Bewertung
Placebo

Loud Like Love

Placebo legen mit "Loud Like Love" ein Konzeptalbum über die Liebe vor. Das sind zehn Songs, die sich nicht nur mit der Euphorie, sondern vor allem mit all den Schattenseiten eben jener beschäftigen.

Foto: Placebo - "Loud Like Love" - Copyright: Vertigo Berlin
Placebo - "Loud Like Love"
© Vertigo Berlin

Über den Entstehungsprozess des siebten Studioalbums der Wahlbriten konnte man in den letzten Wochen viel lesen: Entstanden ist das Werk in zwei Teilen, dazwischen wurde getourt, und eigentlich hätten sie gar nicht richtig gemerkt, dass sie bereits mit der Arbeit am "Battle for the Sun"-Nachfolger angefangen hätten. Ursprünglich wollte man mit Adam Noble, der bereits mit den Red Hot Chili Peppers und dEUS gearbeitet hat, 2012 nur die EP "B3" machen. Und dann kam alles doch anders. Das Gespann um Brian Molko ergänzte sich in den Londoner RAK Studios durch Fiona Brice, die seit "Battle for the Sun" für die Streicher mit am Board ist, und Bill Lloyd, den man nicht umsonst den "Klebstoff" der Livecrew nennt – weil er eben alles zusammenhält.

Doch die Rezensionen waren derweil nicht ganz so konform. So mancher Kritiker ist einfach zu wenig vertraut mit dem Backkatalog der Band – und der ist essentiell, um Placebo begreifen zu wollen. Denn schon in der Vergangenheit wussten Placebo die Meinung der Öffentlichkeit zu spalten. Und so tat es auch "Too Many Friends", die erste Singleauskopplung. Der Text ist gespickt mit der Kritik an Social Networks – und der Gedanke, dass jemand Zeilen wie diese singt ("My computer thinks I'm gay, what's the difference anyway, when all the people do all day is stare into a phone?"), ist auch schon wieder so absurd, dass es doch irgendwie gefällt.

Bei "Too Many Friends" dominiert das Klavier, gespielt von Basser Stefan Olsdal, und der Song gewinnt erst dann an Fahrt, wenn die Gitarren einsetzen. So hält es sich mit einigen Stücken auf dem Album. Eines, das allerdings von Anfang an Vollgas gibt, ist "Loud Like Live", der Opener des Albums. Es ist genau so, wie man es sich vorgestellt hat – oder zumindest erhofft. Denn es driftet nicht in stadionmäßigen Kitsch ab, sondern hält eine durchgängige Melancholie und Schönheit inne.

"Scene of the Crime" hingegen ist ein schnelles Abenteuer auf ruhigem Takt, zum Schluss garniert von elektronischen Elementen, die der Hörer seit "Meds" ein wenig vermisst hat. "Exit Wounds" bietet ebenfalls spannende Effekte – auch darüber gab es viel zu lesen, man hätte mit verschiedenen Apps experimentiert. Und so singt Brian traurig über den unkonventionellen Beat hinweg. Der Text ist ähnlich pikant wie bei "Scene of the Crime" – oder "Purify", einer äußerst coolen Rocknummer.

"Rob the Bank" handelt derweil von Eifersucht und Besessenheit – und nicht, wie viele fälschlicherweise glauben, von der Finanzkrise. Das Video, das dazu im Internet kursiert, greift dennoch eine politische Stimmung auf: Die der Proteste in Istanbul. Aber zurück zur Liebe – oder zur Abwesenheit dieser, wie in "Begin the End". Düster geht es auch in "A Million Little Pieces" zu. Hier gibt es nichts aufregendes, neues zu entdecken – es sind solide Lieder, die einem vorkommen, als wären sie schon immer Teil von einem selbst, die man gleich nahtlos aufs eigene Leben übertragen kann.

Ungewöhnlich– und so polarisierend, wie Placebo eben sind - ist dafür "Hold on to Me". Darüber konnte man ebenso schon einiges hören – denn ein paar der Texte auf "Loud Like Love" entstanden für ein potentielles Soloalbum von Brian Molko und "Hold on to Me" ist einer davon. "I am a small and gentle man who carries the world upon his shoulders", singt Brian eingangs und Placebo liefern einen perfekten Song ab – bis ein Break kommt und Brian Literatur über Streicher hinweg zitiert. Kann einem gefallen. Kann aber auch etwas dauern.

Keinen Zweifel gibt es hingegen für "Bosco". Es sei der persönlichste, ehrlichste Song, den Brian Molko jemals geschrieben habe. Zwar seien auf der Platte vor allem Kurzgeschichten und in dieser singt der Ich-Erzähler über seine Alkoholsucht, aber man weiß ja, dass Brian in der Vergangenheit kein Kind von Traurigkeit gewesen ist. Wenn er jetzt "then I run away to wonderland" singt, weiß man, dass er zum ersten Mal beim Einsingen komplett nüchtern gewesen ist – und ist auch froh über diese Kehrtwende. Es ist nicht die Abstinenz des frühseptemberlichen Heizens, die verantwortlich für die Gänsehaut ist. Neben den Lyrics weiß auch der musikalische Hintergrund zu beeindrucken: So ist der Song anfangs auf weniges reduziert, nur das Klavier darf sich neben Brians Stimme durchsetzen, später dann die Streicher, arrangiert von Fiona, bei einem sich wiederholenden "How I suck you dry" - und man weiß, es wird einen noch lange begleiten.

Fazit

In vielerlei Hinsicht finden Placebo zu einer alten Stärke zurück, sowohl musikalisch, als auch textlich. Sicherlich ist "Loud Like Love" eine logische Konsequenz aus den größten Meilensteinen der zwanzigjährigen Bandgeschichte. Wo der Vorgänger "Battle for the Sun" oft zu überladen klang und Brian deswegen die meiste Zeit schreien musste – was er nun wesentlich bewusster einsetzt, wie etwa, wenn "Scene of the Crime" aggressiver wird -, wurde bei "Loud Like Love" stets die richtige Dosierung von allem gefunden. Kein Wunder also, dass man auf das neue Baby so stolz war, dass man nicht nur mehrere Kaufversionen davon mit verschiedensten Deluxe-Features auf den Markt warf, sondern auch gleich eine TV-Show ins World Wide Web ausstrahlte. Diese sendete zum Releasetag am 16. September 2013 für 90 Minuten live aus den YouTube-Headquarters. 12.000 Zuschauer verfolgten unter anderem, wie Schlagzeuger Steve Forrest ein paar Placebofakten aus der Zeit vor seinem Bandbeitritt nicht parat hatte – aber Schwamm drüber. Die Zukunft ist jetzt.

Anspieltipps

Loud Like Love

Scene of the Crime

Rob the Bank

Purify

Artistpage

PlaceboWorld.co.uk

Tracks

1.Loud Like Love
2.Scene of the Crime
3.Too Many Friends
4.Hold on to Me
5.Rob the Bank
6.A Million Little Pieces
7.Exit Wounds
8.Purify
9.Begin the End
10.Bosco

Simone Bauer - myFanbase
19.09.2013

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