Bewertung
Scissor Sisters

Night Work

Über zehn Jahre ist es her, da trafen sich Jason und Scott. Sie verstanden sich, zogen nach New York, fanden in Ana, Derek und Patrick Gleichgesinnte und traten mit wenig Erfolg zusammen als die Scissor Sisters auf. Vier Jahre später schufen sie dann aber das in jenem Jahr meistverkaufte Album des Vereinigten Königreichs. Weitere zwei Jahre dauerte es, bis Deutschland sie kennen- und lieben lernte: "I Don't Feel Like Dancin'" wurde zum Nummer-1-Hit und holte Gold. Dann wurde es ruhig um sie. Neue Songs wurden ab und an live vorgestellt – aber die Band war nicht zufrieden mit ihnen. Lieder wurden geschrieben und aufgenommen – doch die Band glaubte nicht wirklich an sie. Also landeten eineinhalb Jahre Arbeit im Müll. Letztes Jahr ging’s dann wieder ins Studio...

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...und herausgekommen ist "Night Work". Dessen zwölf Titel werden nach solch einem Hin und Her natürlich noch kritischer beäugt, als sie es sowieso nach einem Welthit und vier Jahren Veröffentlichungspause geworden wären. Das scheinen die fünf Amerikaner zu wissen und präsentieren jenen Beäugern selbstbewusst den Hintern (und mir das womöglich beste CD-Cover des Jahres).

Keine Frage, sie sind überzeugt von dem neuen Material. Sie wollten ihre Zuhörer zu einem Album-langen Tanz animieren. Das haben sie geschafft. Stillsitzen will man zu den Tracks gar nicht. Wer könnte das schon, wenn die Bee Gees ("The Ultimate Bee Gees ") gemeinsam mit ABBA die Musik von Kylie Minogue und Robyn spielen? Das ist aber nicht die eigentliche Frage. Die ist vielmehr: Werden die Zuhörer verstehen, dass einige geliebte Zutaten für diesen Sound gestrichen bzw. verringert werden mussten?

Das Quintett war ja schon immer schwer stilistisch einzuordnen. Das selbstbetitelte Debüt und der Zweitling "Ta-Dah" bedienten sich in Genres wie Disco, Dance, Glam Rock, Funk, Alternative und bei theatralischen Balladen und klangen dabei immer schwer nach den 70ern. "Night Work" könnte – wie so viele Alben heutzutage – vielmehr im folgenden Jahrzehnt entstanden sein. Die Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Blumenkinder ist ein Stück der Härte und Düsternis der 80er gewichen (und damit wohl Mika und "The Boy Who Knew Too Much" überlassen worden). Disco Music ist das selbstverständlich immer noch (und das werden die Schwestern bestimmt auch immer sein), manchmal sogar richtig Hi-NRG-mäßig, und ab und an funkt und rockt es auch noch. Doch es herrscht ein überaus elektronischer Sound vor – und interessanterweise ist das genau die Ecke, in der die Band begann, nämlich u.a. im Elektroclash. Wer aber nicht Fan jener Anfangsjahre ist, wird nun vermutlich etwas vermissen. Jeder für sich wird herausfinden müssen, ob er sich auf die neue Musik einlassen kann oder nicht. Und letztlich wird da wie immer entscheiden, ob sie wirklich gut ist.

Und das ist sie oft: Zum Beispiel im pulsierenden Titeltrack, der nicht nur das Album, sondern sicherlich so manche Party eröffnen wird. Oder im darauf folgenden Ohrwurm "Whole New Way". Oder in der ersten Single "Fire With Fire". Oder wenn in "Any Which Way" die Gitarren - mit den Basssaiten um die Wette gezupft werden, während Mr. Falset sich stimmlich austoben darf. Ein Song später eifert er dann mit singenden E-Gitarren um die Wette – und dennoch bleibt der Song fad, genauso wie das mit Santigold geschriebene "Running Out" und das Mrs. Minogue samplende "Something Like This" danach. Mit "Skin This Cat" geht’s dann wieder leicht aufwärts, auch wenn es dank alleiniger Lead Vocals von Ana total nach Kylie und insbesondere nach ihrem sieben Jahre alten Hit "Slow" klingt. "Skin Tight" geht rein ins Gehör und wieder raus – das einzig Gute an dem Song ist der nahtlose Übergang zum Synthie-Geballer "Sex and Violence", der die Frage aufwirft, warum nicht mehr Titel auf diese Weise verbunden wurden. "Night Life" schlägt textlich eine Brücke zum Opener, ähnlich wie "Everybody Wants the Same Thing" das damals auf "Ta-Dah" in musikalischer Art und Weise tat, und erhält nicht nur dadurch seine Daseinsberechtigung.

Die eigentlich Scissor-Sisters-typischen epischen Balladen ersetzen 6:14 Minuten "Invisible Light". Dessen trommelnder Rave-Beat und die gesanglichen Schleifen hypnotisieren regelrecht. Würde "Queer as Folk" noch produziert, wäre es ein Muss für eine Szene. Ana bezeichnet den Song nicht zu unrecht als "magisch". Falls er nicht ausgekoppelt wird, ist er das Kaufargument für die Scheibe.

Fazit

Nach einem Singlehit, auf den sie für immer festgenagelt werden könnten, und zwei Alben, die sich stilistisch sehr ähnelten, wollten die Scissor Sisters sich weiterentwickeln. Durch eine kleine Stilbeschneidung bzw. -fokussierung könnten sie nun Gefahr laufen, Fans zu verlieren. Vielleicht erkennen die aber, dass Jake, Babydaddy, Ana Matronic, Del und Neuzugang Randy – so übrigens ihre Künstlernamen – sich selbst nicht verloren haben. Sie sind homogener und fassbarer geworden. Die Energie, die Nostalgie und der Wille, Neues zu erfinden, sind geblieben und somit die Markenzeichen. Welche Zutaten sie jenen Stärken auf ihrem nächsten Werk hinzufügen, werden wir sehen. Bis dahin freuen wir uns am Backkatalog und einer zu zwei Dritteln wirklich Spaß machenden Tanzscheibe.

Anspieltipps

Night Work

Whole New Way

Fire With Fire

Invisible Light

Artistpage

ScissorSisters.de

Tracks

1.Night Work
2.Whole New Way
3.Fire With Fire
4.Any Which Way
5.Harder You Get
6.Running Out
7.Something Like This
8.Skin This Cat
9.Skin Tight
10.Sex and Violence
11.Night Life
12.Invisible Light

Micha S. - myFanbase
27.09.2010

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