Bewertung
Wye Oak

Civilian

Es ist vollbracht, der Knoten ist geplatzt. Wye Oak gelingt im dritten Anlauf endlich der ganz große Wurf auf Albumlänge. Wussten Jenn Wasner und Andy Stack bislang hauptsächlich mit einzelnen Highlight-Songs restlos zu begeistern, so legen sie nun in Form von "Civilian" eine in sich stimmige, lückenlose Ansammlung musikalischer Perlen vor. Mehr denn je gilt dabei: Hinter der harten Shoegaze-Schale verbirgt sich ein weicher Folk-Kern.

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Auf den ersten Blick mag es so wirken, als zähle Wye Oak zu jener Gruppe von gemischten Musikerduos, bei denen nicht zwangsläufig der männliche Part die Hosen anhat. Schließlich ist es Jenn Wasner, die alle Songtexte zu "Civilian" beigesteuert hat, diese gesanglich zum Besten gibt und darüber hinaus als Gitarristin die Hauptrolle in Sachen Instrumentierung einnimmt. Wer die Band allerdings schon einmal auf der Bühne erlebt hat, wird wissen, dass Multiinstrumentalist Andy Stack im Hintergrund wahre Kunststücke verbringt. Stand er zu Zeiten des Debütalbums "If Children" noch als gleichberechtigter Gesangspartner an Jenns Seite vor dem Mikrofon, widmet er sich mittlerweile voll und ganz dem breiten Spektrum der Schlagzeug-, Keyboard-, Orgel- und Synthie-Klänge. Schon auf dem Nachfolger "The Knot" trug diese Fokussierung der beiden Bandmitglieder auf ihre jeweiligen Stärken erste Früchte: Zeitlose Hymnen wie "Take It In", "Mary Is Mary" und "That I Do" kündigten an, dass der qualitative Durchbruch zum Greifen nah ist. Letzte Restzweifel daran lösten sich spätestens in dem Moment in Luft auf, als einige Wochen vor dem offiziellen Release von "Civilian" das gleichnamige Titellied das Licht der Musikwelt erblickte.

"Civilian" wurde vermutlich deshalb die Ehre des Albumvorboten und Namensgebers zuteil, weil es wie kein anderer Song die musikalischen Vorzüge von Wye Oak auf den Punkt bringt. Neben dem melancholisch-verheißungsvollen Gesang ist es vor allem das charakteristische Wechselspiel zwischen laut und leise, das ob seiner Intensität zum Ende hin einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Aber auch thematisch gibt das zentrale Stück mit zutiefst persönlichen Bekenntnissen wie "I am nothing without pretend / I know my faults, but I can't hide them" oder "Perfectly able to hold my own hand, but I still can't kiss my own neck" den schwermütigen Grundton des Albums vor. Es ist gewiss keine leichte Kost, die einem das Duo aus Baltimore hier vorsetzt, und schon gar nicht die Art von Musik, deren Charme sich einem beim halbaufmerksamen Nebenbeikonsum erschließt. Aber gut Ding braucht bekanntlich Weile.

Was Wye Oaks drittes Album besonders auszeichnet und letztlich auch von den beiden Vorgängern abhebt, ist die Tatsache, dass es trotz des durchgängig eigenständigen, regelrecht eigenwilligen Stils in Summe erstaunlich abwechslungsreich klingt. So weckt das herrlich versonnene "The Alter" entfernte Erinnerungen an das ebenfalls aus Baltimore stammende Zweigespann Beach House, während man gleich darauf vom sperrigen Intro zu "Holy Holy" unsanft aus etwaigen Tagträumereien gerissen wird. Das bewusste Spiel mit Kontrasten nimmt beim herausragenden "Dogs Eyes" gar derartig radikale Formen an, dass man nach der ersten Dreiviertelminute glatt meinen könnte, versehentlich die Shuffle-Taste gedrückt zu haben und bei "The Calcination of Scout Niblett" gelandet zu sein. Es sind jedoch nicht nur diese aufrüttelnden Momente, die unweigerlich die Aufmerksam des Hörers erregen. Als nicht minder fesselnd erweist sich etwa das leise Klavierspiel bei "Plains", das im Hintergrund irrlichtert und vergeblich gegen die stringente Gitarrenlinie ankämpft. Dank zahlreicher solch großer und kleiner Gesten bleibt nach knapp über einer halben Stunde Laufzeit die wohlige Gewissheit, in "Civilian" einen langfristigen musikalischen Begleiter gefunden zu haben.

Fazit

Wer Wye Oak noch nicht ins Herz geschlossen hat, sollte ihr wunderbares drittes Album zum Anlass nehmen, dies zu ändern. Der Sprung ins kalte Wasser - um in letzter Sekunde noch die Kurve zum gelungenen Cover zu kratzen - lohnt sich.

Anspieltipps

Dogs Eyes

Civilian

Plains

Hot As Day

Artistpage

WyeOakMusic.com

MySpace-Profil

Tracks

1.Two Small Deaths
2.The Alter
3.Holy Holy
4.Dogs Eyes
5.Civilian
6.Fish
7.Plains
8.Hot As Day
9.We Were Wealth
10.Doubt

Willi S. - myFanbase
07.03.2011

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