Bewertung
Mika

The Origin of Love

Wenn jemand ein erfolgreiches Debüt hingelegt hat, dann ähnelt der Zweitling oft dem Ersten. Dann wird auf Bewährtes gesetzt in der Hoffnung, dass der Hörer sich genau darüber freut und der geliebte Erfolg erhalten bleibt. Manchmal entscheidet sich der Künstler selbst dazu, manchmal wird er von der profitsüchtigen Plattenfirma dazu angehalten. Wie es bei Mika war, weiß man nicht – fest steht aber, dass "The Boy Who Knew Too Much" eine Art "Life In Cartoon Motion: Reloaded" war. Damit war es nicht schlecht, aber im direkten Vergleich konnte es nur verlieren. Denn es braucht nun mal erkennbare Weiterentwicklung.

Foto: Mika - "The Origin of Love" - Copyright: Universal Music
Mika - "The Origin of Love"
© Universal Music

Und die gibt es mit "The Origin of Life" deutlich. Während die Cover der ersten zwei Alben aus sechs Meter Entfernung nicht mehr auseinander gehalten werden können, ist das neue anders: Erstmals ist Mika darauf zu sehen, sogar in schwarz/weiß. Die einzige Farbe bringt die goldene Spritzerkrone, in der Mikas Name sich versteckt und somit nicht mehr als Eyecatcher eingesetzt wird. Im Booklet selbst werden die farblosen Portraits mit bunten Zeichnungen kombiniert, die aus einem Kinderbuch stammen könnten. Auch früher steuerte Mikas Schwester jene bereits bei und sorgt nun so für eine symbolisch für die gesamte Platte stehende Verknüpfung von Bekanntem und Neuem.

Bekannt ist Mikas flexible Falsettstimme ebenso wie sein begeisterter Klaviereinsatz, charmant treffende Texte und ein treffsicherer Sinn für Melodien. Neu ist, dass er sich für diese in elektronischen Gefilden bedient oder aufhält. Zurecht skeptisch lauscht man den ersten Tönen des titelgebenden Opener: Mit sich selbst im leicht verzerrten Chor, die Instrumente dezent im Hintergrund wirkt der Track jazzig-sphärisch. Der Beat lässt sofort mitwippen, die Melodie geht ins Ohr – gut gemacht, Mika. Nach einer Bridge auf Latein kommt ein an "Happy Ending" oder "I See You" erinnerndes Singalong-Ende. Doch obwohl die mehreren Chorläufe dafür vorhanden sind, legt Mika sie nicht übereinander. Der Brite aus dem Libanon wiederholt also nicht die Arrangements der genannten Songs bis zum Exzess, kopiert sich ganz bewusst nicht selbst – er scheint aus "The Boy..." gelernt zu haben. Der Titelsong ist zwar gewohnt pompös, aber in ungewohnter Zaghaftigkeit.

Zarte Stücke sind auch "Underwater" und "Kids". Während "Heroes" nur wegen seiner akustischen Strophen hängenbleibt, beeindruckt die stimmungs- und kraftvolle Klavierballade "Underwater". Dass sie mit den gleichen Tönen wie Adeles "Set Fire to the Rain" (aus "21") beginnt, sei ihr verziehen. Sollte Mika dies augenzwinkernd bewusst so geschrieben haben, sei ihm auf die Schulter geklopft.

Anerkennung gebührt ihm auch für den manchmal sehr wahren Text von "Love You When I'm Drunk", des temperamentvollsten Titels der Scheibe mit Brit-Pop-Anleihen, und das vielseitige "Step With Me". Mit an Jason Mraz erinnerndem Karibik-Feeling, weiblicher Stimmenunterstützung, ausnahmsweise tief gesungenem Refrain und einem unheimlich süßen Text weiß die Nummer ohne überladen zu wirken wunderbar zu unterhalten. "Lola" ist auch so ein lockeres Liedchen mit leichten Handklatschern, das den Eindruck eines Growers macht.

Wachsen musste auch "Emily", das bereits im Juli 2011 als "Elle me dit" auf Französisch veröffentlicht wurde. Nun beginnt es elektronischer, lässt dann allerdings eher Hip-Hop-Fundamente durchscheinen. Spannend und wert zum bewussten Hinhören ist der Text, der womöglich Mika selbst gelten könnte: "Emily, can't you write a happy song. get your eyes to number one? You could try a little harder. Emily, you could be a millionaire, but you're so full of hot hair, gonna end up like your father. Emily, you can't leave your life to chance, get a boy and learn to dance, be a girl like any other. Emily, are you stuck up or are you gay. If you are, then that's ok, cause it doesn't even matter." Leider zu Unrecht wurde ein weiterer Track verändert: In der Single-Version ist "Popular Song" ein in Instrumentierung und Tempo neuarrangierter Langweiler mit Ariana Grande aus der Nickelodeon-Serie "Victorious" als Gastsängerin. Die Album-Variante macht aus dem Stück, das im Musical "Wicked" von Kristin Chenoweth gesungen wird, durch einen stampfenden Beat, ein klimperndes Piano und nicht zuletzt die Mitwirkung von Sängerin/Rapperin Priscilla Renea einen lässig-coolen Ohrwurm. Schade eigentlich, dass Mika ausgerechnet mit der weich gespülten Version die erste (wenn auch wieder mal nur kleine) Aufmerksamkeit seit "Grace Kelly" in den USA zuteil wurde.

Den erhofften Effekt hatte auch nicht die erste Singleauskopplung "Celebrate", die stellvertretend für die vier Tracks steht, die ganz klar in die elektronische Ecke gehören. Ihr fehlt ebenso wie "Stardust", "Make You Happy" und "Overrated" die typische Energie von Michael Holbrook Penniman und der Raum, sein ganzes Können zu zeigen. Zwischen Pop und Club landet er nahe bei Sam Sparro ("Return to Paradies") und Darren Hayes, wirkt dabei aber seelenlos und kalt. Und das, obwohl er Greg Wells als Stamm-Produzent beibehalten hat und sein neuer Co-Autor als Hälfte von Empire of the Sun Anderes gezeigt hat.

Fazit

Wenn jemand die glitzernde Comicwelt verlässt, sich real mit erwachsener Frisur und Hemd präsentiert und den Sound, für den er bekannt war, größtenteils aufgibt, dann ist das ein mutiges Wagnis, das gut- oder schiefgehen kann. Zu zwei Dritteln hat der frisch verliebte und geoutete Mika es geschafft, sich so weiterzuentwickeln, dass sein charakteristischer Charme, seine nuancierte Vielfalt und sein immenses Talent in den Liebesliedern weiter hörbar sind. Das andere Drittel enttäuscht aber leider.

Anspieltipps

Origin of Love

Underwater

Popular Song

Emily

Artistpage

MikaSounds.com

Tracks

1.Origin of Love
2.Lola
3.Stardust
4.Make You Happy
5.Underwater
6.Overrated
7.Kids
8.Love You When I'm Drunk
9.Step with Me
10.Popular Songfeaturing Priscilla Renea
11.Elle me dit
12.Heroes
13.Celebratefeaturing Pharrell Williams
14.Make You Happy (Miami Edit)

Micha S. - myFanbase
27.01.2013

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