Mines
Wenn eine Band mehr als zwei Jahre an einem Album herumtüftelt und sich einzelne Bandmitglieder zwischendurch sogar anderen Band- oder Solo-Projekten widmen, verheißt das normalerweise nichts Gutes. Doch Menomena sind auch keine normale Band, sondern vielmehr eine Gruppe unheimlich talentierter Multi-Instrumentalisten mit einem offensichtlichen Hang zu unverbesserlichem Perfektionismus. Und ein perfektes Album wie "Mines" will schließlich Weile haben. Und zwar sowohl bei der Produktion als auch beim Verdauen.
Nicht nur im wahren Leben ist Liebe auf den ersten Blick oft trügerisch. Auch die Liebe, die einen beim ersten Hören eines bestimmten Songs oder gar Albums überkommt, ist nicht selten bloß von kurzer Dauer. Denn was zunächst der Ohrwurm schlechthin ist, hängt einem nach wiederholtem Hören schnell mal zum Hals heraus und eine Platte, die man erst tagelang in Dauerschleife gehört hat, landet schließlich im Regal und setzt schon bald Unmengen an Staub an. Genauso wie eben auch ein Mensch, dessen Auftreten, Art und Humor man zu Beginn noch äußerst charmant und anziehend fand, oft an Reiz verliert, sobald man ihn besser kennenlernt und letztlich realisiert, dass es doch nicht der absolute Traumpartner ist.
Dann gibt es natürlich auch andere Fälle, nämlich Fälle von ganz wunderbarer Musik, die jedoch recht unscheinbar daherkommt und einem bloß sehr langsam, dafür aber stetig mehr ans Herz wächst. Das neue Wunderwerk von Menomena ist so ein Album. "Mines" entspricht dem entfernten Bekannten, mit dem man sich allmählich näher anfreundet, der mit der Zeit vom guten Kumpel zum besten Freund avanciert bis es einem schließlich wie Schuppen von den Augen fällt: Es ist die ganz große Liebe. Aber ist das nicht eher die Ausnahme? Vollkommen richtig. Denn auch in der Musik lässt sich eine kurze, heftige Affäre oder flüchtige Liebschaft wesentlich einfacher finden als eine langanhaltende Beziehung.
Bis man eine solche Beziehung zu "Mines" aufbaut, vergehen jedoch so einige Hördurchgänge. Denn der erste Eindruck, den man vom nunmehr vierten Werk der drei Jungs aus Portland gewinnt, ist nicht unbedingt der beste. Ironie, die sich nicht sofort als solche erkenntlich zeigt; Selbstbewusstsein, das man leicht als Arroganz oder Überheblichkeit missverstehen könnte; Extravaganz, die zunächst durchaus effekthascherisch und egozentrisch scheinen mag; Überschwang, der zum Teil regelrecht überfordert und allzu aufdringlich wirkt; Wandlungsfähigkeit, die ebenfalls verwirrt, gar einen nahezu schizophrenen Eindruck hinterlässt und es somit immens schwierig macht, sich gleich ein klares Bild von der Musik zu machen: Das sind alles Eigenschaften, die verhindern, dass es schon bei der ersten Hörbegegnung gewaltig funkt, die aber auch mit dafür verantwortlich sind, weshalb man sich letztlich Hals über Kopf in dieses Album verliebt, nachdem man es erst einmal besser kennengelernt und die eigenen Vorurteile abgelegt hat.
Dann weiß man nämlich nicht nur so wunderbar forsche Zeilen wie "I'm not the most cocksure guy, but I get more bold with every smile" als Zeichen herrlicher Selbstironie zu schätzen, sondern auch die akribische Detailversessenheit, mit der Brent Knopf, Danny Seim und Justin Harris aus zahlreichen Loops und spontanen Jams einen ganz besonderen Sound kreiert haben, der so viel Spannendes in sich birgt, dass man mit jedem Durchgang aufs Neue staunt, was einem beim letzten Hören noch so alles verborgen geblieben ist. Dann lässt man sich auch mitreißen von den elf Songs, die noch kurz zuvor so viele unerwartete Haken geschlagen haben, so oft Tempo, Rhythmus, Instrumentierung oder auch den Sänger gewechselt haben, dass einem beinahe schwindlig davon geworden ist.
Man verliert sich völlig in den mystisch-magisch-märchenhaften Songs aus der Kehle von Brent Knopf ("Killemall", "INTIL") – wie man es schon bei seinem Solo-Debüt "Intuit" tat – und kann einfach nicht genug bekommen von seinen perlenden Piano-Klängen. Man wippt mit, wenn Danny Seim wieder seine wirbelnden Twists und Turns am Schlagzeug vollführt, wenn ein kurzes Flamenco-Gitarrensolo in "Lunchmeat" eine geniale Drums-Explosion lostritt, wenn er im ganz bezaubernden "Dirty Cartoons" immer und immer wieder so sehnsuchtsvoll die Zeile "I'd like to go home" singt, bis seine beiden Kollegen schließlich mit einstimmen, alles bis auf Klavier, Tamburin und dezente, düster-atmosphärische Synthies verstummt und die Welt plötzlich stillzustehen scheint. Und man lauscht jedes Mal völlig gebannt, wenn Justin Harris sein tief kratzig-brummendes Baritonsaxophon herausholt und gegen laut aufheulende Gitarren antreten lässt, so wie in "BOTE" oder auch dem brillanten, positiv an TV on the Radio erinnernden "TAOS", bei dem man auf Harris' gellendes "Oh, I'll bet I know what you like" hin irgendwann bloß noch lauthals "Hell, yes!" erwidern will.
Fazit
Ob chaotisch-melancholisch wie das herrliche Xylophon-Intro in "Tithe", schwelgerisch-aufbäumend wie "Oh Pretty Boy, You're Such a Big Boy" oder dröhnend-hymnisch wie "Sleeping Beauty" – wenn man "Mines" etwas Zeit zum Wachsen eingesteht, entdeckt man darauf eine Perle nach der anderen und kommt einfach nicht mehr davon los. Und zwar selbst wenn mittlerweile längst das nagelneue Arcade Fire-Album im Regal steht.
Anspieltipps
Queen Black Acid
TAOS
Dirty Cartoons
Tithe
Five Little Rooms
Artistpage
Tracks
1. | Queen Black Acid | |||
2. | TAOS | |||
3. | Killemall | |||
4. | Dirty Cartoons | |||
5. | Tithe | |||
6. | BOTE | |||
7. | Lunchmeat | |||
8. | Oh Pretty Boy, You're Such a Big Boy | |||
9. | Five Little Rooms | |||
10. | Sleeping Beauty | |||
11. | INTIL |
Paulina Banaszek - myFanbase
19.08.2010
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (US): 27.07.2010Veröffentlichungsdatum (DE): 23.07.2010
Genre: Pop, Independent, Experimental, Avantgarde, Alternativ, Rock
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