Bewertung
Okkervil River

I Am Very Far

Mit Okkervil-River-Alben ist es seltsam: Kaum singt Will Sheff mit leidender Stimme von obskuren Menschenschicksalen, vom Sterben und all der Tragik, die uns umgibt, dann fühlt es sich an wie ein Nach-Hause-Kommen. In dieser Hinsicht ist auf dem ersten Album der Band seit der fabelhaften Zusammenarbeit mit Roky Erickson ("True Love Cast Out All Evil", 2010) alles in Butter – auch wenn Sheff es dieses Mal bei seinen Texten etwas weniger eindeutig und bei den Instrumenten möglichst üppig haben wollte. Das Ergebnis: Es fliegen die Aktenschränke, während sich zeitweise zwölf Musiker gleichzeitig im Studio tummeln.

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"The Valley", der grandios ausgewählte Opener, bringt alles herrlich auf den Punkt, was "I Am Very Far" ausmacht: Es ist ein drängendes, in seiner Dramatik fast aggressives Ding von einem Song, mit einem atmosphärischen, dichten Instrumentengewebe und mindestens einer Person, die am Rasen verblutet. Ein toller Einstieg!

Das Über-Drüber an Instrumenten bleibt das ganze Album über erhalten – die hymnischen Folkrocksongs wechseln sich vom Tempo her zwar fast streng zwischen schnell und langsam ab, grundsätzlich ist aber alles in Hülle und Fülle vertreten: Zwei Schlagzeuge, zwei Pianos, sieben Gitarristen, einen Haufen Streicher und was sich sonst noch dazwischenquetschen ließ haben Okkervil River in ihre Songs gepackt. Mit so viel "Material" ließ sich auch gehörig was anfangen: "White Shadow Waltz" scheint sich in einem nicht enden wollenden Aufbau zu befinden und beeindruckt mit vielen opulenten Soundschichten. Auch das rasch vertraut klingende "We Need a Myth" überzeugt mit einer sich ständig ändernden Stimmung und vielen kleinen Feinheiten.

Letztlich ist es aber doch wie immer Will Sheff, der Poet, der Ankläger, der Leidende, der mit seinem unglaublich berührenden und vielseitigen Gesang den Großteil der Atmosphäre bestimmt, Unmengen an Mitmusikern hin oder her. Im ungewöhnlicherweise mit einem poppigen Beat unterlegten "Piratess" singt er zu Beginn fast lasziv und herrlich gedehnt, "Your Past Life as a Blast" startet er scheinbar cool, während in "Rider" seine Stimme wieder überquillt vor Emotionen – und immer scheint er es zu sein, der die Instrumente vorantreibt, das Tempo und die oben erwähnten Schattierungen und Schichten vorgibt. Die Musik folgt ihm bereitwillig in die schmerzhaften Sphären seiner Songs und reagiert auf den kleinsten Stimmungswechsel in seinem Gesang.

Er hat auch dieses beneidenswerte Talent, dem Hörer wirklich, wirklich nahezugehen und bis in sein Innerstes vorzudringen – beim mitreißenden "Wake and Be Fine" beispielsweise: Wenn er über diesen rasanten Walzertönen und nach einem Haufen kryptischen Halbsätzen "We still got time / To Wake and Be Fine" singt, dann zerreißt es einem fast das Herz und man fühlt sich selbst in einem Strudel verzweifelter Gefühle gefangen.

Fazit

Das viel und von den Medien gern erwähnte Geräusch eines durch den Raum geworfenen Aktenschranks konnte ich zwischen Mord und Totschlag und einem wahren Instrumentendschungel leider nicht vernehmen – das braucht es aber auch gar nicht um festzustellen, dass Okkervil River mit "I Am Very Far" mal wieder atemlosen, stetig wachsenden Folkrock auf hohem Niveau vorgelegt haben.

Anspieltipps

The Valley

Rider

We Need a Myth

Wake and Be Fine

Artistpage

OkkervilRiver.com

Tracks

1.The Valley
2.Piratess
3.Rider
4.Lay of the Last Survivor
5.White Shadow Waltz
6.We Need a Myth
7.Hanging from a Hit
8.Show Yourself
9.Your Past Life as a Blast
10.Wake and Be Fine
11.The Rise

Stephanie Stummer - myFanbase
28.05.2011

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