit ("She's all alone again / Wiping the tears from her Eyes / Some days he feels like dying / She gets so sick of crying") .
"Letterbomb" ist ohne Frage eines der besten Green-Day-Lieder. Eine Piepsstimme, die sich das Trio mal eben von Kathleen Hanna geborgt haben und die Whatsername darstellen soll, singt Mike Dirnts Geniestreich ("Nobody Likes You / Everyone Left You / They‘re All Out Without You / Having Fun"). Das zum Album gehörige Booklet zeigt, dass dieser Song aus Whatsernames Sicht geschrieben ist, in der Tat ist er dort als (Abschieds-)Brief abgebildet. Nach dem Intro wird Vollgas gegeben. "Letterbomb" ist satirisch aufgezogen und führt JoS letztendlich vor Augen, dass er zu dem geworden ist, was er nie sein wollte.
Mit "Wake Me Up When September Ends" verarbeitet Billie Joe Armstrong, bekannterweise, den Tod seines Vaters, als er selbst 10 Jahre alt war. Hier steht der Frontsänger und seine Geschichte von Schmerz und Entbehrung im Vordergrund. Seine Stimme wird wunderbar von der Akustikgitarre begleitet. Der Bass untermalt sanft, er fällt kaum auf. Im Refrain steigert sich das Ganze noch mal, bis dann in der Bridge der Höhepunkt erreicht wird. Diese ruft eine Art Sehnsucht hervor, die nur die seltensten Lieder erzeugen, und schon deshalb ist "Wake Me Up When September Ends" eines der besten Green-Day-Lieder. Das Trio lässt die ohnehin schon gefühlvolle Ballade ruhig ausklingen, so dass man die träumerische Welt gar nicht verlässt, das hat leider zur Folge, dass man mit "Homecoming" unsanft aus einer Art Trance geholt wird. Aber das macht nichts, da "Homecoming", wie alle Lieder, eine große Eigendynamik entwickelt. Den Anfang bildet 1. "The Death of St.Jimmy". Mit rhythmischen Fußgestampfe wird St. Jimmys Selbstmord verkündet. Danach geht es über in 2. "East 12th Street", gefolgt von 3. "Nobody Likes You". Musikalisch, inhaltlich und von der Formulierung her fasst es noch mal den Anfang von "Letterbomb" zusammen, der Songwriter hat auch gleich Ehre und singt seine eigens von ihm komponierte Passage selbst. Der dritte im Bunde will nicht fehlen und schreibt sich auch sein Stück und stellt sich auch hinters Mikrophon. Bei 3. "Rock And Roll Girlfriend" fällt der Einfluss der Ramones deutlich ins Auge: Simpel gestrickte Texte und ein hohes Maß an Tempo sind hier die Ursache für das Hörvergnügen. Mit "Rock And Roll Girlfriend" bestätigt sich ein anderes Green-Day-Grundrezept: Tré hinter einem Mikro mit Gitarre sorgt immer, ohne Ausnahme für Hochstimmung und Lachsalven. Schlussendlich noch 4. "We're Coming Home Again". JoS kehrt nach Hause zurück. An dieser Passage merkt man, wie frustriert dieser Charakter gewesen sein muss, da man richtig die Erlösung spürt, die er fühlt, als er sich Richtung zu Hause wendet.
Den krönenden Abschluss bildet "Whatsername". Das Album endet inhaltlich damit, dass Jesus of Suburbia, der inzwischen zurückgekehrt ist, nun mit dem letzten offenen Teil abschließt: Whatsername. Passend dazu die Zeilen "I'll never turn back time / Forgetting you, but not the time". Die Melodie ist hier wieder sehr einprägsam, aber im Refrain werden alle Erwartungen an den Song noch übertroffen. Wiederholt schaffen es Green Day ein Lied zu spielen, das im Refrain wie ein Feuerwerk loslegt und eine Sehnsucht hervorzurufen, der ganz oberflächlich durch lautes Mitsingen entgegen gewirkt werden kann. Der beste Albumabschluss den Green Day je auf die Beine gestellt haben. So behält man das ohnehin sehr gute Album in großartiger Erinnerung
Fazit
"American Idiot" gewinnt das (Handgranaten-)Herz seiner Zuhörer auf allen Ebenen, angefangen mit der Musik über Aufstellung der Lieder bis hin zu der Thematik. Es wird einem nie langweilig, nie bleibt das Album hinter den Erwartungen zurück. Abwechslungsreich lenken Green Day das Publikum durch ihre ambitionierte Punk/Rock-Oper, bei der man kein Lied verpassen und weiterschalten will. Hut ab, Jungs, ihr habt euch selbst übertroffen!
Anspieltipps
Whatsername
Wake Me Up When September Ends
Homecoming
Letterbomb
Artistpage
Tracks
1. | American Idiot | |||
2. | Jesus of Suburbia (Jesus of Suburbia, City of the Damned, I Don't Care, Dearly Beloved, Tales of Another Broken Home) | |||
3. | Holiday | |||
4. | Boulevard of Broken Dreams | |||
5. | Are We the Waiting | |||
6. | St. Jimmy | |||
7. | Give Me Novacaine | |||
8. | She's a Rebel | |||
9. | Extraordinary Girl | |||
10. | Letterbomb | |||
11. | Wake Me Up When September Ends | |||
12. | Homecoming (The Death of St. Jimmy, East 12th St., Nobody Likes You, Rock and Roll Girlfriend, We're Coming Home Again) | |||
13. | Whatsername |
Ameli H. - myFanbase
16.02.2010
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (US): 21.04.2004Veröffentlichungsdatum (DE): 27.04.2004
Genre: Rock, Punk, Pop, Alternativ
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