Ocean
"Ich habe die meisten Zeiten meines Lebens damit verbracht, meine Identität aus den Gaben des Lebens zu beziehen anstatt aus dem Geber jener Geschenke." Ein Satz, der gut aufzeigt, was charakteristisch für Sänger und Gitarrist Bebo Norman ist: Nachdenken und glauben. Seit fünfzehn Jahren tut er das auf mittlerweile acht Alben (Best-Of und Weihnachtsplatte nicht mitgerechnet). Anfangs in einem recht melancholischen, akustischen Folkpop-Sound, der dann mit jedem Album etwas poppiger wurde und im Schnitt optimistischer klang. So lässt sich vermutlich mehr verkaufen und Radio-Airplay bekommen, der künstlerische Anspruch geht dabei allerdings etwas flöten.
Das scheint Bebo, der übrigens nicht mit jenem Namen auf die Welt kam, sondern eigentlich Jeffrey Stephen heißt, zumindest ein wenig klar geworden zu sein. Denn ein Stück – im Grunde die Hälfte – seines neuen Albums überzeugt anders als sein komplettes letztes Werk auf der Stelle. Zwei Songs tun dies aufgrund ihres Ohrwurmcharakters: "Everything I Hoped You'd Be" ist nicht zuletzt durch seine pulsierenden Drums unheimlich catchy und "God of My Everything" überzeugt als mitreißende Ballade mit ein wenig Klavier und ganz ohne Kitsch.
Warum "Could You Ever Look at Me" und "The Middle" herausstechen, ist leicht begründet: Weil sie wie der frühe Bebo Norman klingen. Melancholisch eben, spärlich instrumentiert, mit Fokus auf die Akustikgitarre und den intensiven Gesang des US-Amerikaners. So können die Texte – und zwar die besten der Platte – richtig wirken. Im erstgenannten Song fragt er traurig seine Ehefrau: "Could you ever look at me the way you're looking at the ocean?", um dann zu erkennen, dass seine Eifersucht und Angst unbegründet sind, "cause in the sunrise I have seen I was never been meant to be the light of your world." Er versteht, dass sie ihr Leben auf etwas Größerem gründet als auf ihm, und das beruhigt ihn.
Bebos Lieblingstitel "The Middle" hat ein weniger beruhigendes Ende, dafür aber ein ebenso ehrliches. Offen thematisiert der zweifache Familienvater darin das Ringen mit aus neuer Unabhängigkeit entstandener Einsamkeit und Leere: "I'm not looking for freedom, maybe just a little meaning here in the middle. It's as if there's a world uncovered by the break of day all these miles away, but for a better view of what's left in the aftermath of all these years. It's just so hard to know who I am in you." Identität ist überhaupt ein Thema, das sich erkennbar durch alle Titel zieht.
Anhand dieser zwei Lieder lassen sich weitere Stärken und Schwächen von "Ocean" aufzeigen: Die Schwäche scheint tatsächlich Bebos Co-Songwriting zu sein. Nur die zwei zuletzt beschriebenen Titel hat er alleine geschrieben. Früher war das ganz anders. Vielleicht sollte der 37-Jährige den Mut haben und mal (wieder) ein Album ohne seinen (mittlerweile zum vierten Male eingesetzten) Co-Schreiber und Produzenten Jason Ingram machen. Dann kommt – die Hoffnung habe ich aufgrund seiner ersten Werke nach wie vor – sicherlich ein Sammelsurium an Songs heraus, das weitaus mehr als das Adjektiv "nett" verdient hat.
Neben seiner sanften und zugleich rauchigen Stimme sind Bebos tiefgehende und intelligente Lyrics nach wie vor die Stärke. Man kann sich fast vorstellen, wie dieser Mann nicht anders kann, als über sein Leben nachzudenken und seine Überzeugungen zu sortieren – eventuell bei einer Tasse Kaffee und mit Blick aus dem Fenster, so wie auf dem Cover. Manchmal klingt das Ergebnis dann tatsächlich wie ein Gebet ("God of My Everything" und "Remember Us"), mal wie ein Liebeslied, das unklar lässt, ob es an seine Frau oder Gott gerichtet ist ("Everything I hoped You'd Be", "Ocean" und "Sing Over Me"). "We Fall Apart" schafft wiederum meisterlich den Spagat zwischen Zugänglichkeit und Kunst, zwischen transportierter Hoffnungslosigkeit und Zuversicht. Letztere greift auch "Here Goes" auf, wenn es in dessen Liedtext um Vertrauen und Angst heißt: "Gotta reach for something or you'll fall for anything."
Selbstkritisch betrachtet Norman in "I Hope You See Jesus" die so genannte Christenheit: "Instead of voices in a faceless crowd, instead of prophets crying out from behind, instead of fingers pointing out of blame, I hope you see Jesus." Nicht zuletzt sein Engagement für das Nothilfewerk Compassion und die Jugendarbeit Young Life lassen solche Zeilen durchaus authentisch wirken.
Fazit
Beeindruckend aufrichtige Texte, eine signifikante Stimme, so manche ausgereifte Melodie und eine deutliche Verbesserung zum Vorgänger hinterlassen letztlich einen positiven Eindruck. Nicht unerwähnt bleiben kann aber, dass so mancher Song doch zu schlicht, langweilig oder berechenbar daherkommt und somit leider vergessen lässt, welch Qualitäten dieser Singer/Songwriter tatsächlich hat.
Anspieltipps
Everything I Hoped You'd Be
God of My Everything
Could You Ever Look at Me
The Middle
Artistpage
Tracks
1. | Everything I Hoped You'd Be | |||
2. | Here Goes | |||
3. | God of My Everything | |||
4. | Could You Ever Look at Me | |||
5. | We Fall Apart | |||
6. | Ocean | |||
7. | Sing Over Me | |||
8. | The Middle | |||
9. | I Hope You See Jesus | |||
10. | Remember Us | |||
11. | God of My Everything (Radio Version) |
Micha S. - myFanbase
18.11.2010
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (US): 28.09.2010Veröffentlichungsdatum (DE): 28.09.2010
Genre: Pop
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