The Wall
"The Wall" ist das elfte Studioalbum der britischen Rockband Pink Floyd. Das Doppelalbum wurde im Jahr 1979 veröffentlicht und folgt einem festen Konzept. Ende der 1970er-Jahre hatte sich für Pink Floyd vieles verändert – ihre sechs Jahre zuvor veröffentlichte Platte "The Dark Side of the Moon" ließ die Bandmitglieder über Nacht zu Megastars der Rockwelt avancieren. Entsprechend veränderte sich auch die Zuhörerschaft – viele Konzertbesucher hatten keine Lust, sich mit neuem Material auseinanderzusetzen, sondern wollten schlicht Party feiern und zu den großen Pink-Floyd-Hits tanzen. Roger Waters, seit Syd Barretts Ausstieg führender Kopf der Band, spie daraufhin in einem Akt der Frustration einem Fan ins Gesicht. Erschreckt von seiner eigenen Reaktion, begann er über das Leben als Rockstar zu reflektieren. Aus dieser Vorgeschichte heraus entstand "The Wall", welches stark von Roger Waters' und Syd Barretts Lebensgeschichte geprägt ist - vermutlich das emotional dunkelste Pink-Floyd-Album aller Zeiten.
Im Mittelpunkt steht ein Rockstar namens Pink, der auf seine Lebensgeschichte zurückblickt. Die Belastungen des Lebens haben dafür gesorgt, dass er eine imaginäre Mauer um sich aufgebaut hat. Dazu gehören der Tod seines Vaters im Zweiten Weltkrieg ("Another Brick in the Wall Part 1"), das Verhalten seiner übertrieben fürsorglichen Mutter ("Mother"), ausfallende Lehrer ("The Happiest Day Our Lives"; "Another Brick in the Wall Part 2"), seine kriselnde Ehe ("Empty Spaces") und das Rockstarleben ("One of My Turns"). Pink stumpft immer mehr ab und sucht sein Heil in Drogen. Das geht so weit, dass er sich sogar in Halluzinationen flüchtet, in denen er als faschistischer Diktator agiert ("In the Flesh"; "Run Like Hell"). Schließlich veranstaltet er ein inneres Tribunal, in dem die Menschen, die ihn einst zum Mauerbau bewogen hatten, Zeugnis geben. An dessen Ende beauftragt er sich selbst, die Mauer niederzureißen ("The Trial").
"The Wall" ist mithin nicht einfach nur ein Album, sondern eine Geschichte, fast schon ein Film. Das Album ist eine psychologische Studie unseres westlichen Denk- und Gesellschaftssystems, die viele Zuhörer schon allein deswegen textlich anspricht und sie zum Nachdenken anregt. Wer jetzt denkt, dass es sich um eine simpel gestrickte, sentimentale Selbstmitleids-Story handelt, irrt sich und unterschätzt die musikalischen und textlichen Fähigkeiten der Band. Die Themen werden nicht Schritt für Schritt abgehandelt und auch nicht aus der gleichen Perspektive, in der gleichen Intensität oder im gleichen Stil erzählt. Stattdessen gibt es viele Sprünge und Perspektivenwechsel. Das Kriegsthema findet z.B. zunächst in "In the Flesh?" als Sturzkampfflugzeug-Soundeffekt statt, das den Tod von Pinks Vater im Krieg symbolisieren soll. "Another Brick in the Wall Part 1" thematisiert den Krieg, indem die Nachwehen des Kriegstodes von Pinks Vater angesprochen werden ("Daddy what d'ya leave behind for me/All in all it was just a brick in the wall"). "Goodbye Blue Sky" wendet sich der allgemeinen Kriegsangst zu ("Did you hear the falling bombs?"), während "Vera" das hoffnungsfrohe Kriegslied "We'll Meet Again" der britischen Sängerin Vera Lynn und seine falschen Versprechungen anklagt ("Vera! Vera!/What has become of you?").
Dazwischen gibt es auch immer wieder Lieder, die keinen konkreten Beitrag zum Thema haben, sondern sich einfach Zeit nehmen, um zu reflektieren – so etwa "The Thin Ice", das die Naivität der Jugend darstellt oder "Hey You", das sich der Frage nach der Sinnhaftigkeit der Wand widmet. Auch Zweideutigkeiten tragen dazu bei, dass die Geschichte von "The Wall" deutlich komplexer aufgebaut ist als eine simple Leiderzählung. So kann man "Empty Space" als Anspielung auf die Entfremdung innerhalb von Pinks verstehen, man kann das Lied aber auch als allgemeine Auseinandersetzung mit innerer Leere interpretieren.
"The Wall" enthält eine unheimliche Diversität an Geräuschen, Soundeffekten, Samples und Spielereien, die dazu beitragen, dass man auch nach unzähligen Hördurchgängen immer wieder etwas Neues an den Songs entdeckt. Der aufmerksame Zuhörer, der die Tonlautstärke aufdreht, wird feststellen, dass man in den ersten Sekunden des Albumopeners "In the Flesh?" den Satzfetzen "...we came in?" hört – den zugehörigen Satzbeginn "Isn't this where..." findet man am Ende des Albumschlusssongs "Outside the Wall". Wandaufbau und Wandniederriss, "In the Flesh?" und "Outside the Wall" - es handelt sich um einen Kreislauf, beides gehört zusammen.
Zudem ist das Album voller Soundeffekte. Dazu gehören bspw. das Babygeschrei in "In the Flesh?" oder Vogelgezwitscher in "Goodbye Blue Sky". "Is There Anybody Out There?" ist im Hintergrund mit echten Ausschnitten von TV-Shows unterlegt, während "Empty Spaces" eine versteckte Nachricht enthält, die erst dann Sinn ergibt, wenn sie von hinten abgespielt wird.
Trotz all seiner Stärken ist "The Wall" nicht frei von Schattenseiten. Gerade losgelöst vom Gesamtzusammenhang offenbaren einige Lieder Schwachpunkte. "Bring Back the Boys" und "The Trial" etwa wirken auf karikaturistische Weise extrem theatralisch und operettenhaft.
Dennoch liegen die meisten Tracks auf der guten Seite des Bewertungsmaßstabs. "Comfortably Numb" ist einer der besten Songs in Pink Floyds Diskografie, der mit einem packenden Songwriting, einer wunderschönen Melodieführung und am Ende dem besten Gitarrensolo aller Zeiten aufwartet, in dem sich Gitarrist David Gilmour selbst übertrifft. Der markante Kinderchor, die eingängigen Lyrics und der Beat haben "Another Brick in the Wall Part 2" zu recht zu einem Rock-Klassiker avancieren lassen. Die sanften Akustik-Gitarrenelemente und berührenden Vocals sorgen dafür, dass "Mother" einen unmittelbar nach dem ersten Hören packt. "Hey You" ist vom Text über die Instrumentalisierung bis hin zum Gesang ein absolutes Meisterstück.
Fazit
"The Wall" ist mein mit Abstand liebstes Pink-Floyd-Album. Es braucht diverse Anläufe, um es in seiner Brillanz und Vielschichtigkeit annähernd zu erfassen, aber genau das macht seine Qualität als Konzeptalbum aus. Es ist inspirierend und regt zum Reflektieren an – zwei Punkte, an die Musik heutzutage meistens nicht mehr herankommt. Trotz einiger Schwachstellen besticht das Album durch sein durchdachtes Konzept, seine Liebe zum Detail, seine Kreativität und seine Mehrdimensionalität. Wer Rockmusik mag, sollte diesem Album dringend eine Chance geben – für echte Pink-Floyd-Fans ist es sowieso ein Muss. Da viele Soundeffekte in den Tracks stecken, lohnt sich eventuell auch für Besitzer einer älteren "The Wall"-Version der Kauf der neuen Remastering-Ausgabe mit verbessertem Sound.
Anspieltipps
In The Flesh?
Another Brick in the Wall Part 2
Mother
Comfortably Numb
Artistpage
Tracks
CD 1 | 1. | In the Flesh? | ||
2. | The Thin Ice | |||
3. | Another Brick in the Wall Part 1 | |||
4. | The Happiest Days of Our Lives | |||
5. | Another Brick in the Wall Part 2 | |||
6. | Mother | |||
7. | Goodbye Blue Sky | |||
8. | Empty Spaces | |||
9. | Young Lust | |||
10. | One of My Turns | |||
11. | Don't Leave Me Now | |||
12. | Another Brick in the Wall Part 3 | |||
13. | Goodbye Cruel World | |||
CD 2 | 1. | Hey You | ||
2. | Is There Anybody Out There? | |||
3. | Nobody Home | |||
4. | Vera | |||
5. | Bring the Boys Back Home | |||
6. | Comfortably Numb | |||
7. | The Show Must Go On | |||
8. | In the Flesh | |||
9. | Run Like Hell | |||
10. | Waiting for the Worms | |||
11. | Stop | |||
12. | The Trial | |||
13. | Outside the Wall |
Eva T. - myFanbase
16.12.2011
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 23.09.2011Jetzt bestellen
Album jetzt bei Amazon.de
bestellen
Aktuelle Kommentare
23.11.2024 17:22 von Chili_vanilli
Cruel Intentions: Cruel Intentions
Ich bin auf deine Meinung gespannt. Ob ich weiterschauen... mehr
20.11.2024 15:18 von Catherine
Liebeskolumnen: Rory & Dean, Teil 3
Ich glaube, es wurde während des "Gilmore... mehr